Gasblasen über der Pipeline Nord Stream 2 in der schwedischen Wirtschaftszone in der Ostsee.

Nord-Stream-Pipelines Schwierige Suche nach dem Täter

Stand: 29.09.2022 16:03 Uhr

Die deutschen Sicherheitsbehörden haben sich laut ARD-Hauptstadtstudio noch nicht darauf festgelegt, wer für die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines verantwortlich ist. Der Hergang ist weiter völlig unklar.

Von Michael Götschenberg, ARD Berlin

In mehreren Ausschüssen des Bundestages wurden die Abgeordneten am Dienstag in zum Teil vertraulicher Sitzung über die Erkenntnisse informiert, die den Sicherheitsbehörden bislang vorliegen. Vieles ist demnach noch völlig unklar.

Das gilt insbesondere für die Frage, wie Sprengstoff an die Pipelines gelangt ist und wann. Dass es sich um bewusst herbeigeführte Explosionen handelt, gilt dabei als sicher. Erst am Vormittag wurde bekannt, dass es sich tatsächlich um vier Lecks in den Pipelines handelt und nicht um drei, wie bisher berichtet. Es gibt je zwei Lecks innerhalb der dänischen und der schwedischen Wirtschaftszone.

Russlands Täterschaft "naheliegend"

In Fraktionskreisen heißt es, innerhalb der deutschen Sicherheitsbehörden gebe es bisher noch keine Festlegung, wer die Explosionen verursacht hat. Weitgehend sicher ist man lediglich, dass letztlich nur ein staatlicher Akteur infrage kommt. Dass es sich dabei um Russland handelt, gilt am wahrscheinlichsten, heißt es. Beweise dafür gibt es bisher allerdings nicht, lediglich Wahrscheinlichkeiten.

Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter (CDU), Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags für die Nachrichtendienste, sagte im ARD-Morgenmagazin, er halte es "schon für naheliegend, dass Russland das gewesen sein könnte". Kiesewetter mahnte aber gleichzeitig zu Besonnenheit bei der Aufklärung.

"Naheliegend, dass Russland es gewesen sein könnte", Roderich Kiesewetter, CDU, Obmann Auswärtiger Ausschuss, zu Pipelinelecks

Morgenmagazin

Für Russland als Verursacher spricht, dass der Kreml ein Interesse daran hat, Verunsicherung in Europa zu schüren, sowie dass die Energiepreise weiter steigen. Wenig plausibel erscheint hingegen, dass der Kreml sich mit der Zerstörung der Pipelines letztlich der Möglichkeit beraubt, in Zukunft große Mengen Gas nach Europa zu verkaufen. Russland weist jede Verantwortung von sich und spricht von einer "Verwicklung" eines anderen Staats. Richtig ist, dass die Pipelines Nord Stream 1 und 2 mehrheitlich russisches Eigentum sind.

Grundsätzlich kämen neben Russland auch andere Länder als Verursacher infrage, wie die USA oder die Ostsee-Anrainer. Zumindest wären sie alle in der Lage, eine derartige Operation durchzuführen. In deutschen Sicherheitskreisen gilt das jedoch als unwahrscheinlich, immerhin handelt es sich um NATO- bzw. EU-Länder. Sowohl die NATO als auch die EU haben die Explosionen als Akt der Sabotage verurteilt. Die Ukraine selbst scheint erst recht unwahrscheinlich, wäre eine derartige Operation aufgrund der  Entfernung rein logistisch schon kaum zu bewerkstelligen.

Wurde Sprengstoff deponiert?

Intensiv wird derzeit versucht zu rekonstruieren, was genau sich ereignet hat. Eine Aufgabe, der zur Zeit vor allem der Bundesnachrichtendienst (BND) nachgeht. Doch die Aufgabe ist alles andere als einfach. Zwar kann man feststellen, welche Schiffe sich in den Tagen und Wochen vor den Explosionen in der Nähe der Explosionsstellen befunden haben. Doch weiß niemand, wie lange es her ist, sollte Sprengstoff an den Pipelines deponiert worden sein.

Die Frage ist auch, wie das bewerkstelligt wurde - sei es durch Taucher oder mittels bemannter oder unbemannter Kleinst-U-Boote. Diese können zum Teil nicht geortet werden, heißt es in Sicherheitskreisen. Es sei denkbar, heißt es in Fraktionskreisen, dass es gar nicht gelingt, den Hergang zu rekonstruieren.

Infrastruktur gefährdet

Vor dem Hintergrund der Ereignisse wird auch diskutiert, wie die kritische Infrastruktur besser geschützt werden kann. Bei Pipelines oder auch Kommunikationsnetzen, die Tausende Kilometer lang unter der Meeresoberfläche verlaufen, ist dies jedoch nur bedingt und schon gar nicht vollumfänglich möglich. Grundsätzlich ist ein Anschlag auf eine Pipeline ein Szenario, das immer im Bereich des Möglichen lag.

Der "Spiegel" hatte am Dienstag über eine Warnung des US-Geheimdienstes CIA vor einem Anschlag dieser Art berichtet. Wie das ARD-Hauptstadtstudio aus Fraktionskreisen des Bundestags erfuhr, wird diesem Warnhinweis von den deutschen Sicherheitsbehörden keine besondere Relevanz beigemessen. Tatsächlich traf der CIA-Hinweis bereits Anfang Sommer ein und liegt damit mehrere Monate zurück. Darüber hinaus sei er sehr diffus gewesen und bereits von der CIA als eher unglaubwürdig eingestuft worden, heißt es.

Vor Angriffen auf die deutsche Infrastruktur warnen die Sicherheitsbehörden bereits seit Ausbruch des Krieges. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte nun, der Fall Nord Stream zeige erneut, wie stark äußere und innere Sicherheit zusammenhängen. "Wir müssen uns auf Szenarien einstellen, die bis vor kurzem kaum denkbar waren".

Als besonders hoch gilt seit Kriegsausbruch das Risiko von Cyberangriffen auf die kritische Infrastruktur in Deutschland. In Sicherheitskreisen hält man aber auch physische Angriffe auf deutschem Boden für denkbar, etwa durch eingeschleuste russische Spezialkräfte.