Interview

SPD-Experte Tauss zum Datenschutz "Der neue Personalausweis ist eine riesige Abzocke"

Stand: 29.12.2006 16:50 Uhr

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss gehört zu den Kritikern der Sicherheits- und Datenschutzpolitik der Regierung. Gegenüber tagesschau.de bedauert er, dass das Thema Datenschutz zurzeit keine Konjunktur habe. Außerdem hält er den geplanten Personalausweis für "riesige Abzocke".

Jörg Tauss ist bildungs-, forschungs- und medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion - und einer der größten Kritiker der Regierung, wenn es um Datenschutz und Bürgerrechte geht. Gegenüber tagesschau.de bedauert er, dass das Thema Datenschutz zurzeit keine Konjunktur habe. Außerdem hält er den ab 2008 geplanten elektronischen Personalausweis für "riesige Abzocke".

tagesschau.de: Vor zwei Jahrzehnten war der Datenschutz ein zentrales Thema, es gab beispielsweise Massenproteste gegen die Volkszählung. Heute rufen selbst weitreichende Eingriffe in Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre kaum noch Reaktionen hervor. Wie können sie sich das erklären?

Jörg Tauss: Es ist wohl ein Ergebnis der so genannten Angstgesellschaft. Ein Beispiel: Wenn ich auf einem Bahnhof einen verlassenen Schulranzen finde, werde ich diesen weiterhin öffnen und versuchen, herauszufinden, wer ihn vergessen hat, statt gleich die Polizei zu rufen und den ganzen Bahnhof zu sperren. Aber bei der gegenwärtigen Hysterie werden selbst Maßnahmen, die nicht zuletzt auch wegen der Kosten alle Dimensionen sprengen, nicht mehr hinterfragt, solange sie nur das Argument der Sicherheit gebracht wird und sie als modern gelten. Auf der anderen Seite fehlt der gesellschaftliche Rahmen für die Behandlung des Problems, in den Medien wie in der Politik: Ein Journalist hat einmal zu mir gesagt, das Thema Datenschutz sei momentan "nicht sexy" - es hat einfach keine Konjunktur.

tagesschau.de: Wie könnte man denn das gesellschaftliche Bewusstsein für Belange des Datenschutzes und der Privatsphäre wieder sensibilisieren?

Tauss: Wenn ich dafür nur ein Rezept hätte. Ich hätte schon bei der Einführung des elektronischen Reisepasses (Anm.d.Red: im November 2005) damit gerechnet, dass es einen Aufschrei gibt- allein schon wegen der hohen Preise. Doch kaum jemand hat hinterfragt, ob wir die Maßnahme wirklich brauchen, zumal bisher bei keiner terroristischen Straftat ein gefälschter Pass benutzt wurde. Auch die Risiken einer elektronischen Datenspeicherung auf dem Pass waren nur für Wenige ein Thema.

Neuer Personalausweis "riesige Abzocke"

tagesschau.de: Tatsächlich haben Datenschützer immer wieder auf die Probleme des elektronischen Reisepasses in Bezug auf Datenschutz und Datensicherheit hingewiesen. Glauben Sie, dass man aus den Erfahrungen gelernt hat und die Fehler bei dem für 2008 geplanten elektronischen Personalausweis vermeiden wird?

Tauss: Da bin ich pessimistisch. Ich sehe weder in der Koalition noch im Bundestag eine Mehrheit für Änderungen. Dabei gibt es für den elektronischen Personalausweis keinerlei Rechtfertigung - während mit dem elektronischen Reisepass immerhin EU-Recht umgesetzt wurde. Der Personalausweis ist aber ein großes Geschäft für die Bundesdruckerei, die als Monopolist noch nicht einmal ihre Kalkulation offen legen muss. Ich halte das für eine riesige Abzocke des Bürgers.

tagesschau.de: Thema Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten: Obwohl sie sich massiv gegen die umstrittene Maßnahme ausgesprochen haben, stimmten sie im Bundestag letztlich dafür. Was hat Sie dazu bewogen?

Tauss: Ich habe letztlich für den bestmöglichen Kompromiss gestimmt, um Schaden zu vermeiden. Einmal habe ich die Beratungen zu dem Gesetz türeknallend verlassen, was Eindruck hinterlassen hat. Mehrmals kann man so etwas aber nicht machen. Es ist wie bei einer Tarifverhandlung: Man muss zu dem erzielten Kompromiss stehen. Ich zweifle aber weiterhin daran, dass das Gesetz verfassungs- und EU-rechtskonform ist.

tagesschau.de: Sie bitten also die Bürger in Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung erst einmal um einen Vertrauensvorschuss?

Tauss: Das muss ich tun, denn ich hoffe, dass sich der Bundesrat bei dem Gesetz nicht quer stellt. Ich denke, dass wir mit dem Kompromissentwurf trotz aller Kritik das Maximum in Bezug auf die Bürgerrechte erreicht haben.

Die Fragen stellte Wulf Rohwedder, tagesschau.de