
Pseudotherapien gegen Homosexualität Ein Martyrium
Stand: 11.06.2019 18:30 Uhr
Bis Bastian Melcher seine Homosexualität akzeptierte, war es ein langer Weg. Jahrelang unterzog er sich "Therapien" und Dämonenaustreibungen - bis er merkte, dass es so nicht weitergehen konnte.
Von Kristine Harthauer, ARD-Hauptstadtstudio
Durch "Gottes Kraft" die homosexuellen Empfindungen in heterosexuelle Empfindungen umwandeln - das versuchte Bastian Melcher jahrelang. Eine wichtige Rolle spielte dabei sein religiöser Hintergrund. Der 30-Jährige wuchs als gläubiger Christ in einer freikirchlichen Pfingstgemeinde auf. Als er seine Homosexualität bemerkte, wurde sie zu einem Problem.
Der Druck aus seiner Gemeinde war groß: Sollte er seine Homosexualität ausleben wollen, würde er nicht nur ein Leben in Sünde führen, er dürfe auch nicht weiter in der Kinder- und Jugendarbeit arbeiten. Um "Gott zu gefallen" und um den Mittelpunkt seines Lebens nicht zu verlieren, wandte er sich an einen Pastor. Es folgten für ihn Jahre der "Gesprächstherapien", Seelsorgegebete und Dämonenaustreibungen.
"Ein großer, schwarzer Dämon"
"Der Prediger stand vor einem, hat die Hand auf die Schulter gelegt und hat gebetet", erzählt Melcher. "Er sagte, er habe Rauch gesehen, der aus meinem Rücken gestiegen sei, und ein paar Dämonen, die mich verlassen hätten. Da wäre aber noch ein größerer. Dann betete er weiter und sagte, dass er gesehen habe, dass ein großer, schwarzer Stachel aus meinem Rücken kam." Das eben sei ein großer, schwarzer Dämon, der für die Homosexualität zuständig sei. "Und der hat mich verlassen und jetzt wäre ich befreit."
Der junge Mann suchte den Fehler bei sich, fing an, sich selbst zu verletzen, als die zahlreichen sogenannten Konversionstherapien nichts an seiner sexuellen Orientierung änderten.
Depressionen und Suizidgedanken
Gesundheitsminister Jens Spahn will gegen solche Pseudotherapien vorgehen. Zwei medizinische Gutachten einer Expertenkommission kommen zu dem Schluss, dass ein Verbot solcher Anwendungen aus medizinischer Sicht geboten und rechtlich möglich sei. Spahn hatte diese Gutachten Anfang April in Auftrag gegeben. Das Fazit: Die Betroffenen leiden nach der Behandlung durch die vermeintlichen Therapien häufiger unter Depressionen, manche haben sogar Suizidgedanken.
"Homosexualität ist keine Krankheit und damit auch nicht behandlungsbedürftig", so Spahn. Noch in diesem Jahr solle ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht werden.
Ein Stück Gerechtigkeit
Bastian Melcher war Teil der Kommission. Für ihn bedeutet ein Verbot solcher Therapien ein Stück Gerechtigkeit: "Für mich ist es ganz wichtig, dass unsere Bundesregierung sagt, es ist in Ordnung, wenn man homosexuell ist, wenn man transsexuell ist. Und dass man eben nicht falsch ist und dass es nicht veränderbar ist."
Er selbst hatte diese Erkenntnis vor fast zehn Jahren beim Christopher Street Day in Hannover. Dort habe er gemerkt, dass es nicht so weitergehen könne: "Entweder bringt mich das um oder ich bringe mich um, weil ich es nicht aushalte." Als sich Melcher dafür entschied, seine Homosexualität zu akzeptieren, spürte er eine innere Freiheit, die er so nie zuvor gehabt habe.
Aus seiner früheren Kirche ist er ausgetreten. Und auch sein Glauben hat sich gewandelt: Für ihn ist Gott einer, der ihn so geschaffen hat und akzeptiert, wie er ist - ganz gleich, wen er liebt.
„Homosexualität ist keine Krankheit“: Pseudo-Therapien sollen verboten werden
nachtmagazin 00:30 Uhr, 12.06.2019, Kristine Harthauer, ARD Berlin
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