Interview

Interview mit Ursula von der Leyen (3) "Diese Frage hat mich tief getroffen"

Stand: 15.01.2007 02:26 Uhr

Frage: Fallen Ihnen noch weitere Beispiele ein, bei denen Sie die Grenze der Beleidigung überschritten sahen?

Von der Leyen: Ja. Beispielsweise in einer Live-Sendung zum Thema Kinder in unserer Gesellschaft. Dort wurde zunächst ein hämischer Film über mich gezeigt, und dann fragte mich der Moderator: 'Haben Sie sich schon entschieden – wollen Sie eine schlechte Mutter oder eine schlechte Ministerin sein?' Das hat mich tief getroffen. Das war einfach nur boshaft und verletzend. Daraus habe ich gelernt – heute würde ich in der Sendung anders reagieren, als ich es damals getan habe.

Frage: Das war in der Sendung "Hart aber Fair" im WDR. Wie haben Sie damals reagiert?

Von der Leyen: Ich habe versucht, den Angriff mit sachlichen Argumenten abzuwehren. Das war das Verkehrteste, was ich tun konnte. Ich war für den Rest der Sendung blockiert, war nicht mehr fähig, distanziert und gelassen zu argumentieren. Diese Sendung war für mich ein Schlüsselerlebnis. Heute ist mir klar, dass ich mich auf eine solche Ebene der Diskussion nicht herablassen darf. Wer so argumentieren will, soll das tun – aber nicht mit mir. Ich habe dem Moderator nach der Sendung deutlich gesagt, wie unfair ich seine Frage fand.

Frage: Das heißt, Sie würden die Frage heute nicht mehr beantworten?

Von der Leyen: Nein, stattdessen würde ich die Vorgehensweise des Moderators thematisieren. Ich würde sagen: "Was ist das für eine boshafte und verletzende Frage? Was wollen Sie damit suggerieren? Können Frauen mit Kindern grundsätzlich nicht Ministerin werden, weil sie dann schlechte Mütter wären? Oder müssen gute Ministerinnen kinderlos sein?" Gegenfragen mögen Moderatoren meist gar nicht – und kommen selbst ins Stottern.

Frage: Kaum ein Artikel über Sie kommt ohne Erwähnung Ihres Lächelns aus. In einem hieß es: „Es ist ein makelloses, einnehmendes Lächeln. Sie kann es an- und ausknipsen wie eine Lampe. Es sagt: Hier bin ich. Und wenn sie den Schalter mal umlegt, wird es sehr kalt in ihrer Gesellschaft.“ Ist Ihr Lächeln für Sie inzwischen ein bewusst eingesetztes Markenzeichen, wie es auch Ihrem Vater nachgesagt wurde?

Von der Leyen: Welch absurde Annahme! Wenn Sie sich vor den Spiegel stellen und versuchen, auf Kommando zu lächeln, werden Sie feststellen, wie albern das aussieht. Richtig ist, dass nicht nur mein Vater und ich, sondern auch viele andere Mitglieder unserer Familie gern lächeln. Das scheint uns im Blut zu liegen. Mittlerweile ignoriere ich übrigens auch die Berichte über mein Lächeln: Man mag sich darüber aufregen oder über meine blonden Haare oder über die Form meiner Augen – es ist mir egal.

Frage: Haben Sie einen Imageberater?

Von der Leyen: Nein. Aber seitdem ich in der Öffentlichkeit stehe, bin ich von Menschen umgeben, die mir ungefragt Ratschläge zu allen möglichen Themen geben. Manche Tipps sind gut, manche eine Katastrophe. Ich selbst hole mir bei wenigen Menschen Rat, denen ich vertraue und die mir bereits in der Vergangenheit den Rücken gestärkt haben. Menschen, die nicht erzählt haben, was alle erzählen, sondern mir durch kluge Äußerungen weitergeholfen haben.

Frage: Haben Sie sie auch um Rat im Umgang mit den Medien gebeten?

Von der Leyen: Auch das. Ich habe beispielsweise gefragt: Warum gelingt es mir nicht, komplexe Zusammenhänge – zum Beispiel das Thema Gesundheitsprämie – differenzierter zu vermitteln? Die Antwort war: Weil du es zu kompliziert machst. Daraus habe ich gelernt, dass das, was ich als Politikern konzeptionell entwickle, erst dann gut ist, wenn ich es so erklären kann, dass die Menschen es in wenigen Sätzen verstehen. Wir setzen uns deshalb oft in der Pressestelle meines Ministeriums zusammen und diskutieren ein Thema mit all seinen Facetten vorab durch. Wir versuchen, die Argumente und Einwände, die da kommen könnten, vorwegzunehmen.

Frage: Um dann in Interviews schnell die richtige Antwort parat zu haben.

