Interview

Exklusiv-Interview mit Verleger Khafagy "Erwarten Sie, dass die nett zu mir sind?"

Stand: 24.08.2007 18:13 Uhr

tagesschau.de und das ARD-Magazin "Kontraste" hatten als bislang einzige Medien die Chance, mit dem Münchner Verleger Khafagy zu sprechen. Der heute 74-Jährige war im September 2001 in Bosnien-Herzegowina wegen Terrorverdachts misshandelt und in ein US-Geheimgefängnis verschleppt worden. 

tagesschau.de und das ARD-Magazin "Kontraste" hatten als bislang einzige Medien die Chance, mit dem Münchner Verleger Abdel-Halim Khafagy zu sprechen. Der heute 74-Jährige war kurz nach dem 11. September 2001 in Bosnien-Herzegowina wegen Terrorverdachts misshandelt und in ein US-Geheimgefängnis in Tuzla verschleppt worden.

Khafagy selbst scheint viele Erlebnisse verdrängt zu haben und kann sich im Interview fünf Jahre später nicht mehr an alles erinnern. So schwanken seine Angaben zur Dauer der Gefangenschaft in Tuzla zwischen sieben und 15 Tagen. Seinen anschließenden Aufenthalt in Ägypten gibt er mit rund 15 Tagen an. Ein ärztliches Attest belegt, dass Khafagy am 23. Oktober 2001 in Oberschleißheim seine Verletzungen an Kopf, Händen und Brustkorb untersuchen ließ. Dem Attest zufolge soll er am 27. September 2001 in Sarajevo überfallen worden sein. Im Untersuchungsausschuss sagten Zeugen aus, Khafagy sei am 24. oder 25. September festgenommen worden.

"Ich dachte, sie wollen mich töten"

tagesschau.de: Herr Khafagy, Sie sind im Herbst 2001 nach Sarajevo gereist. Können Sie uns den Grund der Reise sagen?

Abdel-Halim Khafagy: Dort wurde ein Buch gedruckt und diejenigen in Sarajevo, die dort verantwortlich waren, haben mich eingeladen, damit ich den Druckprozess kontrolliere.

tagesschau.de: Was für ein Buch sollte übersetzt werden?

Khafagy: Es ging darum, den Koran ins Bosnische zu übersetzen.

tagesschau.de: Nach unseren Informationen wurden Sie in Sarajevo verhaftet. Wie spielte sich das ab?

Die Verschleppung Khafagys

Der in München lebende ägyptische Verleger Abdel-Halim Khafagy wurde im September 2001 in Sarajevo unter Terrorismusverdacht festgenommen. Bei der Festnahme wurde der damals 69-Jährige am Kopf verletzt. Anschließend wurde er offenbar nach Tuzla auf die US-Militärbasis "Eagle Base" gebracht. Dort sollte er von zwei Beamten des Bundeskriminalamtes und einem Dolmetscher des Bundesnachrichtendienstes vernommen werden. Da die Deutschen nach eigener Aussage den Eindruck hatten, dass in "Eagle Base" Gefangene misshandelt wurden und unter Schlafentzug litten, brachen sie den Einsatz ab, bevor es zur Vernehmung kam. Khafagy wurde nach etwa zwei Wochen Gefangenschaft in sein Geburtsland Ägypten ausgeflogen, von wo aus er wenig später nach Deutschland zurückkehrte.

Khafagy: Ich saß mit jemandem im Hotel und wir haben die Übersetzung vor dem Druck Korrektur gelesen. Plötzlich wurde die Tür gewaltsam geöffnet. Zehn bis 15 Leute sind mit Gewehren ins Zimmer gestürmt. Als sie reingekommen sind, haben sie sehr um sich geschlagen und haben mich mit den Gewehren verletzt. Ich habe gesehen, wie Blut floss. Ich dachte, sie wollten mich töten. Weil ich dachte, ich würde sterben, habe ich angefangen, das Glaubensbekenntnis zu sprechen. Und ich habe nicht verstanden, warum sie das machen. Ich dachte, die Serben überfallen Bosnien.

"Ich hatte keine Chance, mich zu wehren"

tagesschau.de: In uns vorliegenden Dokumenten heißt es, Sie hätten sich gewehrt. Stimmt das?

Khafagy: Ich habe gar keine Chance gehabt, mich zu wehren. Die zehn Leute sind reingekommen, haben alles kaputt gemacht und uns geschlagen. Wie sollte ich mich wehren? Mit meiner Hand, oder wie? Ich möchte noch hinzufügen, ich hatte keine Angst vor dem Tod, weil ich mich gerade mit Gottes Buch beschäftigt habe.

tagesschau.de: In welcher Sprache unterhielten sich die Männer, die Sie festgenommen haben?

Khafagy: Sie haben Englisch gesprochen. Auch im Verhör haben sie Englisch gesprochen. Ich habe auch einen Deutschen gesehen, der Englisch geredet hat.

tagesschau.de: Was geschah nach der Erstürmung Ihres Hotelzimmers? Wo wurden Sie hingebracht?

