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tagesthemen mittendrin Helgoland und die Magie der Isolation

Stand: 24.11.2020 16:32 Uhr

Auf Helgoland kennen die Menschen das Leben in der Abgeschiedenheit. In der Corona-Pandemie machen die Bewohner deshalb das, was sie am besten können: Sie nehmen hin - was sich nicht ändern lässt.

Von Malin Girolami, NDR

20 Minuten dauert der Flug von Büsum nach Helgoland. Es rattert heftig, aber die Maschine liegt erstaunlich stabil in der Luft. Auf der Dünenhälfte der Insel landet die Propellermaschine. Ein weiteres Kleinflugzeug kommt noch von Cuxhaven. Dann ist bis zum Montagmorgen Schluss. Das gesamte Wochenende fährt kein Schiff. Auch der Flughafen ist geschlossen. Für die Insulaner ist das im November ganz normal. 

Anflug auf die Helgoländer Düne

Anflug auf die Helgoländer Düne

Die Hauptinsel von Helgoland ist gerade mal einen Quadratkilometer groß. Derzeit leben hier nur die Einheimischen und ein paar Arbeiter. Für alle anderen ist die Insel wegen der Corona-Pandemie gesperrt.

Bislang hat es hier zwei Coronafälle gegeben. Durch Quarantäne und Abstandsregeln hätten sich glücklicherweise keine Infektionsketten gebildet, erzählt der Arzt, Klaus Wogawa. Allerdings gebe durch die dicht an dicht stehenden Häuser schon eine erhöhte Infektionsgefahr. Und ein Ausbruch könnte katastrophale Folgen haben. Intensivbetten für Coronapatienten gibt es in der Inselklinik nicht. 

Helgoland

Die Häuser im Helgoländer Unterland stehen eng beieinander.

Die Stille der Insel

Die lange Anna, ein 47 Meter hoher Felsen an der Steilküste, ist das Wahrzeichen der Insel. Der Wanderweg gehört zu den Höhepunkten für Touristen. Jetzt haben die Helgoländer ihn für sich. Und genau das genießt Anja Widetzki gerade. Sie selbst ist in den 1960er-Jahren auf der Insel geboren, war nie länger weg und kennt jeden der 1500 Einwohner beim Namen. Ihr Vater war Hummerfischer, erst vor drei Jahren hat er sein Boot abgegeben. Sie selbst genießt die Stille auf der Insel.

#mittendrin: Helgoland und der Corona-November

Malin Girolami, NDR, tagesthemen, tagesthemen, 24.11.2020 22:15 Uhr

Im November sei es sowieso immer ruhig, sagt sie. Im Sommer dagegen wird die Insel von Tagesgästen überschwemmt, auch weil die Touristen hier zollfrei einkaufen können. Normalerweise würden viele der Einheimischen deshalb jetzt im November in den Urlaub fahren, Sonne tanken, doch fast alle sind zu Hause geblieben. Und haben beim Einkaufen oder spazieren gehen endlich mal wieder Zeit zum Schnacken.

Autos gibt es hier keine, alles wird zu Fuß erledigt. Die Insulaner sind es gewohnt, dass ein Sturm sie für Wochen vom Festland abschneiden kann. Sie leben damit - genau wie mit den Herausforderungen der Pandemie.

Eine junge Robbe liegt im Sand und kratzt sich.

Willkommene Ruhe: Die Robben auf Helgoland sind derzeit vor Touristen und Naturfotografen sicher.

Das Netz ist weg - kein Telefon geht mehr

Doch dann fällt an diesem Wochenende das komplette Kommunikationsnetz aus. Kein Festnetz, kein WLAN, kein Handyempfang. Und das ist auch für die Insulaner ungewohnt. 

Zunächst sind es nur kurze Ausfälle, doch dann sind mit einem Mal alle Leitungen tot. Sogar die Pieper der Feuerwehr funktionieren nicht mehr. Die Kameraden und Kameradinnen reagieren sofort und organisieren eine Nachtwache.