Von der Leyen: Eine differenzierte Antwort. Es soll keine Antwort aus dem Bauch heraus sein, sondern eine, die ich abgewogen habe.

Frage: Franz Müntefering hat einmal gesagt: "Es gibt Politiker, die sagen zehnmal so viel, wie sie wissen, und es gibt andere, die sagen nur ein Zehntel von dem, was sie wissen." Zu welcher Gruppe zählen Sie sich?

Von der Leyen: Wer will schon zur ersten Gruppe gehören? Das Zerreden von Vorhaben gehört in der Politik mit zum Schlimmsten. Es betrübt mich sehr, wenn ein wichtiges politisches Projekt unter hohem Zeitdruck realisiert wird – und zwar nur, weil alle möglichen Kollegen schon öffentlich Stellung dazu nehmen, bevor es überhaupt richtig durchdacht ist. Mir war zum Beispiel beim Thema Elterngeld sehr klar, dass wir sattelfest in der Argumentation sein müssen. Wenn man diese Idee nicht von Anfang an richtig erklärt, dann wird sie – eben weil sie so neu ist – schnell von denjenigen zerredet werden, die vielleicht gar nicht gegen das Elterngeld sind, sondern grundsätzlich gegen meine Politik. Das Timing hat bei diesem Thema eine entscheidende Rolle gespielt.

Frage: Die so genannten Vätermonate, mit denen Männer dazu gebracht werden sollen, für einige Zeit die Betreuung ihrer Kinder zu übernehmen, hat Ihr Kollege Peter Ramsauer von der CSU medienwirksam als „Wickelvolontariat” abqualifiziert. Das haben Sie öffentlich nicht kommentiert. War das eine bewusste Entscheidung?

Von der Leyen: Ja, das war eine bewusste Entscheidung. So ein Urteil über das Wickeln des eigenen Kindes steht für sich.

Frage: Ein SPD-Politiker hat einmal gesagt: „Wie Statements medienreif werden, lässt sich schlecht planen. Manches muss man immer wieder wiederholen, bis es vielleicht durchdringt, anderes explodiert, ohne dass es wirklich gesagt wurde.“ Würden Sie das unterschreiben?

Von der Leyen: Absolut. Ein schönes Beispiel dafür ist der mehrere hundert Seiten lange Familienbericht, den wir im April 2006 vorgelegt haben.

Frage: Auf Seite 57 steht der Satz: „Die geringste Präsenz am Arbeitsmarkt findet sich bei deutschen Müttern, die diese gewonnene Zeit nicht in Hausarbeit investieren, sondern in persönliche Freizeit.“ Es folgten empörte Berichte mit dem Tenor: Ursula von der Leyen behauptet, deutsche Mütter seien faul.

Von der Leyen: Dazu muss man wissen: Der Familienbericht wird unabhängig vom Ministerium von einer Expertenkommission geschrieben. Ich hatte also keinen Einfluss auf den Inhalt. Der Bericht hat 550 Seiten, unter denen findet sich auch besagter Halbsatz – allerdings in einem ganz bestimmten Kontext. In diesem Zusammenhang wird ganz wertfrei nichts anderes gesagt als: In Deutschland haben die Mütter nicht mehr Zeit für ihre Kinder als in anderen Ländern, wo mehr Kinder geboren werden und mehr gearbeitet wird. Der Halbsatz wurde dann aus seinem Zusammenhang gerissen, und zudem wurde so getan, als hätte ich persönlich mich so geäußert.

Die Titelseite des Boulevardblatts Berliner Kurier sah dann zum Beispiel so aus: „Schock-Bericht der Familienministerin – Deutsche Mütter sind faul und gierig. Mütter gehen lieber zum Shoppen als sich um ihre Kinder zu kümmern, behauptet Ursula von der Leyen". Das Blatt musste anschließend auch eine Gegendarstellung in angemessener Größe auf Seite eins bringen.

Am Ende entwickelte sich daraus eine interessante Diskussion unter Journalisten. So veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Beitrag mit der Überschrift "Journalisten sind faul – Wie eine Ente den Familienbericht der Bundesregierung fraß". Dort wurde am Beispiel des Familienberichts dargestellt, wie einfach es sich manche Redakteure machen – und wie solche Falschmeldungen die Berichterstattung über mehrere Tage bestimmen können.

Frage: Wie sieht Ihre Zukunft aus, Frau von der Leyen? Sie haben eine wissenschaftliche Karriere gemacht. Sie haben sieben Kinder. Sie haben ein Ministeramt. Was könnte als nächstes kommen?

Von der Leyen: Mein politisches Ziel in diesem Amt als Familienministerin ist es, das Thema Kinder in einer modernen Welt so gut wie möglich zu bearbeiten. Und da gibt es in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren noch sehr viel zu tun. Alles Weitere wird sich dann zeigen.

Das Interview führten Sarah Strohschein und Ada von der Decken