Archivbild: Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger bei einer Anti-Ampel-Demo in München
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Archivbild: Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger bei einer Anti-Ampel-Demo in München

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Unmut über Aiwangers Demo-Hopping: "Zurück an den Schreibtisch"

Neben CSU-Spitzenpolitikern kritisieren zunehmend auch Wirtschafts- und Arbeitnehmervertreter den bayerischen Wirtschaftsminister Aiwanger. Tenor: Er solle sich mehr um die Wirtschaft kümmern als um Demo-Auftritte. Der Minister selbst winkt ab.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Hinter vorgehaltener Hand spottet auch der eine oder andere Freie-Wähler-Politiker über den Parteichef: Sie hätten es irgendwann aufgegeben, Hubert Aiwangers Demo-Auftritte mitzuzählen: "zu viele". Der bayerische Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister eilt seit Wochen von Bauern-Demo zu Lkw-Fahrer-Demo zu Bauern-Demo zu Anti-Ampel-Demo - egal ob im niederbayerischen Karpfham oder im baden-württembergischen Ellwangen, in der Landeshauptstadt München oder vor dem Brandenburger Tor in Berlin.

CSU-Spitzenpolitiker beklagen schon länger, Aiwanger setze die falschen Prioritäten und solle sich lieber um die bayerische Wirtschaft kümmern. Mittlerweile äußern auch Wirtschafts- und Arbeitnehmervertreter ihren Unmut über den Minister.

"Seit Monaten nichts mehr von ihm gehört"

"Ich würde mir wünschen, dass sich der bayerische Wirtschaftsminister mehr um die bayerische Wirtschaft kümmert", sagte beispielsweise Bayerns DGB-Chef Bernhard Stiedl diese Woche der "Augsburger Allgemeinen" (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt). "Man hört und liest von Herrn Aiwanger viel, vor allem in den sozialen Medien - aber wenig zu wirtschaftlichen Themen"

Kritik kommt auch vom Verband Der Mittelstand (BVMW). "In der Mittelstandspolitik ist Minister Aiwanger aus unserer Sicht deutlich zu passiv", sagt Achim von Michel, Politikbeauftragter im BVMW in Bayern. Aiwanger beschäftige sich mit Landwirten und Forstwirten, zu den Nöten vieler anderer Branchen im bayerischen Mittelstand habe man "seit Monaten nichts mehr von ihm gehört".

Dehoga-Präsidentin enttäuscht

Die Präsidentin des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) in Bayern, Angela Inselkammer, zeigt sich im BR-Interview enttäuscht über Aiwangers Entscheidung, als Wirtschaftsminister lieber für die Jagd als für Gastronomie und Tourismus zuständig zu sein. "Ich war etwas erstaunt, dass er uns einfach so aufgegeben hat. Das habe ich ihm auch gesagt." Aktuell sei er "ein bisschen mit anderen Themen beschäftigt", fügt sie mit Blick auf seine Arbeit als Wirtschaftsminister hinzu.

Der Präsident der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, Klaus Josef Lutz, antwortet auf die Fragen nach Aiwangers Leistung als Minister ausweichend: "Ich bin sehr optimistisch, dass die Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Beamtinnen und Beamten des Wirtschaftsministeriums auch jetzt in dieser Legislaturperiode einen großartigen Job machen werden."

Positiv äußerte sich der Präsident der Handwerkskammer Schwaben, Hans-Peter Rauch, über den Kontakt zu Aiwanger: "Dass der Wirtschaftsminister zu uns Handwerkern kommt, haben wir so in den letzten Jahren nicht erlebt", sagte er der "Augsburger Allgemeinen". Aiwanger frage nach, höre zu und nehme Anregungen mit. "Politisch scheint Aiwangers Stil schon berechnend. Er merkt, dass er auf seine polternde Art gut das Volk erreichen kann." Vertreter weiterer Wirtschaftsverbände wollen sich nicht äußern oder lassen eine Anfrage unbeantwortet.

"Zurück an den Schreibtisch"

Die Kritik aus der CSU an Aiwangers Amtsführung reißt derweil nicht ab. Der Chef der Mittelstands-Union Bayern, Sebastian Brehm, stellt dem Minister ein sehr schlechtes Zeugnis aus: "Er macht einfach zu wenig", sagt er dem BR. Die großen wirtschaftspolitischen Initiativen kämen alle von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) statt vom zuständigen Minister. "Bevor er große Reden schwingt - in Bierzelten oder in anderen Veranstaltungen - sollte er lieber zurück an den Schreibtisch und wirklich mal kräftig arbeiten für den Mittelstand und für die Wirtschaft."

