Reform der Pflegeversicherung Was sich bei der Pflege ändern soll

Stand: 28.03.2012 11:15 Uhr

Rund 2,4 Millionen Deutsche sind pflegebedürftig, die Hälfte davon ist demenzkrank. Und es werden immer mehr. Was ändert sich für Demenzkranke und Angehörige durch die nun auf den Weg gebrachte Reform der Pflegeversicherung? Steigen die Beträge? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen.

Von Katrin Hafemann für tagesschau.de

Warum ist die Reform notwendig?

Die Pflegeversicherung wurde 1995 in Deutschland eingeführt. Seitdem gibt es immer mehr ältere Menschen und Pflegebedürftige. Heute sind etwa 2,4 Millionen Menschen pflegebedürftig. Auch die Zahl der Demenzkranken nimmt stetig zu. Das Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen geht derzeit von 1,2 Millionen Demenzkranken aus. Für das Jahr 2030 prognostizieren die Wissenschaftler einen deutlichen Anstieg auf 1,8 Millionen. Während die Zahl der Pflegebedürftigen also zunimmt, sinkt die Zahl der Erwerbsfähigen, die die Pflege organisieren und bezahlen müssen. Diesen Problemen soll die Reform entgegenwirken.

Was soll sich bei der Pflege ändern?

In erster Linie soll mit der Reform die Hilfe für Demenzkranke verbessert werden. Menschen mit Demenz oder geistiger Behinderung, die von Angehörigen zu Hause gepflegt werden und in keiner Pflegestufe sind, sollen höhere Leistungen erhalten. Aber auch Pflegeheime und Wohngemeinschaften sollen gefördert werden. Außerdem soll die Begutachtung und Einstufung von Pflegestufen reibungsloser ablaufen.

Hans-Jürgen Freter, Sprecher der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, kritisiert jedoch, dass die Reform nicht weit genug gehe. Sie hätten sich ein neues Pflegestufen-System gewünscht. Denn der spezielle Bedarf eines Pflegebedürftigen könne mit dem aktuellen System nicht richtig eingeschätzt werden.

Was ändert sich für Pflegebedürftige, die zu Hause leben?

Pflegebedürftige, die zu Hause von einem Angehörigen gepflegt werden und in keiner Pflegestufe sind (Stufe 0), sollen mehr Leistungen erhalten. Bisher erhalten sie monatlich 100 oder bei besonders schwerem Bedarf 200 Euro. Nach der Reform sollen sie erstmals zusätzlich ein Pflegegeld von 120 Euro bei Betreuung durch Angehörige oder bis zu 225 Euro monatlich für ambulante Pflegedienste erhalten. Pflegebedürftige der Stufe I erhalten künftig 665 Euro statt 450 Euro für ambulante Pflege. In der Pflegestufe II sind es dann 1250 Euro statt vorher 1100 Euro.

Auch wenn Familienangehörige die Dementen pflegen, sollen die Leistungen steigen. Bei der Pflegestufe I waren es bisher 235 Euro im Monat, nach der Reform sollen es 305 Euro sein. Demenzkranke der Pflegestufe II bekommen dann Leistungen von 525 Euro monatlich. Bislang waren es 440 Euro. Von diesen Leistungsverbesserungen sollen rund eine halbe Million demenzkranke Menschen und deren Angehörige profitieren.

Was ändert sich für Pflegebedürftige, die in Heimen betreut werden?

In Pflegeheimen soll die medizinische Versorgung verbessert werden. Die Krankenkassen werden aufgefordert, vor Ort Kooperationsverträge zwischen Pflegeheimen und Ärzten zu vermitteln. Ärzte und Zahnärzte erhalten zusätzlich Geld, wenn sie Demenzkranke im Heim oder zu Hause behandeln. Außerdem sollen Pflegeheime offenlegen, wie sie die medizinische Versorgung der Pflegeheimbewohner sicherstellen.

Was ist mit Pflegebedürftigen, die in einer Wohngemeinschaft leben?