Khafagy: In einem kleinem Auto zu einem Helikopter. Der Flug hat dann ungefähr 15 bis 20 Minuten gedauert, nicht lang. Und dann sind wir gelandet und sahen ein Gefängnis. Dann haben sie uns in eine Zelle eingesperrt. Das war alles. Sie haben mich jeden Tag zum Verhör gebracht. Die Fragen waren: "Warum bist du hierher gekommen?" Solche Fragen. Das Verhör ist in den Tagen um den 11. September passiert.

Über Khafagy

Ungereimtheiten im Interview mit Khafagy sind erklärbar: Er ist mittlerweile 74 Jahre alt und war durch die Ereignisse mutmaßlich traumatisiert. Bei seiner Rückkehr bescheinigte ihm ein Arzt eine ängstlich-depressive Stimmungslage, Konzentrationsstörungen und Kopfschmerzen. Zudem hat er wahrscheinlich Hemmungen, als strenger Muslim und offensichtlich stolzer Mann vor Fremden zuzugeben, misshandelt worden zu sein. Sein Umfeld erzählt, er habe Wochen und Monate gebraucht, über seine Erlebnisse in Tuzla zu sprechen und habe nach seiner Rückkehr sehr wohl von Misshandlungen erzählt.

tagesschau.de: Man fragte also nach Verbindungen zum Terrorismus?

Khafagy: Sie haben gefragt: "Bist du hierher gekommen, um jemanden zu treffen, der mit Bin Laden etwas zu tun hat?" Ich sagte: Ich habe nichts mit Bin Laden zu tun. Ich kenne Bin Laden nicht. Ich bin hier, um den Druckprozess zu kontrollieren."

Augen verbunden und Hände gefesselt

tagesschau.de: Wie hat man Sie während der Gefangenschaft behandelt?

Khafagy: Sie haben mir die Augen verbunden und meine Hände gefesselt, es gab aber keine Schläge. Das war nur am Anfang. Das war nur als sie reingekommen sind ins Hotelzimmer. Die haben mit Gewehren geschlagen, dann ist Blut geflossen. Und sie haben uns auch auf dieselbe Art in die Zellen geworfen und alle anderthalb bis zwei Stunden haben sie die Zelle wie Raubtiere geöffnet, um uns zu stören, damit wir nicht schlafen konnten.

tagesschau.de: Wussten Sie, wo Sie waren oder in wessen Gewalt Sie sich befanden?

Khafagy: Am Anfang wusste ich nicht, dass es Amerikaner sind. Ich dachte, es waren Serben. Aber dann habe ich verstanden, worum es geht. Als der Transport mit dem Hubschrauber eine Weile gedauert hat und sie uns dann ins Gefängnis reingebracht haben, habe ich daran, wie das Gefängnis organisiert war, erkannt, dass es keine Serben, sondern Amerikaner waren.

"Erwarten Sie denn, dass die nett zu mir sind?"

tagesschau.de: Wie waren die Zustände im Gefängnis?

Khafagy: Sie haben mich schlecht behandelt. Sie haben meine Kopfwunde zugenäht - ohne Betäubung. Ist das eine gute Behandlung? Sie haben mir Frühstück und Mittagessen gegeben, das war gut. Dass sie mich nicht haben schlafen lassen, ist ja keine besonders schlimme Sache. Erwarten Sie denn, dass die nett zu mir sind? Das ist normal.

tagesschau.de: Sind Ihnen Ihre persönlichen Gegenstände abgenommen worden?

Khafagy: Mir wurde alles weggenommen, was ich in meiner Tasche dabeihatte und die Tasche wurde vernichtet. Gott sei Dank war die Zeit der Inhaftierung nur kurz. Ich weiß nicht, was die sonst noch mit uns vorgehabt haben. Ich war sieben bis zehn Tage dort und 15 Tage in Ägypten. Insgesamt war die Zeit nicht so lang und daher wurden wir nicht zu sehr strapaziert.

tagesschau.de: Hatten Sie Ihre eigene Kleidung an?

Khafagy: Ich denke, die haben mir Kleidung gegeben, aber ich weiß es nicht mehr genau.

tagesschau.de: In welchen Ton hat man mit Ihnen gesprochen? War man unhöflich?

Khafagy: Nein, ganz normal.

"Manchmal gab es Licht, manchmal nicht"

tagesschau.de: Können Sie Ihre Zelle beschreiben? Gab es Licht?

Khafagy: Ich weiß nicht, ob die Zelle beleuchtet war oder nicht. Manchmal gab es Licht, manchmal nicht. Ich konnte mich nicht orientieren. Die Zelle war nicht bequem. Wir haben die Situation in der Zelle irgendwie ausgehalten. Wir haben uns sogar gefreut, wenn die Zelle nicht geöffnet wurde, weil wir Angst hatten, was uns erwartet, wenn sie geöffnet wurde. Einmal am Tag oder so wurde Essen gebracht.

tagesschau.de: Konnten Sie in Ihrer Zelle Geräusche hören, also beispielsweise wenn jemand vor den Zellen entlangging?

Khafagy: Ich habe nur eine Stimme gehört, und zwar von jemanden, der sehr laut geschrieen und geweint hat. Mein inhaftierter Freund hat mich gerufen.

Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews, wie die Verhöre abliefen, dass auch ein mutmaßlich Deutscher dabei anwesend war und wie Khafagy schließlich nach Kairo und von dort in die Freiheit gebracht wurde.