
Diebstahl und Kartoffelbrei Wie Museen ihre Kunstwerke schützen
Spektakuläre Diebstähle wie im Grünen Gewölbe oder Kartoffelbrei-Attacken radikaler Klimaschützer: Brauchen Museen bessere Schutzmaßnahmen für ihre Kunstwerke? Wie sind die Schätze eigentlich versichert?
Es war der größte Keltenschatz, der im 20. Jahrhundert gefunden wurde. Fast vier Kilo Gold. Wissenschaftlicher Wert: unbezahlbar. Auch drei Wochen nach dem Diebstahl des Schatzes von Manching gibt es keine Spur, wo er geblieben ist. Ein Schock für die Marktgemeinde, in deren Eigentum sich der Schatz befand. Aber auch für alle anderen Museen in Deutschland. Was wurde versäumt? Wie sicher sind Kunst und Kulturgüter? Und: Stimmt es, dass viele Museen gar keine Versicherung haben?
Ob Berlin, Dresden oder Manching: Die Gefahr bestohlen zu werden, teilen alle Museen. Die Diebe sind organisiert, professionell und dreist. Viele Museen schweigen zu dem Thema aber lieber. Auf Anfrage von tagesschau.de bei zwei Dutzend Institutionen gibt es kaum Antworten oder oft nur diese: Über die Sicherheit möchte man nicht sprechen.
Mehrere Sicherheitssysteme greifen ineinander
Einige gaben aber Auskunft, das Landesmuseum Hannover zum Beispiel. Man nehme die Bedrohung durch Diebstahl sehr ernst. Es gebe eine 24-stündige Bewachung und eine neue Alarmanlage. Die kostbarsten Objekte sind zudem in Sicherheitsvitrinen untergebracht. "Es gab nach dem Raub in Dresden Sondermittel für solche Vitrinen", sagt Pressesprecherin Nicola Kleinecke.

Das Landesmuseum Hannover hat seine Sicherheitsvorkehrungen verschärft.
Einen hundertprozentigen Schutz werde es aber nicht geben, sagt Sonja Mißfeldt, Medienbeauftragte vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. "Museen haben die Aufgabe, Kulturgut zu schützen und zu bewahren, aber auch es der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das wollen wir auch weiterhin tun."
Es gebe mehrere Sicherheitssysteme, die ineinandergreifen, sagt Mißfeldt: "bauliche Maßnahmen, mechanische Sicherungen, eine hochmoderne Überwachungsanlage, außerdem Personen, die für die Sicherheit unserer Werke zuständig sind." Rund um die Uhr ist Wachpersonal vor Ort. Das alles kostet viel Geld. Selbst ein erfolgreiches Museum wie das Germanische Nationalmuseum bräuchte zusätzliche Mittel für Sicherheit.
Im Sicherheitsgewerbe fehlt Personal
"Natürlich verzichten wir nicht auf den Menschen. Es gibt Wächter: 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr", sagt auch Frank Matthias Kammel, Direktor des Bayerischen Nationalmuseums in München.
Nach dem Einbruch im Historischen Grünen Gewölbe nahm man in Dresden bauliche, technische, organisatorische und personelle Veränderungen im Sicherheitsbereich der Staatlichen Kunstsammlungen (SKD) vor. Die Überwachung rund um die Uhr wurde nach 2019 noch verstärkt. SKD-Pressesprecher Holger Liebs weist aber darauf hin, dass "dem Sicherheitsgewerbe derzeit bundesweit geschätzte 12.000 Beschäftigte fehlen". Die Pandemie hat die Situation verschärft.

Der Einbruch in das Grüne Gewölbe zeigte, wie verletzlich Sicherheitssysteme sein können.
Hausverbote für Klima-Aktivisten
Doch nicht nur Raub, auch tätliche Angriffe von radikalen Klima-Aktivisten stellen die Museen vor Herausforderungen. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden beobachten die nationale und internationale Sicherheitslage in den Museen. Bereits nach den ersten Aktionen, wie dem Tortenwurf auf die Mona Lisa im Louvre in Paris und den Klebeaktionen in London und Glasgow, wurden Maßnahmen zum Schutz der Kunstwerke umgesetzt. "Zu den Maßnahmen zählen unter anderem die Verglasung von gefährdeten Werken, ein Verbot von Taschen, Jacken und Mänteln sowie die kontinuierliche Schulung des Aufsichtspersonals", berichtet Pressesprecherin Anja Priewe.
Gegenüber den Aktivisten der "Letzten Generation" wurden Hausverbote für alle Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ausgesprochen. "Letztlich können aber bei Wahrnehmung des musealen Auftrages derartige Klebeaktionen nicht zu 100 Prozent verhindert werden, ohne den Museumsbetrieb unzumutbar einzuschränken", sagt Priewe. "Eine Präsentation der Kunstwerke zeigt diese in ihrer Verletzlichkeit, was kein Sicherheitskonzept vollständig kompensieren kann. Hauptaugenmerk ist daher die bestmögliche Verhinderung von Schäden am Kunstwerk und die Vermeidung von Folgeschäden."

