Interview

Interview mit Soziologin "Marmorkuchen reicht nicht mehr"

Stand: 10.05.2015 04:17 Uhr

Zum Kindergeburtstag müssen es selbst gebastelte Einladungen sein, Marmorkuchen ist nicht mehr genug. Mütter sollen immer mehr leisten, das verursacht Frust und manche bereuen das Mutterdasein. Die Gründe dafür erklärt die Soziologin Christina Mundlos.

tagesschau.de: 23 Frauen sagen in einer Studie öffentlich, dass sie es bereuen, Mutter zu sein und weltweit entspinnt sich eine Diskussion. Ist die Debatte überhitzt?

Christina Mundlos: Dass die Debatte in dieser Wucht ausgebrochen ist, zeigt, dass es ein Thema ist. Gleichzeitig bedeutet das nicht, dass es ein Massenphänomen ist. Viele Frauen sind aber unzufrieden, sie ärgern sich über Partner, Gesellschaft, andere Mütter oder die Politik - und machen jetzt dieser Unzufriedenheit Luft. Dazu trägt die Studie bei, auch weil sie das Extrembeispiel der bereuenden Mütter aufgreift.

tagesschau.de: Ist es nicht vielmehr ein Defekt oder eine psychische Erkrankung, wenn eine Frau die Mutterschaft bereut?

Mundlos: Diese Vorstellung, dass da eine Krankheit oder ein Defekt dahintersteht, sagt etwas über unser Mutterbild aus. Wir halten es offenbar für so natürlich, dass Frauen durch Kinder einfach nur Glück erfahren und es für sie sinnstiftend ist, dass wir es nicht im Kopf zusammenbringen, wenn es nicht so ist.

Zur Person

Die Soziologin Christina Mundlos arbeitete im Gleichstellungsbüro der Universität Hannover und leitete dort zuletzt das Familienservicebüro. Heute ist die Mutter von zwei Kindern als freiberufliche Autorin tätig. Für Aufsehen sorgte ihr Buch "Mütterterror - Angst, Neid und Aggressionen unter Müttern".

tagesschau.de: Mehreren Studien zufolge machen Kinder die meisten Eltern erst einmal nicht glücklich. Zudem ist der Nachwuchs heute, anders als früher, eher ein wirtschaftlicher Nachteil als ein Vorteil. Warum bekommen wir dennoch weiter Kinder?

Mundlos: Eng verknüpft mit der Vorstellung von einem vollständigen Leben ist, etwas von sich weiterzugeben. Dazu tragen auch die Medien bei: Überpräsent sind Bilder von glücklichen Familien wie aus der Magarine-Werbung. Es gibt aber auch Menschen, die das nicht wollen oder in anderen Lebensformen zusammen leben möchten. Und Mütter sind nicht notwendigerweise die glücklicheren Menschen. Das ist das Missverständnis und deswegen schlagen die Wellen so hoch, wenn Mütter erklären, dass sie ihren Kinderwunsch bereuen.

"Marmorkuchen mit Smarties reicht nicht mehr"

tagesschau.de: Sind Mütter heute unzufriedener als früher?

Mundlos: Mütter waren schon in den 50er-, -60er und 70er-Jahren teils unzufrieden. Wir wissen, dass sie damals unter der Ladentheke Valium bekommen haben, um den 24-Stunden-Job meistern und dabei noch möglichst zufrieden wirken zu können. Aber die Ansprüche haben in den vergangenen 20 bis 30 Jahren zugenommen. Frauen sind heute oft berufstätig und wollen dennoch all die Aufgaben, die früher nicht arbeitende Mütter erledigt haben, genauso meistern.

Außerdem kamen Aufgaben hinzu: Schultüten und Einladungen sollen nun selbst gebastelt werden, zum Kindergeburtstag reicht der Marmorkuchen mit Smarties nicht mehr aus. Viele laufen permanent einem Ideal hinterher, das sie nicht erreichen können.

"Früher haben Kinder vor sich hingespielt"

tagesschau.de: Frauen können heute bezahlt in Elternzeit gehen, Teilzeitmodelle sind weit verbreitet, Arbeitszeiten haben sich nominell verkürzt. Warum haben viele dennoch das Gefühl, zu wenig Zeit mit ihren Kindern zu verbringen?

Mundlos: Das liegt auch daran, dass noch vor 20 Jahren Kinder einfach vor sich hingespielt haben. Heute sollen Kinder permanent bespaßt und gefördert werden, dazu hat auch die Politik beigetragen. Es herrscht der Anspruch, dass die Mutter ihre Aufmerksamkeit ununterbrochen direkt auf das Kind richtet und sich nicht mal hinsetzt und einen Blick in die Zeitung wirft oder ein Telefonat führt.

tagesschau.de: Wieso setzen Frauen sich diesen hohen Ansprüchen aus?

