Interview

Situation einer Großfamilie Lieber mehr Steuergerechtigkeit als mehr Kindergeld

Stand: 08.08.2003 18:39 Uhr

In der Diskussion um die "neue" Armut wird immer wieder die Auffassung vertreten, dass Kinder in der heutigen Gesellschaft nicht mehr für alle finanzierbar sind. Stellen Kinder mittlerweile wirklich einen Armutsfaktor dar? tagesschau.de fragte bei Christian Baumgartl nach. Er ist Vater von sieben Kindern.

In der Diskussion um die "neue" Armut wird immer wieder die Auffassung vertreten, dass Kinder in der heutigen Gesellschaft nicht mehr für alle finanzierbar sind. Aber stellen Kinder wirklich mittlerweile einen Armutsfaktor dar? tagesschau.de fragte bei Christian Baumgartl, Vater von sieben Kinder im Alter zwischen vier und neunzehn Jahren und Mitbegründer einer Softwarefirma nach, ob sich die finanzielle Situation mit Kindern wirklich geändert hat.

tagesschau.de: Statistisch gesehen sind in Deutschland viele Menschen von Armut bedroht. Ärgert Sie die landläufige Meinung "Viele Kinder gleich arme Familie"?

Baumgartl: Nein, das lässt mich kalt. Das interessiert mich eigentlich nicht. Aber ich weiß, dass das viele so empfinden.

tagesschau.de: Damit wir uns das Leben in einer Großfamilie besser vorstellen können, schildern Sie uns doch einmal einen Tagesablauf bei Ihrer Familie?

Baumgartl: Wir stehen um 6.00 Uhr auf und frühstücken mit denen, die noch im Haus sind. Danach beginnt meistens der gewöhnliche Schul-, beziehungsweise Arbeitsstress. In der Zeit ist meine Frau damit beschäftigt, die üblichen Tätigkeiten durchzuführen wie das Haus aufzuräumen, einzukaufen und Wäsche zu waschen. Dann kommen auch schon die ersten Kinder aus der Schule. Die Kinder brauchen nach dem Mittagessen mindestens zwei Stunden Unterstützung bei den Schulaufgaben, weil die Schulen dies schlecht leisten. Danach haben wir vielleicht eine halbe Stunde Freizeit. Der Arbeitsalltag zieht sich dann in der Regel durch bis 22.00 Uhr.

tagesschau.de: Glauben Sie denn, dass sie zu Gunsten Ihrer Kinder auf etwas verzichten müssen?

Baumgartl: Das kann man so nicht sagen. Denn wer viele Kinder hat, hat sich auch meistens ganz bewußt dafür entschieden auf bestimmte Dinge zu verzichten. Aber worauf man automatisch verzichtet ist auf Zweisamkeit , es ist immer irgendwo ein Kind da. Das haben die kleinen Familien nicht in der Form. Und man verzichtet schon auf einige Freizeitmöglichkeiten. Das wiederum wird aber auch entschädigt durch andere Dinge, die Paare ohne Kinder oder mit wenigen Kindern nicht genießen können.

tagesschau.de: Ergeben sich aus der besonderen Situation, sieben Kinder zu haben, Probleme?

Baumgartl: Ja, da gibt es eine Menge Probleme. Zum Beispiel eine große Benachteiligung vom Gesetzgeber. Dazu gehört auch die gegen das Grundgesetz verstoßende Regel, dass man einen Personenbeförderungsschein machen muss, wenn man seine eigenen sieben Kinder im Auto mitnehmen möchte. Hinzu kommt eine gewisse Benachteiligung durch die Gesellschaft. Es ist einfach schwerer Dinge zu tun, die andere als normal ansehen. Es beginnt damit, dass wenn man Eis essen geht, immer mehrere Tische zusammengestellt werden müssen und man immer "interessierte" Blicke auf sich zieht.

tagesschau.de: Genügt Ihnen denn das vom Staat zur Verfügung gestellte Geld und wenn Sie sich das vor Augen halten, für welchen Bereich sollte mehr Geld ausgegeben werden?

Baumgartl: Der Staat sollte meiner Meinung nach mehr dafür tun, eine vernünftige Kindergartenversorgung zu gewährleisten und eine vernünftige Bildungspolitik zu machen. Das heißt die Schulen wesentlich effektiver zu gestalten, so dass die Kinder zu Hause nicht so extrem viel Betreuung brauchen. Wenn eine Mutter nur ein oder zwei Kinder hat, dann ist die Zeit für Nachhilfe überschaubar. Wenn man aber fünf oder sechs schulpflichtige Kinder hat, dann ist eine Mutter oder ein Vater, wenn sie nach Hause kommen, überlastet, weil die Schulen ihren Auftrag einfach nicht erfüllen. Finanziell gesehen habe ich eine ganz feste Meinung.

Von mir aus könnte auch auf sämtliche Subventionen wie Kindergeld, Erziehungsgeld verzichtet werden, wenn es eine Steuergerechtigkeit gäbe. Ich frage mich immer warum ich fast die Hälfte meines Abkommens an das Finanzamt abgeben muss, um auf der anderen Seite wieder riesige Behördenaufwendungen für Unterstützungen oder Gelder tätigen zu müssen.

tagesschau.de: Würden Sie denn sagen, dass Ihre finanzielle Situation sich im Vergleich der letzten Jahren verändert hat?

Baumgartl: Wenn ich nicht mehr gearbeitet hätte, um mehr Geld zu verdienen, und einfacher Angestellter oder wie früher Bäcker geblieben wäre, dann hätte sich meine finanzielle Situation drastisch verschlechtert.

tagesschau.de: Und was wünschen Sie sich für Ihre Kinder in Zukunft?

Baumgartl: Mehr Akzeptanz in der Gesellschaft und mehr Achtung vor Familien mit Kindern. Insbesondere Respekt davor, dass man letztlich dafür sorgt dass Menschen auch in der Zukunft Rente bekommen und der Staat weiter existiert.

Die Fragen stellte Maiken Richter, tagesschau.de