Angela Merkel

Merkel zu Corona-Lockerungen Keine "Öffnungsdiskussionsorgien"

Stand: 20.04.2020 13:54 Uhr

Wie lange noch? Das fragen sich derzeit viele Deutsche mit Blick auf Corona-Maßnahmen. Kanzlerin Merkel kritisierte dagegen die "Öffnungsdiskussionsorgien" - und warnte vor einem Rückfall bei nachlassender Disziplin.

Kanzlerin Angela Merkel hat die Diskussionen über weitergehende Lockerungen der Beschränkungen im Kampf gegen das Coronavirus außergewöhnlich scharf kritisiert.

Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios machte Merkel in einer Schaltkonferenz des CDU-Präsidiums deutlich, wie unzufrieden sie sei, dass die Botschaft vorsichtiger Lockerungen in einigen Ländern zu "Öffnungsdiskussionsorgien" geführt habe.

Dies erhöhe das Risiko eines Rückfalls sehr stark. Sie mache sich größte Sorgen, dass sich die gute Entwicklung bei den Corona-Infektionen wieder umkehre, weil sich zu wenige Menschen an die Kontaktbeschränkungen halten würden, machte Merkel demnach deutlich. Die Diskussion über Lockerungen sei nicht hilfreich.

Kritik an Lockerungen in Rheinland-Pfalz

Erst am 8. oder 9. Mai werde man einen Überblick darüber haben, wie man in der Wirtschaft vorankomme und wie es in den Schulen aussehe. Merkel habe klar gemacht, dass sie darauf setze, dass sich alle an die bestehenden Kontaktregeln hielten. Sie sei da aber skeptisch.

Hessens Ministerpräsident und CDU-Vize Volker Bouffier sowie die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner kritisierten dem Vernehmen nach das Vorgehen im SPD-geführten Rheinland-Pfalz, wo Zoos und Shopping-Malls wieder öffnen sollten.

Die SPD habe dort auch erlaubt, dass Parteiveranstaltungen wieder stattfinden könnten.

FDP kritisiert Merkel

Kritik an Merkels Äußerungen kam aus der FDP. Parteivize Wolfgang Kubicki sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Auch die Bundeskanzlerin steht nicht über dem Gesetz. Angela Merkel maßt sich in der Corona-Krise Regelungskompetenzen an, die sie nicht hat."

Zuständig seien nach dem Infektionsschutzgesetz die Länder. Diese müssten selbst "sorgfältig abwägen, ob massive Beeinträchtigungen von Grundrechten noch gerechtfertigt" seien, so Kubicki weiter. In Bayern mit einem vierfach höheren Infektionsrisiko müsse das anders behandelt werden als in Schleswig-Holstein. "Es wäre schön, wenn die Bundeskanzlerin die letzten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Kenntnis nehmen würde", sagte Kubicki.

Spahn spricht von "Monaten"

Die Abstandsgebote und verschärften Hygieneregeln werden nach Einschätzung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch lange gelten. Er rechne noch "über Monate" damit, sagte er im ZDF. "Bis es einen Impfstoff gibt, werden wir miteinander und aufeinander aufpassen müssen."

Spahn wies auf die Bedeutung der Gesundheitsämter hin, die die Infektionsketten klären und Kontaktpersonen identifizieren müssen. Kanzlerin Angela Merkel hatte erklärt: "Es muss unser Ziel sein, jede Infektionskette verfolgen zu können." Von Praktikern wird aber beklagt, dass dies nicht gewährleistet ist. "Es hapert an bestimmten Stellen", räumte Spahn ein.

Deshalb wolle man die Gesundheitsämter personell und digital stärken. Geplant sei ein Förderprogramm von bis zu 150.000 Euro von Seiten des Bundes, um die Ämter mit sogenannten Tracking-Apps zur Kontrolle der Quarantäne auszustatten, sagte Spahn. Diese Apps sollten im Laufe des kommenden Monats kommen. Sie müssten aber "bei Datenschutz und Datensicherheit möglichst perfekt sein, bevor wir starten können". 

Verstärkung für Verwaltung geplant

Zur personellen Stärkung der 375 Gesundheitsämter hatten Bund und Länder bereits am 25. März beschlossen, dass in den Ämtern pro 20.000 Einwohner mindestens ein Kontaktnachverfolgungsteam aus fünf Personen eingesetzt werden solle.

Personelle Verstärkung ist danach durch Abordnungen aus anderen Bereichen der öffentlichen Verwaltung geplant. In Gebieten, die besonders stark vom Coronavirus betroffen sind, sollen zusätzliche Teams der Länder und auch der Bundeswehr die Kontaktnachverfolgung und -betreuung unterstützen. 

Kretschmer erwartet mehr Infizierungen

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer geht angesichts der Lockerungen in den Verhaltensregeln von mehr Neuinfektionen aus. "Wir werden auf jeden Fall eine Zunahme von Infektionen erleben", sagt er in der ARD-Sendung Anne Will. Die nun vereinbarten Neuregelungen gingen "an die Grenze dessen, was vertretbar ist", so der CDU-Politiker weiter. In drei Wochen werde man sehen, ob die Schritte zu weitgehend gewesen seien.

Sachsen geht bei den Lockerungen weiter als andere Länder. Bereits an diesem Montag werden dort nicht nur eine Reihe weiterer Geschäfte geöffnet, sondern unter strengen Regeln auch Gottesdienste zugelassen und bereits die ersten Abschlussklassen zurück in die Schulen geholt. Verbunden ist das aber mit Verschärfungen an anderer Stelle: Als erstes Bundesland führt Sachsen eine Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Schutz beim Einkauf und im Nahverkehr ein. Bundesweit gilt sonst nur eine dringende Empfehlung.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sagte bei Anne Will mit Blick auf die bundesweiten Regelungen etwa zur Öffnung kleiner und mittlerer Geschäfte: "Wenn diese Lockerungen dazu führen, dass wir mit niedrigen Infektzahlen zurechtkommen, dann wird es selbstverständlich weiter Lockerungen geben."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 20. April 2020 um 10:15 Uhr.