Zwei Aktivisten hatten sich im August an den Rahmen von Raffaels "Sixtinischer Madonna" in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden geklebt.
Wegen der föderalen Strukturen gibt es bundesweit keine Einheitlichkeit, wer für die Sicherheit in den Museen zuständig ist. In den meisten Bundesländern berät das jeweilige Landeskriminalamt die Museen. Aber was die Museen dann umsetzen, entscheiden sie in der Regel selbständig. Die Diebstähle in Berlin, Dresden und Manching zeigen, dass jedes Museum gut beraten ist, das eigene Sicherheitskonzept regelmäßig zu überprüfen.
"Das eigentlich Unvorstellbare beleuchten"
Der Versicherungskonzern Allianz gehört zu den größten Kunstversicherern in Deutschland. Deren Rat: Bei der Diebstahl-Prävention immer vom "Worst-Case-Szenario" auszugehen. "Meine Empfehlung ist, bei einem Sicherheitsreview immer auch das eigentlich Unvorstellbare zu beleuchten", sagt Eric Wolzenburg, Leiter Kunstversicherung bei der Allianz. "Eigentlich unvorstellbare Diebstähle können immer nur mit besonderem Insiderwissen geplant und ausgeführt werden. Bei Dresden und Manching waren zudem beide Male Infrastrukturen außerhalb der Museumsgebäude betroffen, deshalb erscheint mir ein Ansatz bedeutsam, bei dem Risikoaspekte vom Anfang bis zum Ende betrachtet werden."
Wolzenburg rät den Museen dringend zu einer Nachtwache und sich nicht ausschließlich auf die Technik zu verlassen. "Das geht auf Dauer erfahrungsgemäß immer schief." Insiderwissen sei ebenfalls ein "relevanter Risikofaktor". Im Bereich der Kunst- und Ausstellungsversicherung führt er mittlerweile mehrere Hundert Gespräche pro Jahr.
Museumsdirektor Kammel rät nach den Erfahrungen von Manching: "Zyklisch gemeinsam mit Experten der Kriminalpolizei das jeweilige Haus und seine Sicherheit evaluieren. Und aus Fehlern, neuen Situationen und bisher nicht gekannten kriminellen Machenschaften lernen und darauf mit konkreten Maßnahmen reagieren."

Frank Matthias Kammel rät zu regelmäßiger Überprüfung des Sicherheitskonzeptes.
Lieber sichern als versichern
Erstaunlich ist, dass viele Museen in Deutschland ihre Schätze gar nicht versichert haben. "Bei den Landesmuseen gibt es ein besonderes Konstrukt. Hier greift die Landeshaftung", sagt Kleinecke vom Landesmuseum Hannover. Bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gilt der Selbstversicherungsgrundsatz. Die Gegenstände sind nicht privatwirtschaftlich versichert, sondern auch hier tritt der Freistaat Sachsen im Schadensfall ein. Die sogenannte Staatshaftung gilt so oder ähnlich für alle staatlichen Einrichtungen in den Ländern und im Bund.
Die Selbstversicherung gilt allerdings nicht im Leihverkehr. In diesem werden kommerzielle Versicherungen abgeschlossen. "Wie es die Museen mit den Versicherungen regeln, ist Sache der einzelnen Museen", sagt Kammel. "Leihgaben und Dauerleihgaben sind grundsätzlich versichert, auch eine Auswahl der eigenen Bestände. Alle Bestände der Museen zu versichern, würde wahrscheinlich jeden Träger jedes Museums haushoch überfordern."
Ohne über die Versicherungssituation am Germanischen Nationalmuseum Auskunft zu geben, sagt Mißfeldt: "Die Frage ist, was man mit einer Entschädigungssumme von der Versicherung tun will. Einen neuen Goldschatz von Manching kaufen? Für Museen liegt der ideelle, also kulturhistorische Wert ihrer Exponate meist erheblich über einem materiellen Sachwert. Die Objekte sind unwiederbringlich, einmalig und damit unbezahlbar. Diesen Verlust kann man gar nicht mit Geld aufwiegen." Viele Museen sagen, ohne dabei zitiert werden zu wollen: Lieber sehr viel mehr Geld in die Sicherung investieren als in die Versicherung.
Leitfaden zu Sicherheitsfragen
Gegen Schäden durch Klima-Aktivisten können sich Museen versichern, sagt Versicherungsexperte Wolzenburg. "Das spezielle Versicherungskonzept einer Ausstellungsversicherung kann die Beschädigung oder sogar die Zerstörung der Kunstwerke umfassend abdecken." Beschädigungen an Kunstwerken habe es immer schon gegeben, so Wolzenburg, sei es nun als willentliche Handlung, oder als unabsichtliche Beschädigung oder Zerstörung. "Ein Kunstwerk bewusst zu beschädigen oder zu zerstören, ist bislang allerdings immer die sehr seltene Ausnahme geblieben, so dass der Großteil der Schäden, die wir im Kunstversicherungsbereich bezahlen, auf Unachtsamkeit zurückzuführen ist."
Der Deutsche Museumsbund hat einen Leitfaden zu Sicherheitsfragen herausgegeben, der in diesen Tagen viel gelesen wird. Die Museen sprechen nicht gerne über ihre Sicherheitskonzepte. Nur einen Satz hört man immer wieder: Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.