In einer Lehrwerkstatt bohrt ein Auszubildender im Rahmen seiner Ausbildung ein Gewinde.
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Auszubildende sind heiß begehrt: Am ersten September startet das neue Ausbildungsjahr. Viele Stellen sind noch unbesetzt.

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Azubis gesucht: Viele Lehrstellen in Bayern unbesetzt

Es ist der 1. September 2023 - und damit der Start in die Berufswelt für die rund 65.000 Auszubildenden in Bayern, die sich für eine duale Ausbildung im Handwerk und in IHK-Berufen entschieden haben. Doch Tausende Lehrstellen bleiben unbesetzt.

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Für Henri Wieland beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Er ist 19 Jahre alt, gerade fertig mit der Schule und hat den Sommer über bei einem Getränkelieferanten gejobbt. Nun beginnt seine Ausbildung bei "Trane" im oberbayerischen Krailling. Ein Unternehmen, das Kälte- und Wärmeanlagen herstellt. Eine Zukunftsbranche - das war dem jungen Mann wichtig bei der Wahl des Ausbildungsplatzes.

Erwartungen junger Menschen an Betriebe

Aber nicht nur das. Wichtig ist ihm auch viel Entgegenkommen: "Ich erhoffe mir einfach Unterstützung, wenn ich etwa mal noch einen Tag brauche, um für die Prüfungen zu üben. Dass ich das an einem Schaltschrank auch darf, ohne mir extra einen Tag freizunehmen", sagt er.

Das Unternehmen kennt der angehende Azubi bereits von einem zweitägigen Praktikum. Er freut sich darauf, die nächsten Jahre dort zu verbringen, weil die Firma "sehr spannende Aufträge bekommt", er in verschiedenen Bereichen arbeiten könne und das "Arbeitsklima einfach top" sei.  

Motivierte Jugendliche wie Henri Wieland werden in Bayern überall händeringend gesucht: Weil sich die Schere immer weiter öffnet – auf der einen Seite gehen die vielen Babyboomer nach und nach in Rente, auf der anderen Seite besetzen zu wenig junge Leute die Stellen nach.  

Plus bei Ausbildungsverträgen - doch das reicht nicht

Die Industrie- und Handelskammern werben deshalb seit Jahren für die duale Berufsausbildung – sonst geht ihr für die Berufe, die sie vertritt, schlicht der Nachwuchs aus. Florian Kaiser kümmert sich in der IHK für München und Oberbayern um die berufliche Ausbildung. Er kennt die Herausforderungen der Unternehmen gut: "Die Jugendlichen, die wir heute brauchen, hätten schon längst geboren sein müssen", beklagt er. Auch wenn sich dieses Jahr in Bayern fünf Prozent mehr Jugendliche als im Vorjahr für einen IHK-Beruf entschieden haben, genüge das nicht.

Knapp 21.000 junge Menschen starten in Bayern in einem Handwerksbetrieb ins Berufsleben. Im Vorjahresvergleich entspricht das einem Plus von 1,6 Prozent. Der Präsident des Bayerischen Handwerkstages misst dem Nachwuchs eine tragende Rolle bei: "Sie sichern mittel- und langfristig den Fortbestand der verschiedenen Gewerke, ob als Fachkraft, Betriebsleiterin oder Gründer", sagt Franz Xaver Peteranderl. "Auch bei der Umsetzung der Energiewende und der Lösung weiterer gesellschaftlicher Herausforderungen spielen gut ausgebildete Handwerkerinnen und Handwerker eine Hauptrolle."

Bernhard Stiedl, Vorsitzender des DGB Bayern, dagegen kritisiert, dass sich nach wie vor zu viele Betriebe aus der Ausbildung zurückziehen würden. Wirtschaftliche Krisen gingen oft zulasten des Arbeitsmarktes, nicht nur durch eine sinkende Ausbildungsbereitschaft von Betrieben. "Damit vergeben die Unternehmen eine große Chance, dem vielfach beklagten Fachkräftemangel entgegenzuwirken", sagt Stiedl. Tausende junge Menschen würden auf der Strecke bleiben. Ein Hauptproblem jedoch bleibt: Zu wenige junge Menschen beginnen trotz offener Stellen eine Berufsausbildung.

Auf jeden unversorgten Bewerber kommen fünf offene Lehrstellen 

Doch auch wenn die Zahlen nach der Corona-Pandemie wieder nach oben gehen – es fehlt weiter an Azubis. Denn rund 38.000 Lehrstellen sind in Bayern laut der Bundesagentur für Arbeit noch unbesetzt, dem stehen gut 7.500 unversorgte Bewerber gegenüber. Bedeutet: Auf jeden unversorgten Bewerber kommen rein rechnerisch 5,3 Ausbildungsplätze.

