Hintergrund

Neonazis marschieren in Dresden auf Was steckt hinter dem Kampf um die Straße?

Stand: 12.02.2010 20:22 Uhr

Öffentlichen Raum besetzen und braune Propaganda unters Volk bringen, das sind die Ziele rechtsextremer Demonstrationen. Tausende Neonazis wollen heute in Dresden einen "Trauermarsch" begehen - und so Deutschlands historische Verbrechen relativieren. Ausschreitungen werden erwartet.

Von Patrick Gensing, tagesschau.de

In der rechtsextremen Bewegung spielen Aufmärsche ohnehin eine überragende Rolle - aber Dresden ist zum Fixpunkt des Veranstaltungsjahres geworden. Zu diesem Anlass kommen Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet und sogar aus dem Ausland zusammen; gemeinsame Erlebnisse wie Konfrontationen mit politischen Gegnern und der Polizei sollen die Szene zusammenschweißen und interne Streitigkeiten verwischen. Auch Aussteiger berichten immer wieder: Neben der Musik gehören Aufmärsche zu den wichtigsten Terminen in der rechtsextremen Erlebniswelt. Nach innen sowie nach außen soll Stärke demonstriert werden.

Die braunen Strippenzieher nennen dieses Konzept "Kampf um die Straße". Die Bewegung will öffentlichen Raum besetzen und die braune Propaganda unters Volk bringen. Dies geschieht mit einer bemerkenswerten Ausdauer. Im vierten Quartal 2009 zählte die Bundesregierung 32 Veranstaltungen von Rechtsextremisten mit "überregionaler Teilnehmermobilisierung". Der größte Aufmarsch fand in Leipzig statt, wo rund 1350 Neonazis - viele aus dem Spektrum der "Autonomen Nationalisten" - auf die Straße gingen. Nach mehreren Angriffen auf Polizisten wurde der Aufmarsch abgebrochen - und Hunderte Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Auch bei einer Neonazi-Demonstration in Berlin im Oktober propagierten die Teilnehmer offen Gewalt. Hier wurden über Lautsprecher Namen und Adressen von Linken vorgetragen, die Demonstration stand unter dem bezeichnenden Motto "Vom Nationalen Widerstand zum Nationalen Angriff".

Relativierung der deutschen Verbrechen

Die herausragende Bedeutung des Aufmarsches in Dresden zeigt sich am deutlichsten an der Teilnehmerzahl: 2009 nahmen rund 6000 Rechtsextremisten teil, in diesem Jahr könnten es noch mehr werden. Die Szene hofft bereits, die Marke von 10.000 zu knacken. Bei dem "Trauermarsch" soll die historische Schuld Deutschlands relativiert werden. Und das Thema "Deutsche als Opfer" zieht in extrem rechten Kreisen enorm, selbst sonst rivalisierende Organisationen und Kader legen ihre Streitigkeiten vorübergehend bei. Denn die Relativierung der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg ist eines der zentralen Themen der Rechtsextremen.

Zudem wollen sie den Begriff Holocaust umdeuten: Fast genau vor fünf Jahren hatte der NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel erstmals vom "Bomben-Holocaust" gesprochen - im Landtag in Dresden. Solche Signale kommen in der Bewegung gut an. Und so reisen sogar Rechtsextreme aus dem Ausland in die sächsische Landeshauptstadt; insgesamt seien 160 Busse von Kadern des "Nationalen Widerstands" angemietet worden, wird auf einem eigens eingerichteten Neonazi-Twitter-Kanal verbreitet.

Gefährliche An- und Abreise

Auch wenn es weniger Busse sein sollten: Auf vielen Autobahnraststätten drohen Zusammenstöße zwischen Neonazis und Gegendemonstranten, denn auch diese reisen aus dem gesamten Bundesgebiet nach Dresden, um sich den Neonazis in den Weg zu stellen. Bereits im vergangenen Jahr gab es mehrere Angriffe, unter anderem auf einen Bus von Gewerkschaftern aus Hessen.

Dementsprechend freuen sich die Neonazis vor dem "Trauermarsch" bereits auf "Action", wie es in den einschlägigen Foren heißt. Ein Rechtsextremist schreibt, "die Antifa wird mit ihren lächerlichen Blockaden von maximal 6000 Teilnehmern wenig Erfolg haben. Entweder die Bullen werden diese Bazillen entfernen, oder über 10.000 Nationale Sozialisten. […] Die größte Demonstration der nationalen und sozialistischen Bewegung wird diese jüdisch-bolschewistische Republik die Augen öffnen."

"Symbol fehlgeschlagener Gedenk-Kultur"

Als besonders brisant könnte sich die mögliche Demonstrationsroute der Neonazis erweisen: So dürfen Tausende von Rechtsextremisten durch das alternative Viertel Dresden-Neustadt ziehen. Zudem stößt es besonders auf Kritik, dass sich die Neonazis an einem Bahnhof sammeln sollen, von dem die Nationalsozialisten Dresdner Juden in die Vernichtungslager abtransportiert hatten. Politiker von SPD, Grünen und Linkspartei zeigten sich empört. Das Auschwitz-Komitee kritisierte, Dresden sei zu einem Symbol fehlgeschlagener "Gedenk-Kultur" geworden.