Motorradfahrer fahren durch Kürnberg
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tagesthemen mittendrin Der Schwarzwald will seine Ruhe zurück

Stand: 19.06.2022 15:12 Uhr

Permanenter Lärm: Mit ihm leben die Anwohner von beliebten Motorradrouten. Im südlichen Schwarzwald wollen sie sich jetzt wehren. Die Motorradfahrer fühlen sich unter Generalveradacht gestellt.

Mitten im südlichen Schwarzwald liegt Schopfheim-Kürnberg. Ein Dorf mit 230 Einwohnern - so klein, dass es keine Straßennamen gibt, nur Hausnummern. Bei gutem Wetter ragen hinterm Horizont die Alpen hervor. Und gutes Wetter gibt es hier oft. Die Region zählt deutschlandweit die meisten Sonnenstunden im Jahr.

Die Dorfidylle täuscht

Doch gerade das empfindet Anwohnerin Daniela Gempler als Fluch. "Wenn die Sonne scheint am Wochenende, kann ich mich gar nicht freuen. Dann will ich nur noch fliehen." Der Grund: Von ihrem Grundstück aus kann sie Motorradfahrer hören, die häufig kurz vor der Ortsausfahrt ordentlich Gas geben und mit ihren Maschinen röhren.

Sie sei gar nicht per se gegen Motorräder. Ihr Sohn besitze auch eines, so wie viele Jugendliche im Dorf. Sie störe sich aber an den rücksichtslosen Rasern, die die kurvige Straße von Kürnberg nach Gersbach als Rennstrecke nutzten. Einige würden sie mehrmals abfahren, um Streckenrekorde aufzustellen. An schönen Sommertagen seien im Ort 150 Motorräder unterwegs - pro Stunde. Daniela Gemplers Nachbarfamilie hat eine Strichliste geführt.

Motorradfahrer gegen Generalverdacht

Auch Andreas Mikat fährt mit seiner Harley Davidson gerne über die Serpentinen. Er ist ein "Genussfahrer", wie er sagt. "Das ist für mich ein wichtiger Ausgleich zu meiner Arbeit als Pfleger."

Ihn stört es, dass Motorradfahrer unter Generalverdacht gestellt werden. Er halte sich an die Verkehrsregeln, innerorts fahre er langsam und rücksichtsvoll. Aber gesteht auch: "Der Sound gehört für mich dazu." Selbst wenn er mit seiner Harley bei niedriger Geschwindigkeit durch den Ort fährt, ist er nicht zu überhören.

Motorradfahrer auf einer Landstraße bei Kürnberg

Die malerische Landschaft des Schwarzwalds ist bei Motorradfahrern beliebt.

Initiative gegen Motorradlärm

Umweltverbände wie der BUND werfen den Motorradherstellern seit Jahren vor, dass die Motoren im Straßenverkehr lauter seien als auf dem Prüfstand. Leisere Modelle fordert auch die Initiative "Motorradlärm" vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg. Sie will dem Thema auf Bundesebene mehr Gehör verschaffen und liefert einen konkreten Forderungskatalog: strengere Zulassungsregeln, mehr Kontrollen, erhöhte Bußgelder, eine rücksichtsvollere Fahrweise und die Möglichkeit von Fahrverboten in besonderen Konfliktfällen.

Innerhalb von einem Jahr haben sich der Initiative bereits 105 Städte, Gemeinden und Kreise aus Baden-Württemberg angeschlossen. Auch Kürnberg will Mitglied der Initiative werden, denn Schopfheims Bürgermeister Dirk Harscher (parteilos) betont: "Die Kommunalpolitik kommt beim Thema Motorradlärm an ihre Grenzen." Lärmgrenzwerte kämen von der EU, die Straßenverkehrsordnung könne nur der Bund ändern. Harscher deutete es daher als ersten Erfolg, dass der Bundesrat das Thema am 15. Mai auf seine Agenda gesetzt und sich grundsätzlich für die Minderung und Kontrolle von Motorradlärm ausgesprochen hatte. Ein entsprechendes Gesetz hat er jedoch noch nicht verabschiedet.

Fahrverbote nur als letzte Lösung

Immer mehr betroffene Anwohner schließen sich auch in anderen Bundesländern ähnlichen Initiativen an, während die Zahl der Krafträder steigt. Vor 20 Jahren waren 3,3 Millionen Motorräder zugelassen, inzwischen sind es 4,5 Millionen.

Bürgermeister Harscher geht es aber auch um die Sicherheit. Die Zahl der Unfälle steige stetig, allein an die "Rennstrecke" um Schopfheim-Kürnberg werde fast jedes Wochenende ein Krankenwagen gerufen.

An anderen Ecken im Schwarzwald hat man bereits vor Jahren auf Unfallzahlen und Lärmbeschwerden reagiert. Die Stadt Freiburg hat die beliebte Straße auf dem Berg Schauinsland 2001 für Motorradfahrer am Wochenende gesperrt. Das will man in Kürnberg noch verhindern.

Vorerst kein Ende in Sicht

Seit Montag ist die Grenze zur Schweiz wieder offen. Daniela Gempler rechnet damit, dass die Raserei und der Lärm dadurch noch mal zunehmen werden. "Unsere Bußgelder interessieren die Schweizer doch nicht, die lachen darüber."

Sie hofft, dass die örtlichen Behörden durch die Initiative auf die Beschwerden der Anwohner ernst nehmen und auf ihre Forderungen aufmerksam werden: Ein fester Blitzer und häufigere Polizeikontrollen. Sie denkt, dass die Kürnberger nur so den Motorradlärm in den Griff bekommen und wieder die schönen Seiten des Schwarzwald genießen können.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 19. Juni 2020 um 21:45 Uhr.