Für Florian Kaiser von der IHK ist es deshalb wichtig, dass "wir gemeinsam noch mehr [junge Menschen] von den Vorteilen der dualen Ausbildung überzeugen und noch mehr von den Jugendlichen gewinnen". Konkret: Auch auf den Gymnasien müsse die Möglichkeit einer Berufsausbildung angesprochen werden. 

"Ausbildungsflüsterin" für Unternehmen 

Wie Unternehmen erfolgreich Azubis finden und halten, weiß Sabine Bleumortier. Sie nennt sich selbst "Ausbildungsflüsterin" und berät Unternehmen, die den Kampf um die raren Nachwuchskräfte erfolgreich bestehen wollen. Immer wieder stößt sie in den Unternehmen jedoch auf falsche Erwartungshaltungen. 

"Manche Ausbilder haben es so im Kopf, dass die Auszubildenden früher alle zuverlässiger waren und pünktlich und leistungsbereit und nicht widersprochen haben", sagt Bleumortier. Doch schon immer hätte die ältere Generation die jüngere nicht mehr verstanden. Da sei es besonders wichtig, auf sie zuzugehen und sie einzubinden. "Jugendliche heute widersprechen eben auch mal gern." Unternehmen sollten das als Chance sehen: "Es kann ja auch von Vorteil sein, sich mal eine andere Sichtweise anzuhören und die Perspektive zu wechseln."

Wie Unternehmen Azubis für sich gewinnen können

So oder so bleibe den Unternehmen gar nichts anderes übrig, als auf die Wünsche der Azubis einzugehen, wenn sie den Kampf um die raren Fachkräfte nicht verlieren wollten, so Bleumortier.  Ein Unternehmen müsse ihnen gegenüber wie ein gutes Restaurant sein. Da gehe man aus drei Gründen hin: gutes Essen, guter Service, gutes Klima.

Für die Arbeitgeber gelte Ähnliches: Es müssten erstens gute Inhalte vermittelt werden – also keine fachfremden Tätigkeiten wie Kaffeekochen oder Fensterputzen, sondern eine ordentliche Prüfungsvorbereitung und Projekte, die die Azubis mitgestalten können. 

Zweitens: Der Service müsse auch im Unternehmen stimmen. "Es muss jemand da sein, der sich um die Auszubildenden kümmert, Paten in der Abteilung etwa, die im Fachlichen helfen oder auch bei der Wohnungssuche."

Und drittens: "Es sollte ein gutes Betriebsklima herrschen, der Azubi sich als Teil des Teams fühlen und wertgeschätzt werden." Ausbildung müsse auf Augenhöhe passieren, damit sich die begehrte "Generation Z" wohlfühle. Ein "Zuckerl" wie Essenszuschüsse, eine Übernahmegarantie oder auch Events, die angeboten werden, schadeten nie, sagt Bleumortier.

Erst Azubi – dann Karriere 

Für die Firma "Trane", bei der Wieland beginnt, sind Azubis ein wertvolles Gut. Dort bietet das Unternehmen viele Extras an – wenn nötig auch Förderungen in Bereichen, in denen das schulische Wissen noch aufgebessert werden muss: etwa beim Schreiben oder Rechnen.  

Doch nur Forderungen stellen, das will Wieland nicht. Der 19-jährige angehende Energie- und Gebäudetechniker will in den nächsten dreieinhalb Ausbildungsjahren etwas beitragen: "Mein erstes Ziel ist es, ein guter Geselle zu sein und die Firma voranzubringen." Was danach passiert, will er auf sich zukommen lassen.

Sein großes Vorbild ist sein Onkel - ein erfolgreicher Elektriker, der sich hochgekämpft habe und jetzt in einer Führungsposition sei. Nach der Ausbildung kann sich Wieland durchaus den Meister vorstellen, dann ein Studium und, wer weiß, eine eigene Firma.  Große Ziele, für die oft eine Ausbildung den Grundstein legt. Das gilt für ihn – genau wie für alle anderen Azubis, die frisch in die Berufswelt starten.

Für viele Jugendliche in Bayern war heute ein aufregender Tag: sie haben heute ihre Lehre angefangen.
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Für viele Jugendliche in Bayern war heute ein aufregender Tag: sie haben heute ihre Lehre angefangen.

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