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Hintergrund Was ist eigentlich Rechtsextremismus?

Stand: 14.06.2019 08:39 Uhr

Was steckt eigentlich hinter dem Begriff Rechtsextremismus? Was ist das Ziel von NPD und anderen Neonazis? Welche Rolle spielt die NS-Zeit? Und warum ist der Rechtsextremismus eigentlich ein Problem? Eine Übersicht von tagesschau.de.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de  

Rechtsextremismus ist ein Oberbegriff für politische Orientierungen und Aktivitäten, die den demokratischen Staat ablehnen und dafür eine autoritär geführte "Volksgemeinschaft" errichten wollen. Dabei wird von einem vermeintlich naturgemäßen "Volkstum" und einem "gewachsenen Volkskörper" ausgegangen. Zudem wird versucht, andere Menschengruppen durch rassistische Parolen auszugrenzen und abzuwerten.

Rechtsextremisten glauben an eine naturgegebene ethnische ("rassische") Ungleichwertigkeit der Menschen. Ethnische, kulturelle, geistige und körperliche Unterschiede begründen für sie einen minderen Wert und Rechtsstatus bestimmter Individuen und Gruppen. So schreibt die NPD in ihrem Parteiprogramm im ersten Kapitel: "Volkstum und Kultur sind die Grundlagen für die Würde des Menschen." Die Würde des Menschen ist für die NPD also keineswegs unantastbar, es gibt sogar bestimmte Voraussetzungen und Bedingungen: Grundlage sei "Kultur und Volkstum".

Ohne diese - äußerst schwammigen - Begriffe keine Würde, und somit auch nur eingeschränkte oder gleich gar keine Rechte. Damit stellt sich die NPD selbst ins Abseits, sie erkennt die elementaren Grundsätze des menschlichen Zusammenlebens nicht an. Denn in der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen heißt es in Artikel 1: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen."

Der Rechtsextremismus lehnt das an den Menschenrechten orientierte Gleichheitsprinzip ab. Menschen seien durch biologische Abstammung ("Wurzeln") kulturell soweit vorgeprägt, dass kein friedliches, gleichberechtigtes Zusammenleben verschiedener Ethnien in einem Staat möglich sei. Die Gesellschaft müsse daher zu einem homogenen "Volkskörper" vereinheitlicht werden, fordert die rechtsextreme Ideologie.

In der Politikwissenschaft ist der Begriff Rechtsextremismus umstritten, da Elemente dieser Ideologie auch bei anderen Ideologien vorzufinden sind. Daher wird unter anderem der Begriff "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" benutzt.

Was sind "moderne Nazis"?

Beim modernen Rechtsextremismus wird nicht eindeutig rassistisch argumentiert. Stattdessen beziehen sich die "modernen Nazis" auf die "Eigenarten der Völker". Dieses Konzept wird Ethnopluralismus genannt und ist im Programm der NPD stark vertreten. Statt der Höherwertigkeit der eigenen "Rasse" betont dieses Konzept meist eine Höherwertigkeit der eigenen Kultur und leitet daraus einen Anspruch auf Vorherrschaft der europäischen Völker ab. Der Rassismus wird so neu verpackt.

Die NPD-Strategen setzen auf den Ethnopluralismus, da sich dadurch ein "Kampf der Völker" gegen die USA und die Globalisierung konstruieren lässt. Antihegemoniale Bestrebungen spielen genau wie beim Antisemitismus eine große Rolle im modernen Rechtsextremismus. Statt der Weltherrschaft, wie in der NS-Ideologie, wird nun die "Freiheit der organisch gewachsenen Völker" gefordert. Durch dieses Konstrukt kann die NPD auch in andere Milieus einbrechen, denn diese Argumentation ähnelt bei oberflächlicher Betrachtung der so mancher Globalisierungskritiker.

Welche Rolle spielt die NS-Zeit noch?

Rechtsextremisten knüpfen an verschiedene politische und ideologische Ideen des Faschismus und Nationalsozialismus an. Die Übereinstimmung mit der NS-Ideologie zeigt sich an einigen besonderen Merkmalen, wie beispielsweise dem Antisemitismus und dem Geschichtsrevisionismus, der den NS-Staat verharmlost oder gar als Vorbild verherrlicht, seine Verbrechen relativiert oder abstreitet (Holocaustleugnung). Rechtsextreme Strategen versuchen immer wieder, der Ideologie einen modernen Anstrich zu verpassen, wie beispielsweise durch das Konzept des Ethnopluralismus. Allerdings spielt der Bezug auf die NS-Zeit weiterhin eine überragende Rolle in der rechtsextremen Bewegung.

Warum ist der Rechtsextremismus eigentlich ein Problem?

In der Berichterstattung ist oft von einer rechtsextremen Szene die Rede, doch in der Bundesrepublik Deutschland muss von einer rechtsextremen Bewegung gesprochen werden: Neben der parlamentarischen Vertretung durch die NPD gibt es verschiedene rechtsextreme Subkulturen und Organisationen, unter anderem für Frauen, Kinder, Jugendliche oder Studenten. Rechtsextremisten versuchen ihre Ideologie durch Arbeit in Vereinen und Bürgerinitiativen versteckt zu verbreiten. Rechtsextremisten nutzen die Rechte, die ihnen die demokratische Grundordnung zusichert, um diese Ordnung zu beseitigen. "Das Reich ist das Ziel, die NPD ist der Weg", benannte Ex-NPD-Chef Udo Voigt diese Strategie.

Gewalt gehört zur rechtsextremen Ideologie - diese leitet sich aus der angeblichen Ungleichwertigkeit von Menschen ab, die den vermeintlich höherwertigen Völkern das Recht einräumt, gegen "minderwertige Eindringlinge" (Migranten) und politische Gegner militant vorzugehen. Dadurch gibt es eine enorme rassistische und rechtsextrem motivierte Gewalt in Deutschland. In den vergangenen Jahren wurden jeweils etwa 1000 Menschen bei rechtsextrem motivierten Angriffen verletzt, seit 1990 sind in Deutschland laut Opferverbänden und Journalisten mehr als 130 Menschen von Rechtsextremisten getötet worden, die Bundesregierung spricht von "nur" 40 Todesopfern. Aber auch vorher gab es bereits rechtsextreme Gewalt. Der schlimmste Anschlag ereignete sich im Jahr 1980: 13 Menschen kamen bei der Bombenexplosion auf dem Münchner Oktoberfest ums Leben, mehr als 200 wurden zum Teil schwer verletzt.

(Archivartikel von 2008, aktualisiert 2015)