Mundlos: Anerkennung ist ein menschliches Grundbedürfnis. Für Frauen gibt es in unserer Gesellschaft wenige Möglichkeiten, diese zu erlangen, die Vorgaben dafür sind sehr eng gefasst. Wenn sich eine Mutter den Vorgaben entzieht und etwa Tiefkühl-Donuts zum Kindergartenfest mitbringt oder wegen einer Dienstreise nicht zum Elternabend kommt, dann reden andere Eltern nicht mit ihr und Erzieher oder Lehrer kommentieren das entsprechend. "Mutter XY war schon länger nicht mehr im Kindergarten", heißt es dann. Eine Mutter, die sich diesem Aufgabenkatalog entzieht, wird schon mal als asozial betrachtet.

Mütter können sich Arbeiten nicht leisten

tagesschau.de: Würde es dann vielen nicht helfen, weniger zu arbeiten, um als Mutter zufriedener zu sein?

Mundlos: Berufstätigkeit kann Mütter durchaus glücklich machen. Die Probleme sind dann anders gelagert. Die arbeitenden Frauen sind unzufrieden, weil die Vereinbarkeit mit der Familie nicht funktioniert. Sie stehen oft kurz vor dem Burnout, auch, weil sie sich vom Partner im Stich gelassen fühlen. Die Frauen, die sich aus dem Grund gegen einen Beruf entscheiden, oder weil sie keinen Betreuungsplatz bekommen, sind genauso unzufrieden, weil sie gern berufstätig sein würden. 96 Prozent der Mütter wollen berufstätig sein und viele empfinden es als harten Kompromiss oder Einschränkung, wenn sie es lassen. Beides kann zu großer Unzufriedenheit führen.

tagesschau.de: Kann der Staat helfen?

Mundlos: Vor allem alleinerziehende Frauen haben ihren Handlungsspielraum längst vollständig ausgereizt. Sie fühlen sich im Stich gelassen - nicht nur vom Partner, sondern auch von der Politik. Hier gebe es mehrere politische Maßnahmen, die man ergreifen könnte. Eine der wichtigsten: mehr und günstigere Betreuungsplätze. In Schweden etwa kostet der Platz für das erste Kind drei Prozent des Bruttoeinkommens, gedeckelt bei 137 Euro. So müssen Frauen nicht aus finanziellen Gründen zu Hause bleiben.

Väter können flüchten

tagesschau.de: Frauen müssen aus finanziellen Gründen zu Hause bleiben?

Mundlos: Es heißt oft, Frauen müssten arbeiten gehen, weil sie es sich nicht leisten können, zu Hause zu bleiben. Oft ist es aber genau umgekehrt. Durch das Betreuungsgeld sowie das Ehegattensplitting wird das Zuhause-Bleiben subventioniert. Bei einer Berufstätigkeit fehlen schon allein durch diese staatlichen Maßnahmen mehrere Hundert Euro im Monat. Darüber hinaus kostet der Betreuungsplatz oftmals 500 bis 600 Euro, dazu kommen dann noch Ausgaben etwa für Sprit. Man kann sich also gut vorstellen, wie viele Frauen es gibt, die es sich nicht leisten können, arbeiten zu gehen - obwohl sie gerne würden.

tagesschau.de: Warum gibt es kein #regrettingfatherhood?

Mundlos: Väter merken durchaus, dass es anstrengend ist, aber sie haben andere Handlungsstrategien. Wir wissen aus Studien, dass sie nach der Geburt des ersten Kindes oft deutlich mehr Stunden am Arbeitsplatz verbringen und teils deutlich mehr Zeit für Hobbys aufbringen als vor der Geburt des Kindes. Bei den Vätern wird das oft akzeptiert. Sie können sich so ein bisschen aus der Verantwortung stehlen und flüchten, so kommen sie gar nicht an den Punkt, wo sie sagen: Mir wird das alles zu viel, ich bereue, Vater geworden zu sein. Stellen Sie sich dagegen vor, eine Mutter sagt: heute Abend bin ich beim Chor-Singen, morgen treffe ich mich mit meinen Freundinnen auf einen Cocktail und danach bin ich zwei Tage beruflich unterwegs. Das wäre gesellschaftlich nicht akzeptiert

Das Interview führte Michael Stürzenhofecker, tagesschau.de