Ein Schild weist auf den Gefahrenbereich in einer ehemaligen Bombenabwurfstelle in Mecklenburg hin.
mittendrin

Streubombenräumung Das gefährliche Erbe des Kalten Krieges

Stand: 09.06.2021 15:27 Uhr

Während des Kalten Krieges warf die Rote Armee Hunderte Streubomben über der Wittstock-Ruppiner Heide ab. Seit drei Jahren wird das ehemalige Bombodrom von den Altlasten geräumt - ganz verschwinden werden sie wohl nie.

Von Martin Möller, NDR

Jeden Tag macht sich eine Armada aus 45 Fahrzeugen auf den Weg in das Sperrgebiet des ehemaligen Bombenabwurfplatzes in der Wittstock-Ruppiner Heide. Ein Zehntel aller Munitionsbergungskräfte Deutschlands sind hier im Einsatz, insgesamt 140 Frauen und Männer, bei jedem Wetter.

Vom Wald zur Steppe

Bevor die Rote Armee das mehr als 100 Quadratkilometer große Gebiet 1952 okkupierte, war es mit dichtem Misch- und Kiefernwald bewachsen. Bomben, Granaten und Panzerketten haben den Wald in eine wasserlose Steppenlandschaft verwandelt. Nur langsam erholt sich die Natur - Birken und Kiefern wachsen wieder.

Die letzten Soldaten zogen vor elf Jahren ab, nachdem die Bundeswehr auf die Nachnutzung des Platzes endgültig verzichtet hatte. Die Brandenburger und die Mecklenburger Bürgerinitiativen "Freie Heide" und "Freier Himmel" hatten sich durchgesetzt - juristisch und auch politisch. Eigentümer der Flächen ist weiter der Bund, genauer die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA). Zu der gehört auch die Bundesforstbehörde. Die Förster müssen sich nun um die militärischen Altlasten kümmern. Erste Sondierungen hatten ergeben, dass Blindgänger in bis zu sechs Metern Tiefe liegen.

Eine ehemalige Bombenabwurfstelle in Mecklenburg.

Die Rote Armee baute in der Heide den NATO-Flughafen Bitburg nach.

Bomben auf Bitburg

Systematische Kampfmittelräumung findet bislang aber nur auf einigen Wegen und im Bereich des ehemaligen Scheinflughafens statt. Dort hatte die Rote Armee den NATO-Flugplatz Bitburg nachgebaut und dessen Bombardierung geübt, in den 1980er-Jahren zunehmend auch mit neuartiger Streumunition.

Seit 2010 ist dieser Waffentyp völkerrechtlich geächtet. Auch Deutschland hat sich verpflichtet, sämtliche Streubomben zu vernichten, inklusive Blindgänger. Die gibt es in Deutschland nur in der Wittstock-Ruppiner Heide. Die Verdachtsfläche ist 1200 Hektar groß. Streubombenabwürfe wurden nicht protokolliert, es gibt auch keine Karten. Deshalb muss die gesamte Verdachtsfläche systematisch abgesucht werden.

Ein Mann hält eine gefundene Munition in der Hand.

Rund ein Drittel der Minibomben sind nach dem Abwurf nicht detoniert - können aber immer noch Schaden anrichten.

Ein Drittel detoniert nicht

Abgeworfen werden sowjetische RBK-500 Streubomben aus vier Kilometern Höhe. Sie schweben an einem Fallschirm zu Boden und setzen kurz vor dem Aufprall 565 Minibomben frei, die ShOABs. Diese explodieren einzeln und setzen jeweils Dutzende Metallsplitter frei. Etwa ein Drittel dieser Minibomben bleiben als Blindgänger liegen oder stecken undetoniert im Boden.

Die innenliegenden Zünder und ihr harmloses Aussehen machen sie so gefährlich. In Krisengebieten sind besonders Kinder betroffen. Trotz internationaler Ächtung ist Streumunition weiter im Einsatz - zum Beispiel in Syrien.

Keine munitionsfreie Heide

Bei ersten Schätzungen ging die Bundesforst noch von wenigen Hundert Minibomben aus. Nach drei Jahren sind schon mehr 5300 geborgen worden. Jede einzelne von ihnen verfügt über die doppelte Sprengkraft einer Handgranate. Ein- bis zweimal pro Woche werden die Funde zum Sprengplatz gebracht und vernichtet.

Bis 2025 soll alle Streumunition aus der Wittstock-Ruppiner Heide verschwunden sein und damit auch alle Munition, die bis zu 30 Zentimeter im Boden liegt. Das wird von internationalen Inspektoren kontrolliert. Bomben und Granaten, die tiefer liegen, bleiben aber meistens dort, wo sie sind. Eine Bergung wäre zu aufwändig und zu teuer. Deshalb wird der ehemalige Bombenabwurfplatz wohl für viele Jahrzehnte für die Öffentlichkeit geschlossen bleiben.

Streubomben

Streubomben bestehen aus größeren Geschossen oder Bomben, die viele kleine Sprengsätze enthalten. Diese sogenannten Bomblets oder Submunitionen werden über das Zielgebiet verteilt und explodieren dort.
Problematisch ist die hohe Blindgängerrate vor allem bei älteren Typen: Bis zu 40 Prozent der Bomblets explodieren beim Aufschlag nicht. Die Blindgänger stellen auch nach den Kampfhandlungen eine große Gefahr dar, da sie schon bei Annäherung explodieren können. Vor allem Kinder werden immer wieder durch nicht explodierte Bomblets verletzt oder getötet.
Moderne Munition dieses Typs ist mit Selbstzerstörungsmechanismen ausgerüstet, die die Munition nach einer bestimmten Zeit entschärft oder zur Explosion bringt. Streubomben werden gegen Fahrzeuge, Panzer und Personen eingesetzt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 08. Juni 2021 um 22:15 Uhr.