
Merkel zu Ukraine-Krieg "Eine große Tragik"
Bei ihrem ersten größeren Auftritt nach Ende ihrer Kanzlerschaft zeigte sich Angela Merkel auch selbstkritisch. Sie frage sich, ob der Angriff auf die Ukraine hätte verhindert werden können - ihre Russland-Diplomatie rechtfertigte sie allerdings.
Angela Merkel hat sich bei ihrem ersten größeren Auftritt seit dem Ende ihrer Kanzlerschaft auch selbstkritisch über die Russland-Politik der früheren Bundesregierung geäußert. "Es ist nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen", sagte Merkel. "Darüber muss man nachdenken", sagte sie. Sie frage sich: "Hätte man noch mehr tun können, um eine solche Tragik - ich halte diese Situation jetzt schon für eine große Tragik - hätte man das verhindern können?"
Zu der Frage, inwieweit sie dazu beitragen konnte, eine Eskalation mit Russland zu verhindern, sagte sie aber auch: "Ich habe es glücklicherweise ausreichend versucht. Es ist eine große Trauer, dass es nicht gelungen ist." Es sei so, "dass ich mir nicht vorwerfen muss, ich hab es zu wenig versucht."
"Brenzlige Situation"
Merkel ist zuletzt für ihre vermittelnde Russlandpolitik kritisiert worden. Zum Angriff auf die Ukraine hatte sie sich in den vergangenen Monaten kaum öffentlich geäußert. Im Gespräch mit dem Journalisten Alexander Osang betonte die CDU-Politikerin, dass die Entwicklung in der Ukraine nicht überraschend gekommen sei.
Russlands Präsident Wladimir Putin habe schon 2007 bei ihrem Besuch in Sotschi gesagt, der Zerfall der Sowjetunion sei für ihn "die schlimmste Sache des 20. Jahrhunderts". Damit sei schon damals ganz klar gewesen, "dass da ein großer Dissens ist". Und es sei letztlich nie gelungen, "den Kalten Krieg wirklich zu beenden". Spätestens beim G20-Gipfel im Oktober und den Hinweisen der Nachrichtendienste sei deutlich gewesen, dass die Situation "brenzlig" war. "Es war klar, dass man das sehr ernst nehmen muss", sagte Merkel.
"Werde deshalb auch mich nicht entschuldigen"
Es sei auch klar gewesen, dass "auf dem Gebiet des Minsker Abkommens nichts mehr lief" und dass Putin mit dem Abkommen "abgeschlossen hatte". Wie schwierig die Entwicklung sei, habe Merkel auch bei ihrem Abschiedsbesuch in Moskau erkennen können. "Da kam man nicht mehr weiter." Die Minsker Abkommen von 2014 und 2015 sollten den Konflikt beenden.
Merkel rechtfertigte aber auch die Bemühungen um eine diplomatische Lösung. "Diplomatie ist ja nicht, wenn sie nicht gelingt, deshalb falsch gewesen. Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen."
Merkel verteidigte auch, dass sie sich 2008 gegen eine NATO-Osterweiterung um die Ukraine und Georgien gewandt habe. Hätte die NATO den beiden Ländern damals eine Beitrittsperspektive gegeben, hätte Putin schon damals einen "Riesenschaden in der Ukraine anrichten können", sagte sie.
"Ein brutaler Überfall"
Den Angriff Russlands verurteilte die Kanzlerin scharf. "Das ist ein brutaler, das Völkerrecht missachtender Überfall, für den es keine Entschuldigung gibt", sagte sie. Der Angriff sei von Russlands Seite ein großer Fehler.
Die frühere Kanzlerin lobte auch indirekt ihren Nachfolger Olaf Scholz. Sie habe "volles Vertrauen" in die neue Bundesregierung. Der Regierungsübergang sei sehr gut gelaufen, sagt Merkel. Es seien Menschen am Werk, die keine "Newcomer" seien und die Gegebenheiten kennen würden.
Merkel sprach bei dem Interview im Berliner Ensemble auch über Privates und ihre Zeit nach dem Kanzleramt. Ihre Zitteranfälle in den letzten Jahren ihrer Kanzlerschaft führte sie unter anderem auf den Tod ihrer Mutter zurück. Sie sei in der Zeit sehr erschöpft gewesen, und der Tod habe sie doch mehr mitgenommen als sie zunächst gedacht habe, sagte sie.
Wanderungen im Winter
Merkel erzählte auch von langen Wanderungen im Winter an der Ostsee, sie habe viele Hörbücher gehört. Ihr sei nicht langweilig geworden, sie habe die Tage richtig gut rumbekommen. Früher habe sie nur "Termine, Termine, Termine" gehabt.
Ihr persönlich gehe es sehr gut, sagt sie. Die "Zäsur" des russischen Kriegs gegen die Ukraine beschäftige aber auch sie sehr.