Interview

Interview zu den Vorstößen des Innenministers "Schäuble vom Instinkt verlassen"

Stand: 22.10.2015 11:50 Uhr

Online-Durchsuchungen, Bundeswehreinsätze im Inneren, zuletzt der Vorstoß, das Waffenrecht zu liberalisieren: Innenminister Schäuble erntet scharfe Kritik für seine unermüdlichen Vorstöße, zuletzt auch in den eigenen Reihen. Was treibt Schäuble an? tagesschau.de sprach mit dem Politikwissenschaftler Langguth.

Online-Durchsuchungen, Bundeswehreinsätze im Inneren, zuletzt der Vorstoß, das Waffenrecht zu liberalisieren: Innenminister Schäuble erntet scharfe Kritik für seine unermüdlichen Vorstöße, zuletzt auch in den eigenen Reihen. Was treibt Schäuble an? tagesschau.de sprach mit dem Politikwissenschaftler Langguth.

tagesschau.de: Wolfgang Schäuble hat in letzter Zeit immer wieder mit umstrittenen Vorstößen von sich reden gemacht. Nun der Vorstoß in Sachen Waffenrecht – offensichtlich nicht abgesprochen und blamabel für den Minister, weil er ihn wegen massiver Kritik auch aus den eigenen Reihen sofort wieder zurückziehen musste. Was treibt Schäuble, einen solchen Vorschlag zu machen?

Gerd Langguth: Das ist allen rätselhaft. Sein Instinkt hat ihn bei diesem Vorstoß vollständig verlassen. Offenbar ist er der Argumentation einiger Technokraten und der Jägerlobby aufgesessen. Außerdem hat er die politische Dimension unterschätzt und falsch eingeschätzt, welche Wirkung dieser Vorschlag in der deutschen Öffentlichkeit haben würde. Das hängt sicher auch mit einem gewissen Realitätsverlust zusammen, den man bei allen einflussreichen Politikern beobachten kann.

tagesschau.de. Abgesehen von diesem jüngsten Vorstoß – Schäuble macht ja immer wieder hoch umstrittene Vorschläge zur inneren Sicherheit, zur Online-Durchsuchung oder zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Was steckt dahinter?

Jurist mit Leib und Seele

Langguth: Erstens: Schäuble ist mit Leib und Seele Jurist, und das bestimmt sein politisches Denken und Handeln. Er hat den Anspruch, möglichst alle Schwierigkeiten und Komplikationen, die auftreten könnten, durchzudenken und bereits vorab eine Lösung in der Tasche zu haben. Die Probleme arbeitet er akribisch ab, wie einen Katalog und verliert dabei aus den Augen, dass seine Vorschläge – jedenfalls in dieser Fülle – derzeit in der Bundesrepublik nicht durchsetzbar sind.

Zur Person

Gerd Langguth ist Professor für politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Politik der Union. Von ihm sind bereits Biographien über Angela Merkel und Horst Köhler erschienen. Wolfgang Schäuble kennt er seit vielen Jahren.

Zweitens: Als Innenminister weiß er besser als alle anderen Politiker in der Bundesregierung, wie groß die Gefahr eines Terroranschlags in der Bundesrepublik tatsächlich ist. Und er rechnet fest damit, dass es hier zu Anschlägen kommt. Er will unter allen Umständen verhindern, dass er dafür verantwortlich gemacht werden kann.

Drittens – und das wird er selbst sicher nie so formulieren – ist er der Überzeugung, dass er als Opfer eines Anschlags – Maßnahmen zur Terrorbekämpfung oder Schwerstkriminalität mit einer ganz anderen Autorität einfordern kann, als es andere tun könnten.

Unersetzlich als "Bundes-Sherrif"

tagesschau.de: Schäuble hat eine beeindruckende politische Karriere hinter sich. Er gilt als der erfahrenste Minister im Kabinett Merkel. Was will er persönlich noch erreichen?

Langguth: Schäuble weiß, dass er nie mehr Kanzler wird, und das gibt ihm die Freiheit, das zu fordern, was andere vielleicht nicht fordern würden, weil sie noch was werden wollen und deshalb immer auch in taktischen Kategorien denken. Das tut Schäuble zwar auch. Aber sein Ziel ist es nicht mehr, auf der Karriereleiter noch weiter aufzusteigen. Er will sich in seiner Position unersetzbar machen, als "Bundes-Sheriff“, als Law- und Order-Mann, der mit voller Konsequenz gegen Terrorismus und Kriminalität vorgeht. In der Unions-internen Debatte über die programmatischen Ausrichtungen will er der konservative Flügelmann sein, der eine Brücke zum rechten Wählerpotential der Union schlägt.

tagesschau.de: Als Schäuble im Kabinett erneut Innenminister wurde, dachten viele, er sei altersmilde geworden. Dem ist aber offenbar nicht so. Wie rechts ist Schäuble wirklich?

Langguth: Das was er fordert, sind seine Überzeugungen – und zwar unabhängig vom Rechts-Links-Schema. Es sind seine Überzeugungen als Innenminister.

Was überwiegt, ist schwer zu sagen

tagesschau.de: Sogar Bundespräsident Horst Köhler hat Schäuble ja bereits kritisiert. Nutzt seine Art, Politik zu machen der Union wirklich?

Langguth: Ja und Nein. Es gibt in der Wählerschaft der Union - aber auch außerhalb - Teile, die eine starke Hand des Staates wollen. Und es gibt in der Bevölkerung eine diffuse Angst vor Terroranschlägen und Kriminalität. Jemand wie Schäuble, der harte Positionen vertritt, ist zur Integration dieser Wählerschaft sicher wichtig. Andererseits vergrätzt er mit seinen Vorschlägen – insbesondere mit dem zur Online-Durchsuchung – gerade auch junge Wähler. Insofern schadet es auch. Was überwiegt, ist schwer zu sagen.

tagesschau.de: Aber warum macht er immer weiter mit seinen Forderungen, selbst wenn sie nicht nur von der Öffentlichkeit, sondern auch in den eigenen Reihen kritisiert werden?

Langguth: Seine Erfahrung ist, dass man seine Ziele nur dann erreichen kann, wenn man mit einer gewissen Sturheit etwas fordert. Das gilt gerade auch für eine Große Koalition. Momentan ist er aber in der Gefahr zu überziehen. Schäuble war immer schon stur, aber Politik ist sein Lebenselixier – gerade wegen seiner Behinderung. Er lebt mit der und für die Politik.

Das Interview führte Sabine Klein, tagesschau.de