Interview

Interview mit Autor und Journalist Wolf Schneider „Die neue Rechtschreibung ist idiotisch“

Stand: 25.08.2007 08:53 Uhr

„Die Rechtschreibreform ist so überflüssig wie ein bayrischer Kropf“, so „Sprachpapst“ Wolf Schneider. Im Gespräch mit tagesschau.de verurteilt er vor allem die Art, wie die Reform zustande gekommen ist. Außerdem spricht er sich für einen moderaten Wandel der zukünftigen Rechtschreibung aus.

tagesschau.de: Herr Schneider, schreiben Sie ab sofort nach den neuen Regeln?

Wolf Schneider: Ich schreibe in einem Punkt nach den neuen Regeln: Statt des scharfen S im Wort Schloss schreibe ich es mit Doppel-s. Diese Unterscheidung scheint mir wegen des Lautunterschieds zwischen Schoß und Schloss vernünftig. So etwas kann man im Einzelfall übernehmen. Wenn man uns dann 50 Jahre in Ruhe lassen würde, wäre alles in Ordnung.

tagesschau.de: Was stört Sie denn an den neuen Regeln?

Schneider: Einiges stört mich sehr konkret. Es sind ja ausgesprochen idiotische Sachen dabei. Zum Beispiel, dass man „aufwändig“ mit ä schreiben soll. Als ob es von Aufwand käme. Es ist genau umgekehrt: Aufwändig kommt von 'aufwenden' mit e: 'Ich habe für meinen Urlaub viel aufgewendet. Es war ein aufwendiger Urlaub.' Erst ganz zum Schluss kommt der Aufwand. Aufwändig mit ä zu schreiben ist so vernünftig, als ob man geben mit ä schreiben würde, nur weil es von der Gabe kommt. Es ist aber leider genau umgekehrt. Generell ist diese Reform so überflüssig wie ein bayrischer Kropf.

tagesschau.de: Die „Zeit“ spricht jetzt nach der Reform von einer neuen orthografischen Freiheit. Sind schriftsprachliche Festlegungen denn so wichtig?

Schneider: Sie sind ungeheuer wichtig. Schüler, Schriftsteller, Lesebuchautoren, Verlage und Journalisten sollten ja wissen, nach welcher Schreibweise sie sich richten müssen. Es hat ja niemand darauf gewartet, dass es in drei verschiedenen Zeitungen drei verschiedene Rechtschreibungen gibt. Und Schüler warten auch bestimmt nicht darauf, dass sie die Wahl zwischen verschiedenen Schreibweisen haben. Sie wollen wissen, wo es lang geht.

tagesschau.de: Was lehrt der jahrelange Streit, auch im Hinblick auf zukünftige Änderungen der Rechtschreibung?

Schneider: Das ist nun leider für hundert Jahre versaut. Solange wird wohl keiner mehr im selben Maße an der Rechtschreibung herumfummeln. Die Reform war eine Beschäftigungstherapie für unterbeschäftigte Germanisten. Es gab keine Volksbewegung, keine Meinungsumfrage, keinen Schriftstellerverband, keinen Lehrerverband, überhaupt niemanden, der daran interessiert gewesen wäre, die deutsche Rechtschreibung zu reformieren. Die Leute wollen ihre alten Schriftbilder behalten. Man will, dass der Rhein sich mit h schreibt, obwohl das h in diesem Fall ein historischer Ballast ist. Wir wollen einen „Bordeaux“ trinken, der sich hinten mit eaux schreibt, obwohl es eine sagenhafte Schreibweise ist. Einen „Bordo“ mit o hinten würde niemand mehr trinken wollen.

Zur Person

Wolf Schneider ist Journalist und Autor. Der 81-Jährige arbeitete unter anderem bei der Nachrichtenagentur AP, der "Süddeutschen Zeitung", beim "Stern", der "Welt", der "Zeit" und beim NDR. Außerdem leitete er die Henri-Nannen-Journalistenschule. 1994 wurde er für seine Leistungen auf dem Gebiet der Sprachpflege und der Sprachkritik mit dem Medienpreis für Sprachkultur ausgezeichnet.

tagesschau.de: Falls sich aber doch noch mal jemand an eine Reform wagt, was könnte man in Zukunft besser machen?

Schneider: Eines kann man tun. Man kann das scharfe S generell in ein Doppel-s verwandeln. Das wäre vernünftig. In den zwanziger Jahren hatte man im Duden beschlossen, dass man telefonieren und telegrafieren mit f schreiben darf. Ich hätte vorgeschlagen, dass man 50 Jahre nach dieser Änderung entscheidet, ob man künftig „telefonieren“ nur noch mit f schreiben darf. Im Anschluss erlauben wir für 50 Jahre, dass man auch „philosophieren“ und „phantasieren“ mit f schreibt. Und wiederum 50 Jahren später verbieten wir das ph für phantasieren und philosophieren dann gänzlich. Dieser Rhythmus hätte den Vorteil, dass Erwachsenen mühsame Umlernprozesse erspart bleiben würden. Solche Zeitsprünge kann man natürlich machen, um die größten Ungereimtheiten der Rechtschreibung zu beseitigen.

tagesschau.de: Wer sollte diese Rechtschreibung dann festlegen?

Schneider: Ein intelligenteres Gremium als das, das es jetzt gemacht hat. Also zum Beispiel drei namhafte Schriftsteller, drei namhafte Journalisten und drei namhafte Germanisten.

tagesschau.de: Werden Ihre Bücher in Zukunft in der neuen Rechtschreibung publiziert?

Schneider: Das werden sie. Ich bin nicht in der Position von Günter Grass, dass ich die Macht hätte, meinen Verlagen zu diktieren, wie sie mich schreiben sollen. Ich muss das leider in Kauf nehmen.

Das Interview führtePhilipp Mennfür tagesschau.de