Viele Pflegebedürftige wollen so lange wie möglich zu Hause leben. Deshalb stärkt die Reform den Grundsatz "ambulant vor stationär" mit neuen Wohnformen. Pflegebedürftige, die in einer selbstorganisierten Wohngruppe leben, erhalten pauschal 200 Euro im Monat für die Beschäftigung einer Hilfskraft. Außerdem werden Gründungen neuer Wohngruppen finanziell gefördert: Sie erhalten einmalig 2500 Euro je Pflegebedürftigen und maximal 10.000 Euro je Wohngruppe. Dieses Geld soll für die pflegegerechte Umgestaltung der Wohnung genutzt werden.

Haben auch Angehörige etwas von der Reform?

Für pflegende Angehörige soll es mit der Reform mehr Entlastung geben. Sie sollen sich leichter eine Auszeit nehmen können. Dazu können sie Einrichtungen nutzen, in denen auch ihre zu pflegenden Angehörigen versorgt und betreut werden. Wenn sie eine Kurzzeitpflege in Anspruch nehmen wollen, wird das Pflegegeld künftig zur Hälfte weiterbezahlt. Bisher wurde es in diesem Fall gestrichen. Angehörige, die sich um mehrere Pflegebedürftige gleichzeitig kümmern, sollen das auch rentenrechtlich geltend machen können. Auch Selbsthilfegruppen werden künftig mehr gefördert.

Inwieweit profitieren Pflegekräfte von der Reform?

Die Reform der Pflegeversicherung soll sich auch auf die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte auswirken. Dafür ist eine einheitliche Berufsausbildung in der Kranken-, Alten- und Kinderkrankenpflege geplant. Der Beruf soll insgesamt attraktiver werden. Die Bundesregierung will dazu eine Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive in der Altenpflege vorbereiten.

Was ist mit der Begutachtung und Einstufung von Pflegebedürftigen?

Der Medizinische Dienst von Krankenkassen wird zur Einhaltung von bestimmten Servicegrundsätzen verpflichtet. Außerdem müssen Krankenkassen ein Beschwerdemanagement einführen. Neben den Krankenkassen können die Pflegekassen auch andere unabhängige Gutachter zur Einordnung der Pflegebedürftigkeit einsetzen. Die Pflegekasse muss innerhalb von zwei Wochen, nachdem der Antrag eingegangen ist, einen Beratungstermin beim zu Pflegenden anbieten.

Ein grundlegendes, neues Begutachtungsverfahren gibt es nach der Reform allerdings nicht. Deshalb wird die Reform u.a. von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) scharf kritisiert. MDK-Sprecher Peter Pick kritisiert, dass Gutachter die Pflegebedürftigen immer noch anhand veralteter Kriterien einteilen müssen. Daran ändere die Reform nichts. Bereits 2009 hatte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) einen Expertenrat eingesetzt, um Vorschläge für die Festlegung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu machen. Wie die Nachrichtenagentur dpa aus Kreisen dieses Beirats erfuhr, lehnte Bahr die Vorschläge dieser Experten für die schnelle Umgestaltung des Pflegebegriffs ab.

Steigen durch die Reform die Beiträge?

Der Beitragssatz der Pflegeversicherung wird zum 1. Januar 2013 um 0,1 Beitragssatzpunkte angehoben. Damit werden der sozialen Pflegeversicherung rund 1,1 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung stehen. Auch die private Vorsorge bleibt ein wichtiger Baustein für die persönliche Absicherung. Deswegen soll die private Eigenvorsorge aus Steuermitteln gefördert werden.

Wie und in welchem Zeitraum dies umgesetzt werden soll, ist allerdings noch unklar. Das Gesundheits- und das Finanzministerium verhandeln noch über verschiedene Modelle für die steuerliche Förderung von privaten Zusatzversicherungen. Unklar ist, wie viel die Politik für eine umfassende Besserstellung von Demenzkranken ausgeben will.