
Kastration Dürfen Bauern bald Ferkel betäuben?
Stand: 29.03.2019 05:05 Uhr
Landwirtschaftsministerin Klöckner will, dass Schweinehalter ihre Ferkel künftig vor einer Kastration selbst narkotisieren dürfen. Tierärzte protestieren vehement dagegen.
Von Oda Lambrecht, NDR
Jedes Jahr werden in Deutschland etwa 20 Millionen Ferkel kastriert. Der Grund dafür: Fleisch von unkastrierten Ebern kann in wenigen Ausnahmen stinken. Ab 2021 dürfen die Tiere zumindest nicht mehr ohne Betäubung operiert werden. Doch das wirft neue Probleme auf. Denn eine Narkose ist aufwändig und teuer.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat nun eine Verordnung auf den Weg gebracht, laut der Landwirte künftig einen Schnellkurs im Umgang mit dem gerade erst zugelassenen Narkosemittel Isofluran bekommen sollen. Sie dürften dann ihre Ferkel selbst narkotisieren - was bislang Tierärzten vorbehalten ist.
Tierärztin: "Nicht zu verantworten"
Nicht zu verantworten sei das, sagt Inge Böhne. Sie führt eine Tierarztpraxis in der Nähe von Osnabrück. Zu ihren Kunden gehört auch ein Landwirt, der an einem speziellen Tierschutzprogramm teilnimmt und der deshalb schon jetzt seine Ferkel vor der Kastration narkotisieren lässt.
Inge Böhne zeigt, wie es funktioniert. Sie legt ein Ferkel auf den Rücken in eine kleine Plastikwanne, klemmt die Hinterbeine mit einem Bügel fest und drückt die winzige Schnauze in eine enge Atemmaske. Während das Narkosegas einströmt, beobachtet sie das Tier konzentriert. Langsam erschlaffen die Beine. Böhne prüft, dass das Ferkel keine Reflexe mehr zeigt und durchtrennt dann die Samenstränge.
Neue Verordnung zur Ferkelkastration sorgt für Diskussionen
tagesschau 12:00 Uhr, 29.03.2019, Oda Lambrecht, NDR
Landwirtschaftministerium hält es für vertretbar
Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) hält es für vertretbar, dass Landwirte diese Aufgabe übernehmen. Es seien stark standardisierte, relativ einfache Vorgänge, erklärt Staatssekretär Hermann Onko Aeikens und weist darauf hin, dass ja Tierärzte nicht mehrere Jahre Anästhesie studierten, sondern sich mit vielen Dingen beschäftigten. Und wenn er den Vergleich mit der Humanmedizin ziehe: Da werde auch nicht alles vom Arzt gemacht, sagt Aeikens. Die Tierärzte dagegen betonen, dass es unter den Medizinern sogar Spezialisten für Narkosen gebe: die Anästhesisten.
Auch der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, kann die Proteste der Tierärzte nicht nachvollziehen. Er findet die Intiative von Ministerin Klöckner, Tierhaltern die Narkose selbst zu ermöglichen, richtig. "Wir sagen, es gehört deshalb in Landwirtehand, weil die Landwirte es können", sagt Krüsken. Landwirte arbeiteten jeden Tag am Tier und bräuchten dafür keinen Tierarzt, so der Branchenvertreter.
Dem widerspricht Inge Böhne heftig. Es gehöre eine Menge tiermedizinischer Sachverstand dazu, um zum Beispiel beurteilen zu können, ob ein Tier überhaupt belastbar und narkosefähig sei. Sie hebt ein weiteres Ferkel in die Höhe: "Dieses Tier werde ich jetzt nicht kastrieren." Das Ferkel sei zu klein, habe Durchfall, das sei für die Narkose auf keinen Fall geeignet, erklärt die Tierärztin. Das Ziel sei, dass die Tiere schmerzfrei operiert werden könnten, so Böhne. Wenn die Narkose nicht mit dem nötigen Sachverstand vorgenommen würde, wäre das ganze Verfahren nur Augenwischerei.
Tierarzt-Verbände protestieren
So sehen es auch die Berufsverbände der Veterinäre und protestieren gegen das Vorhaben der Landwirtschaftsministerin. Der Bundesverband Praktizierender Tierärzte weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass es bei der Narkose auch zu Zwischenfällen kommen könne. Das erfordere umfangreiches Fachwissen. Auch die Bundestierärztekammer sagt, die Durchführung einer Vollnarkose gehöre in die Hand eines Tierarztes.
Bei der ganzen Debatte geht es auch um die Kosten. Denn ein Tierarzt muss bezahlt werden. Und die Schweinehalter stünden unter Druck, sagt Bauernverbands-Vertreter Krüsken. Außerdem weist er darauf hin, dass es seiner Einschätzung nach gar nicht genügend Tierärzte gibt, um die Millionen Ferkel zu kastrieren. Schon allein deshalb sei der Landwirt darauf angewiesen, es selbst machen zu können.
Andere Möglichkeiten als Kastration
Es stünden tatsächlich weder ausreichend Geräte noch genügend Tierärzte zur Verfügung, sagt Karl-Heinz Waldmann von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Er ist Vorsitzender des Ausschusses Schwein der Bundestierärztekammer. Waldmann weist aber darauf hin, dass es gar nicht nötig sei, alle Ferkel zu kastrieren. Schlachtunternehmen könnten stinkendes Fleisch aussortieren. Eine andere Möglichkeit ist, Eber gegen den Geruch zu impfen. Aus Tierschutzsicht sei die sogenannte Immunokastration die optimale Alternative, heißt es in einer Stellungnahme des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit. Denn die Tiere würden dadurch auch ruhiger, weniger aggressiv.
Auch Handel und Schlachtkonzerne in der Verantwortung
Die Tierärztin Inge Böhne wünscht sich ebenfalls ein Ende der Ferkelkastration, damit die Schweine unversehrt blieben. Der Generalsekretär des Bauernverbands, Krüsken, sieht dafür die Verantwortung jedoch bei der Fleischindustrie und dem Lebensmittelhandel. Sie nähmen Eber und geimpfte Tiere nur zögerlich ab - offenbar aus Angst, die Verbraucher könnten das Fleisch ablehnen. Auch BMEL-Staatssekretär Aeikens erklärt, es gebe noch Ressentiments von Handel und Verarbeitern gegenüber der Ebermast.
Mehrere Schlachtunternehmen teilten dagegen auf Anfrage mit, sie akzeptierten alle Methoden. Und der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels schreibt, über den gesamten Handel betrachtet würden alle Verfahren akzeptiert, die gesetzlich erlaubt seien. In Bezug auf die einzelnen Methoden würden die Unternehmen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte setzen.
Tatsächlich wird aber nach wie vor die Mehrheit aller männlichen Ferkel kastriert und das obwohl Bauern, Handel und Fleischindustrie sich bereits 2010 auf europäischer Ebene darauf geeinigt hatten, dass ab 2012 kein Ferkel ohne Betäubung kastriert werden sollte. Ab 2018 sollte nach dieser Branchenerklärung komplett Schluss sein mit der Kastration. Doch davon scheint die gesamte Branche noch weit entfernt.
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