Sowohl im Oberland als auch im Unterland sind immer zwei Feuerwehrleute im Einsatz. 54 Mitglieder hat die Inselfeuerwehr. Jeder, der kann, übernimmt eine Schicht. Kuchen und Kaffee kommt von der Bevölkerung. Die Inselgemeinde funktioniert. Und von Panik ist nichts zu spüren. Dabei ist die Insel jetzt komplett abgeschnitten - lediglich eine Funkverbindung mit der Leitstelle in Elmshorn funktioniert noch.

Wenig Umsatz bei den Händlern

Auch die Helgoländer reagieren schnell auf den Netzausfall: Im Insel-Supermarkt lässt der Marktleiter anschreiben, weil das EC-System nicht funktioniert. Genau wie der Geldautomat. Sebastian Meinhardt kennt ja alle seine Kunden. Mehr Sorgen machen ihm die fehlenden Touristen. Durch einen guten Sommer habe man die Verluste aus dem ersten Lockdown zwar nicht aufgeholt, aber doch einholen können. Im November aber sei sein Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um fast 50 Prozent eingebrochen.

Vor seinem Lebensmittelladen hat er eine Ampel angebracht. Sobald zwölf Personen im Laden sind, springt sie auf Rot. Hamsterkäufe machten die Insulaner nicht, viele hätten sowieso einen Vorrat - falls mal wieder Schiffe ausfallen. Um die fehlenden Umsätze auszugleichen, überlegt er die Öffnungszeiten zur verkürzen und Kurzarbeit anzumelden. Doch jammern will er nicht, irgendwie geht es ja weiter. Und das scheint die Mentalität bei vielen Ladenbesitzern und Gastromomen zu sein. Sich anpassen, eine Situation, die sich nicht ändern lässt, hinnehmen.  

Kegelrobben im Babyboom

Die Dünenseite der Insel gehört den Kegelrobben. Sie lieben den Strand dort, weil er trotz Gezeiten nicht überflutet wird. Und von November bis Januar ist Gebärzeit. Mehr als 500 Jungtiere kamen in der vergangenen Saison hier zur Welt. Die Robben sind gut geschützt vor allzu begeisterten Touristen und Naturfotografen.

In diesem Jahr bleiben die Muttertiere mit ihren Heulern für sich. Die Biologin Rebecca Ballstaedt vom Verein Jordsand arbeitet eng mit den Rangern von der Gemeinde Helgoland zusammen. Sie zählen die Tiere, kümmern sich um verlassene Jungtiere. Zu viel Trubel und Nähe sei nicht gut für die Kegelrobben, gerade der Nachwuchs würde sich sonst zu sehr an die Menschen gewöhnen. Und der Netzausfall hat den Tieren sogar einen kompletten Tag alleine auf der Düne beschert, weil keine Notrufe möglich waren, ist die Dünenfähre zu den Robbenbänken ausgefallen. 

Segen to go

Seit neun Jahren ist Pamela Hansen Pastorin auf Helgoland. Corona hat auch sie ausgebremst, gemeinschaftliche Aktionen fallen aus. Doch sie hat sich was einfallen lassen, packt kleine Tütchen mit Segenssprüchen und einer Überraschung. Eine kleine Leuchtkugel, als Symbol für den ausgefallenen Martinszug. Und jetzt zum Dezember hat sie Mini-Wollsocken als Adventsschmuck gestrickt. Die Tüten hängt sie dann an den Gartenzaun des Pastorates - als Segen to go.  

Die Pastorin Pamela Hansen teilt "Segen to Go" aus.

Die Pastorin teilt "Segen to Go" aus.

Normalerweise hält sie direkt nach dem Sonntagsgottesdienst noch eine Predigt per Facebook. Doch das geht ohne Internet nicht. Und weil sie auch in der Feuerwehr aktiv ist, lässt sich stattdessen für eine Wachschicht eintragen. Am Nachmittag dann zeigen alle Handys wieder Balken, das Netz funktioniert wieder. Das Problem lag offenbar auf dem Festland.   

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 24. November 2020 um 22:15 Uhr.