Vergangene Woche mahnten sowohl Söder als auch Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU), Minister dürften ihre eigentlichen Aufgaben nicht vernachlässigen. Einen Namen nannten sie zwar nicht, ließen aber wenig Zweifel daran, wer gemeint war. Zunächst stellte Herrmann klar, dass für Parlamentarier und mehr noch für Regierungsmitglieder das Demo-Hopping "nicht das Mittel der Wahl" sei. Die eigentliche Arbeit finde im Parlament und in der Regierung statt. Von diesem Thema ging der Staatskanzleichef nahtlos zum "ernüchternden" Exportdefizit Bayerns über - und dem Auftrag an Aiwanger, die Exportstrategie zu überprüfen.

Wenige Tage später legte Söder nach. Es sei zwar kein Problem, auf Demonstrationen zu gehen. "Man muss nur genügend Zeit für den Rest finden, denn man wird ja von Steuergeldern vor allem für die Hauptarbeit bezahlt." Schon Mitte Januar hatte CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek via "Augsburger Allgemeine" gestichelt, an Demonstrationen teilzunehmen, sei "kein wirtschaftliches Konzept".

Fünf Bauern-Demos statt Werbung für Windpark

Deutliche Vorwürfe muss Aiwanger auch angesichts des Neins der Mehringer Bürger zu Windrädern einstecken. Seinen eigentlich für 8. Januar geplanten Besuch in Mehring, bei dem Aiwanger für Bayerns größten Windpark werben wollte, verschob der Minister kurzfristig - und nahm an diesem Tag stattdessen an gleich fünf Bauern-Demos teil.

Nach Mehring kam der Energieminister erst am 17. Januar. Zu diesem Zeitpunkt hatten nach übereinstimmenden Medienberichten schon mehr als 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler per Briefwahl abgestimmt. Für einen Stimmungsumschwung war es laut Bürgermeister Robert Buchner (Freie Wähler) da zu spät. "Irgendwie habe ich den Eindruck, dass im Wirtschaftsministerium nicht so angekommen ist, was bei uns eigentlich abgeht", sagte Buchner der "Süddeutschen Zeitung". Und der Bürgermeister von Marktl, in dessen Gemeinde es ebenfalls ein Bürgerbegehren geben könnte, forderte im "Münchner Merkur": "Aiwanger soll sich um die bayerische Wirtschaft und die Windräder kümmern und nicht auf irgendwelchen Demos rumhüpfen."

Aiwanger will "beim Volk" sein

Der Minister selbst sieht bei sich dagegen keine Mitverantwortung für das Abstimmungsergebnis. Die Lage in Mehring sei von Anfang an verfahren gewesen, weil das Projekt mit 40 Windrädern mit den Betroffenen nicht ausreichend besprochen worden sei, sagt der Energieminister dem BR. Die Stimmung "hätte man so kurzfristig nicht mehr umdrehen können".

Auch die grundsätzliche Kritik an seinen Demo-Teilnahmen weist der Freie-Wähler-Chef zurück. "Auf Demos unterwegs zu sein, heißt, sich zu kümmern", argumentiert er. "Wenn der Mittelstand protestiert gegen eine verfehlte Mittelstands- und Agrarpolitik, dann muss der Wirtschaftsminister dort sein, muss mit den Handwerkern, Mittelständlern, Bauunternehmen reden." Er wünsche sich, dass alle Politiker mehr beim Volk sind. Denn das Volk rufe nach der Politik. "Da können wir uns nicht ins warme Ministerium einsperren, Tee trinken und beim Fenster rausschauen." Daher will der Minister an seiner Strategie auch nichts ändern: "Da, wo sinnvolle Veranstaltungen sind, gehe ich hin."

FW-Fraktionschef Streibl: Aiwanger muss als Minister sichtbar sein

Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl nimmt seinen Parteichef gegen Kritiker in Schutz, räumt aber Verbesserungspotenzial in der Kommunikation ein. "Er macht seine Arbeit als Wirtschaftsminister", sagt Streibl im BR-Interview. "Nur, das wird heute überlagert durch die Demonstrationen. Darüber wird berichtet, das wird ins Internet gestellt, und da ist er sichtbar."

Der FW-Fraktionschef fordert von Aiwanger eine andere Schwerpunktsetzung in der Außendarstellung: "Er muss wieder als Wirtschaftsminister sichtbar sein. Die Arbeit, die er da leistet, muss wieder in die Köpfe."

In den vergangenen Wochen hat er immer wieder an Demos teilgenommen. Aiwanger sagt: Er sei nah am Menschen. Wirtschaftsverbände fühlen sich vernachlässigt.
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Aiwanger bei Demo in Regensburg

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