Interview

Interview "Familie im Jahr 2020" "Kleinkinder-Betreuung allein reicht nicht"

Stand: 06.12.2006 12:54 Uhr

Familie und Arbeit künftig unter einen Hut zu bekommen, darin sieht die FU-Professorin Katharina Spieß im tagesschau.de-Interview eine der zentralen Aufgaben der Familienpolitik. Dafür müssten Eltern anders unterstützt werden als heute. Spieß stellt ihre Thesen heute auf dem "Forum Demographischer Wandel" des Bundespräsidenten vor.

tagesschau.de: Frau Prof. Spieß, Sie untersuchen Familienpolitik mit Blick auf die Zukunftstauglichkeit. Warum haben Sie sich gerade das Jahr 2020 herausgegriffen?

Zur Person

Katharina Spieß ist Professorin für Familien- und Bildungsökonomie an der FreienUniversität Berlin. Am DIW arbeitet sie weiterhin an der Längsschnittstudie Sozio-ökonomisches Panel mit.

Katharina Spieß: 2020 sind die Kinder der geburtenstarken Jahrgänge in einer entscheidenden Phase - das ist voraussichtlich die letzte Generation, die zahlenmäßig relativ stark ist. Sie sind dann 25 bis 35 Jahre alt und in diesem Zeitraum passiert sehr viel, wenn man über Familie nachdenkt.

tagesschau.de: Was wird die Familie 2020 von der heutigen unterscheiden?

Spieß: Wenn sich die Politik nicht ändert, werden für Familien die gleichen Rahmenbedingungen gelten. Mehr Familien werden aber Probleme haben, Familie mit Erwerbstätigkeit zusammenzubringen. Durch die demographische Entwicklung wird erwartet, dass das Erwerbspersonenpotenzial stark abnimmt. Wenn der Fachkräftemangel bewirkt, dass die am besten ausgebildete Müttergeneration auch am Arbeitsmarkt unterkommt, bedeutet das, dass wir die Mütter und Väter anders unterstützen müssen, als heute.

tagesschau.de: Das größte Problem ist oft Zeit. Kann die Politik da überhaupt helfen?

Spieß: Ja. Es müssen neue Zeitmuster entwickelt werden. In Deutschland gibt es eine relativ starre Elternzeit von drei Jahren. Es muss möglich sein, über den ganzen Lebenslauf hinweg Zeit für die Familie zu nehmen. Das kann auch bedeuten, die Erwerbstätigkeit zu reduzieren oder zu unterbrechen. Diese unterschiedlichen Modelle müssen gesetzlich gestaltet werden. Sie müssen aber auch in den Betrieben umgesetzt werden.

tagesschau.de: Die schwarz-rote Koalition hat gerade das Elterngeld verabschiedet – ein hochgelobtes Projekt. Reicht das nicht aus?

Spieß: Nein. Das ist ein richtiger Schritt. Es geht aber nicht nur darum, Modelle für die Betreuung von sehr kleinen Kindern zu organisieren. Wir brauchen auch Modelle für die Schulzeit oder wenn wir uns beispielsweise um pflegebedürftige Eltern kümmern wollen. Familie ist mehr als eine Betreuung von Kleinkindern. Sie ist ein Projekt über das ganze Leben.

tagesschau.de: Muss man nicht die Akademikerfamilie ganz anders fördern als die Arbeiterfamilie?

Spieß: In der Tat wird vorhergesagt, dass Familien immer unterschiedlicher werden. Der Bedarf ist also nicht einheitlich. Man sollte aber keine Familienpolitik nach dem akademischen Abschluss betreiben. Wir brauchen eine Politik, die unabhängig von Einkommen und Bildungstand den Familien erlaubt, ihren Bedarf zu decken. Der Staat darf keine einheitlichen Betreuungsmuster vorgeben. Er muss Vielfalt fördern. Das wichtigste ist dabei, dass er dabei auf die Qualität achtet.

tagesschau.de: Das sind hohe Anforderungen an die Politik. Hat Familienpolitik diesen Stellenwert?

Spieß: Familienpolitik wird bisher nicht so stringent betrieben, wie es notwendig wäre, damit sich mehr Menschen für Familie entscheiden. Auf Bundesebene werden derzeit beispielsweise familienbezogenen Leistungen überprüft. Wenn wir solche Schritte weitergehen und eine eindeutigere Familienpolitik machen, kann man mehr Menschen eher davon überzeugen, dass Familie sich lohnt.

tagesschau.de: Sie haben gerade die Qualität angesprochen. Können Sie ein Beispiel dafür nennen, wo die besonders wichtig ist?

Spieß: Sie ist bei allen Betreuungs- und Förderformen wichtig. Wir wissen aber aus Studien, dass die frühkindliche Betreuung besonders wichtig ist. Deshalb ist es elementar, dass wir uns zum Beispiel beim Ausbau von Kindertagesstätten nicht nur über die Menge unterhalten, sondern auch, wie wir deren Qualität gewährleisten. Volkswirtschaftlich gesprochen können wir die höchste Rendite erreichen, wenn wir sehr früh in Kinder investieren. Dann können wir später Kosten sparen.

Zur Person

Katharina Spieß ist Professorin für Familien- und Bildungsökonomie an der FreienUniversität Berlin. Am DIW arbeitet sie weiterhin an der Längsschnittstudie Sozio-ökonomisches Panel mit.

tagesschau.de. In der Familienpolitik gibt es zwei Richtungen: Direkte Förderung oder mehr Geld durch Steuererleichterungen. Ist das eine richtig und das andere falsch?

Spieß: Nein. Beides ist notwendig. Im internationalen Vergleich stehen wir bei Geldleistungen relativ gut da. Wir haben aber einen Nachholbedarf bei den familienbezogenen Dienstleistungen. Das sieht man insbesondere im Vergleich zu den skandinavischen Ländern, die ja in der Familienpolitik sehr erfolgreich sind.

Das Interview führte Wolfram Leytz, tagesschau.de