Interview

Interview zu den sozialen Komponenten des Rauchens "Rauchen kann kleine Gemeinschaften stiften"

Stand: 25.08.2007 08:54 Uhr

Die Gesellschaft befindet sich im Wandel. Lebens- und Arbeitsmodelle werden neu definiert. Was bedeutet das Rauchen für unser soziales Zusammenleben? Über Rituale, Erwachsenwerden und Rauchverbote sprach tagesschau.de mit Thomas Hengarter, Professor für Volkskunde an der Universität Hamburg.

tagesschau.de: Rauchen ist doch eine ganz banale Sache. Was ist so interessant daran?

Thomas Hengarten: Das Interessante am Rauchen ist, dass es wirklich in den Alltag eingebettet ist. Rauchen ist im Grunde genommen eine Zusatzpraxis im Alltag der Menschen. Hier kann es ein Signal zur Pause sein. Außerdem ist Rauchen ein Zeichen von Emanzipation, da braucht man in der Geschichte gar nicht so weit zurückblicken. Über das Rauchen konnten Menschen zeigen, dass sie modern sind und zu den Aufgeschlossenen gehören. Das bezieht sich eben nicht nur auf das Rauchen im privaten Bereich, sondern besonders auf das Rauchen in der Öffentlichkeit als bestimmtes Persönlichkeitssignal.

tagesschau.de: Sie sprechen vom Rauchen als soziale Handlung und Persönlichkeitssignal. Welche Funktion kann das Rauchen haben?

Hengarten: Das Rauchen kann kleine Gemeinschaften unter Menschen stiften. Man denke nur an Raucherpausen, wo allein die Tatsache, dass man raucht, eine Gruppe zusammenführt. Man kann sich an Filme erinnern, in denen das Feuergeben ein Signal ist, sich einer Person anzunähern. Wenn ich formuliere: „Komm, lass uns zusammen eine rauchen gehen“, dann signalisiere ich damit auch eine bestimmte, entspannte soziale Situation. Ich kann es gezielt oder nicht gezielt als Signal der Nähe einsetzen. Rauchen als soziale Handlung oder soziale Praxis, diese ganzen kleinen Dinge rund ums Rauchen haben sich in den vergangenen 40 bis 50 Jahren so eingeschliffen. Wenn ich jemandem eine Zigarette anbiete, bedeutet das auch, dass ich bereit bin, mit dieser Person eine Beziehung einzugehen, wenn auch nur kurzfristig.

Zur Person

Thomas Hengartner ist seit 1996 Professor für Volkskunde an der Universität Hamburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem die Urbanitätsforschung, die Technikforschung und Untersuchungen zur Kultur und Geschichte der Genussmittel. Er ist Träger des Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preises.

tagesschau.de: Jugendliche fühlen sich als Erwachsene, wenn sie rauchen. Womit hängt das zusammen?

Hengarten: Das ist eine der klassischen Komponenten, die das Rauchen mindestens seit dem 19. Jahrhundert besitzt. Das Rauchen war erst einmal den Erwachsenen vorbehalten. Es handelt sich um ein Ritual, bei dem die Jugendlichen rauchend die Erwachsenen-Rolle einüben.

tagesschau.de: Unsere Gesellschaft verändert sich. Alles ist im Wandel und beschleunigt sich. Wie passt Rauchen da noch hinein?

Hengarten: Es wurde mal gesagt: Rauchen sei eigentlich das angemessene Ausdrucksmittel einer modernen, schnelllebigen Zeit. Vor allem das Zigarettenrauchen, um genau zu sein. Früher rauchte man Pfeife oder Stumpen, das dauerte meist länger als eine halbe Stunde. Für eine Zigarette braucht man hingegen nur sechs bis sieben Minuten. Es ist im Grunde genommen ein angemessener kurzer Akt, passend zur hektischen Zeit. So gesehen passt das Rauchen auch in eine schnelllebige Zeit wie heute hinein. Umgekehrt gibt es natürlich auch andere Größen, welche die Bedeutung des Rauchens mitbestimmen. Die gesundheitliche Infragestellung des Rauchens ist natürlich sehr berechtigt. Das hat dazu geführt, dass Rauchen als das gewertet worden ist, was es ist, eine Gesundheitsgefährdung.

tagesschau.de: Würde ein Rauchverbot in Bars und Gaststätten das Zusammenleben der Menschen verändern?

Hengarten: Es würde bestimmt Veränderungen im zwischenmenschlichen Zusammenleben bringen. Ob diese nun irreversibel sind und ob man nicht neue Formen findet, um dieses soziale Mikroritual irgendwie anders zu gestalten, wird man dann sehen. Aber zur Zeit ist es so, dass Rauchen ein gewisses Entspannungssignal oder auch eine gewisse Entspannungshandlung ist. Das fällt dann natürlich weg.

Das Interview führte Timo Großpietsch für tagesschau.de