Zahlen des Verfassungsschutzes für 2008 Die extreme Rechte radikalisiert sich

Stand: 25.03.2009 21:27 Uhr

Zwar ist die Zahl der Rechtsextremisten im vergangenen Jahr insgesamt zurückgegangen - die Zahl der offen auftretenden Neonazis aber nahm zu. Und die besonders gewaltbereiten und radikalen Gruppen haben einen großen Zulauf - so eine Erkenntnis des Verfassungsschutzes.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

Die Zahl der Rechtsextremisten in der Bundesrepublik ist nach Angaben des Verfassungsschutzes im Jahr 2008 um 1000 auf 30.000 gesunken. Dies geht aus dem Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg hervor. Das Amt legte diese Zahlen vor, obwohl die aktuellen Zahlen vom Bundesamt für Verfassungsschutz noch gar nicht veröffentlicht sind. Die Behörde tut dies für das abgelaufene Jahr gewöhnlich erst im Mai.

Die Zahl der offen auftretenden Neonazis ist den Angaben zufolge bundesweit von 4400 auf 4800 gestiegen - während die rechtsextremen Parteien mit Mitgliederschwund zu kämpfen haben. Die NPD verlor 200 Mitglieder und liegt nun bei 7000. Dies deckt sich mit den Informationen der Partei, die Parteisprecher Klaus Beier auf Anfrage von tagesschau.de jüngst bekanntgab. Die Zahl der DVU-Mitglieder sank laut Verfassungsschutz deutlich von 7000 auf jetzt 6000.

Weniger Nazi-Skinheads, mehr "Autonome Nationalisten"

Zur rechtsextremen Skinhead-Szene können laut Bericht bundesweit insgesamt 9500 Personen gezählt werden. Dies sind zwar 500 weniger als im Vorjahr: "Der personelle Schrumpfungsprozess in der als jugendliche Subkultur einzustufenden rechtsextremistischen Skinheadszene ist umso bemerkenswerter, da andere Erscheinungsformen des Rechtsextremismus nach wie vor eine fatale Attraktivität auf manche Jugendliche ausstrahlen", heißt es in dem Bericht.

Die große Anziehungskraft eben dieser "anderen Erscheinungsformen" werde "allein schon dadurch unter Beweis gestellt, dass der baden-württembergische Landesverband der Jungen Nationaldemokraten (JN, die Jugendorganisation der NPD, Anm. d. Red) seine Mitgliederzahl seit 2005 mehr als verdoppeln konnte und außerdem mit den neonazistischen "Autonomen Nationalisten" (AN) eine neue, jugendlich geprägte Erscheinungsform des deutschen Rechtsextremismus überhaupt erst in den letzten Jahren im Bund und im Land aufgetreten ist." Die AN-Aktivisten sind eine junge Erscheinung in der Szene - und sie gelten als besonders gewaltbereit.

Rechnung ohne die Republikaner

Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) ist über den anhaltenden Zulauf zur Neonazi-Szene und vor allem zu der NPD-Jugendorganisation besorgt. Die Zahl der Rechtsextremisten insgesamt allerdings habe sich seit 1993 im Bund und in seinem Bundesland halbiert, berichtete der Minister. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass die Republikaner seit 2007 nicht mehr gesondert in den Verfassungsschutzberichten ausgewiesen werden. Dadurch war die Zahl der Personen, die der Verfassungsschutz als Rechtsextremisten einstuft, von 2006 auf 2007 auf einen Schlag um 6000 Personen gesunken.

NPD ohne verdeckte Ermittler nicht arbeitsfähig?

Rech hatte Anfang März für Aufsehen gesorgt, nachdem er laut Medienberichten in einer Rede gesagt hatte: "Wenn ich alle meine verdeckten Ermittler aus den NPD-Gremien abziehen würde, dann würde die NPD in sich zusammenfallen." Der SPD-Landtagsabgeordnete Stephan Braun warf Rech daraufhin vor, er erwecke den Eindruck, dass die NPD nur noch durch verdeckte Ermittler der Polizei und V-Leute am Leben erhalten werde. Der Experte für Rechtsextremismus forderte den CDU-Politiker in einer Anfrage im Landtag auf, zu dem Vorgang Stellung zu nehmen.

Deutlich höhere Zahlen?

Auch die Angaben des Verfassungsschutzes zum rechtsextremen Personenpotenzial - die ohnehin zumindest teilweise auf Schätzungen beruhen - wurden zuletzt kritisch hinterfragt. Der Kriminologe Christian Pfeiffer war in einer Studie zu deutlich höheren Zahlen gekommen als der Geheimdienst. Demnach ist jeder zwanzigste Neuntklässler in einer "rechten Gruppe". Daraus ergeben sich insgesamt Zahlen von mehreren Zehntausend Mitgliedern bei "rechten Gruppen".

Pfeiffer betonte auf Nachfrage, diese Werte seien selbstverständlich richtig. Der Verfassungsschutz habe kein vollständiges Bild, so der Kriminologe gegenüber der "taz".