Hintergrund

Kostenexplosion oder Beitragsschwund Warum kostet die Kasse so viel?

Stand: 25.08.2007 09:01 Uhr

Lange gesund, seit einiger Zeit ein Fall für das Sanatorium - den Eindruck haben viele angesichts der Debatte über das Gesundheitssystem. Scheinbar gibt es bei den Kassen nur zwei Regeln: Die Beiträge steigen und die Leistungen sinken. Aber warum kostet den Versicherten die Gesundheit so viel?

Von Wolfram Leytz, tagesschau.de

Gesundheit hat ihren Preis und der ist kräftig gestiegen. Um mehr als ein Fünftel hat sich der Kassen-Beitragssatz zwischen 1978 und 2001 erhöht. Zwar gibt es in Deutschland einen hohen Versorgungsstandard bei vergleichsweise niedrigen Zuzahlungen. Dennoch gilt im internationalen Vergleich: Die gebotenen Leistungen sind hierzulande teuer.

Wer das Gesundheitssystem sanieren will, steht vor einer Herkules-Aufgabe. Denn es geht um viel Geld und viele Interessengruppen: "Bei der Krankenversicherung besteht das Problem, dass mit dem eingenommenen Geld die größte Branche der Republik gesteuert werden muss - und zwar nicht über Angebot und Nachfrage", betont Prof. Rolf Rosenbrock vom Wissenschaftszentrum Berlin gegenüber tagesschau.de.

Das größte Problem: Arbeitslosigkeit

Dass die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziell immer mehr bluten müssen, hat viele Gründe. So hat sich die Versicherten-Struktur über die Jahre verändert. Der Anteil der Rentner in der GKV ist gestiegen. Da diese geringere Einkommen haben, zahlen sie auch weniger Beiträge.

Das Gleiche gilt für Arbeitslose: Durch ihr niedrigeres Einkommen sind die Beiträge niedriger. Von der gestiegenen Arbeitslosigkeit werden die Kassen am stärksten getroffen, da sind sich die Experten einig.

„Der Bund entlastet sich“

Dass die Politik den Kassen weitere Lasten aufgebürdet hat – die so genannten Verschiebebahnhöfe, bringt die in weitere Schwierigkeiten. "Wenn die Regierung mal wieder beschließt, dass die Arbeitslosenversicherung weniger Geld an die GKV bezahlt, entlastet sich der Bund. Die Defizite aus dem Etat der Agentur für Arbeit muss er ausgleichen, bei der Krankenversicherung dagegen nicht", kritisiert Rosenbrock. Gäbe es es die Verschiebebahnhöfe nicht, könnte man bei sonst gleichen Bedingungen allein dadurch einen Versicherungsbeitrag wie 1980 haben.

Die AOK verweist zudem nachdrücklich auf die Schwarzarbeit und den Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Minijobs etwa tragen ihren Teil dazu bei. Beides entzog den Kassen über die Jahre massiv Beiträge. Und der Trend dauert an.

Einnahmen halten nicht Schritt

Um fast ein Drittel blieben die Einnahmen der Kassen pro Mitglied zwischen 1980 und 2000 hinter Steigerungsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) Drittel zurück. Wären die Einnahmen pro Mitglied in diesem Zeitraum entsprechend gestiegen, könnte der Beitrag auch wieder bei knapp zwölf Prozent liegen, hat der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen errechnet.

Sinkende Löhne - sinkende Beiträge

Dazu kommt: Sinken die Löhne, verliert die Kasse Geld. Bei 1300 Euro Lohn und 13% Beitragssatz bekommt sie beispielsweise rund 170 Euro. Bringt der Job nur noch gut 1200 Euro bräuchte die Kasse schon 14% Beitragssatz um auf den gleichen Betrag zu kommen. In vielen Branchen mussten Beschäftigte - etwa durch den Wegfall des Weihnachtsgelds - solche Verluste hinnehmen.

Mehr Alte, mehr Kosten

Zugleich steigen auch die Ausgaben seit Jahren - zum Teil aus den gleichen Gründen, aus denen die Einnahmen sinken. Mehr Ältere unter den Versicherten heißt auch mehr Kosten. Der Anteil der Leistungen für Rentner stieg von 41,6 Prozent 1993 auf 48,5 Prozent im Jahr 2004. Da die Deutschen immer länger leben, brauchen sie auch längere - und in manchen Bereichen intensivere - Betreuung.

Technischer Fortschritt kostet

Auch der technische Fortschritt kostet. Mit etwa einem Prozent Preissteigerung pro Jahr veranschlagen viele Experten die medizinischen Verbesserungen. Bessere und teurere Therapien können zwar auch sparen helfen. In den letzten Jahrzehnten überwogen aber Neuerungen, die letztlich die Ausgaben steigerten, so der Sachverständigenrat.

Preistreiber Arzneimittel

Schneller als andere Bereiche sind vor allem die Arzneimittelausgaben gestiegen. Ihr Anteil an den Ausgaben hat sich deutlich erhöht – hier hat Lobbyarbeit die stärksten Auswirkungen, so Experten. Die Steigerungsrate zwischen 1994 und 2004 lag nach Angaben des Gesundheitsministeriums bei 43,7%. Zum Vergleich: Die Arztkosten stiegen nur um 13,5 Prozent.

Teuer wird es auch, wenn Patienten schlecht, unter- oder überversorgt sind. Hier sieht der Sachverständigenrat massive Probleme. Ein Teil der hohen Kosten in Deutschland geht auch auf Missmanagement und mangelnde Effizienz zurück. Dass etwa die „Doppelstruktur“ von niedergelassenen Fachärzten und Fachabteilungen der Krankenhäuser überflüssige Untersuchungen geradezu herausfordert, ist seit langem bekannt.

Insgesamt keine "Kostenexplosion"

Dennoch gibt es nach Ansicht des Sachverständigenrats insgesamt keine "Kostenexplosion". Seit Mitte der 70er Jahre blieben die Ausgaben für die Versicherten im Verhältnis zur Entwicklung des BIP unverändert. Die aktuellen Finanzprobleme sieht der Rat überwiegend in den wegbrechenden Einnahmen.

Wie viel Einsparung ist drin?

Dass das Gesundheitssystem reformiert werden soll, begrüßen alle Beteiligten unisono. 20 Milliarden Euro weniger in den nächsten zehn Jahren sind möglich – sagt etwa der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. In Kreisen des Sachverständigenrates ist man da allerdings äußerst skeptisch. Da wagten sich manche Experten "sehr weit vor", hieß es gegenüber tagesschau.de.

Der Gesundheitsökonom Rolf Rosenbrock warnt jedenfalls: Die Sparpotentiale sind zum Teil an "viele heroische Annahmen gebunden" - etwa dass sich auch wirklich alle Beteiligten vernünftig verhalten.