EU-Jubiläumsfeier Auszüge aus Merkels Rede zum 50. Jahrestag

Stand: 25.03.2007 13:19 Uhr

Die EU-Ratspräsidentin und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Europa zum 50. Jahrestag der "Römischen Verträge" zur Erneuerung aufgerufen. Auszüge aus Merkels Rede vor den Staats- und Regierungschefs der EU am Sonntag im Berliner Zeughaus:

"Heute feiern wir den 50. Geburtstag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Wir feiern dieses Fest an einem Ort, wie er symbolträchtiger kaum sein könnte. In Berlin. In einer Stadt, die bis vor 18 Jahren durch Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl geteilt war. In der Menschen die Flucht in die Freiheit mit ihrem Leben bezahlt haben."

"Meine Damen und Herren, feiern können wir dieses Fest heute gerade hier in Berlin auch deshalb, weil sich vor einem halben Jahrhundert ein paar Politiker Europas auf den Weg gemacht haben, ein europäisches Friedenswerk ohne Beispiel zu begründen."

"Stillstand bedeutet Rückschritt"

"Nichts von all dem ist selbstverständlich. Alles muss immer wieder aufs Neue gestärkt und verteidigt werden. Stillstand bedeutet Rückschritt. Vertrauen aufbauen braucht Jahrzehnte. Vertrauen enttäuschen geht über Nacht. Bei einer Spaltung kommt Europa schneller aus dem Tritt, als mancher glauben mag. Kurzum, die europäische Einigung muss immer wieder neu erarbeitet und gesichert werden. Das ist der Auftrag, der in die Zukunft weist. Das ist der Kern unserer heutigen Jubiläumsfeier."

"Damit bekennen wir uns heute, hier in Berlin, zu einem Europa des gleichberechtigten Miteinanders aller Mitgliedstaaten, großer wie kleiner, älterer wie neuer. Allein ist jedes europäische Land zu schwach, um globale Herausforderungen zu bewältigen. Deshalb kann es nur eine Antwort geben: nicht alleine handeln, sondern gemeinsam in einem einigen Europa. Das Zeitalter der Globalisierung macht uns immer mehr klar: Die Entscheidung für Europa war und ist auch eine Entscheidung für eine bestimmte Art zu leben. Sie war und ist eine Entscheidung für unser europäisches Lebensmodell. Es vereint wirtschaftlichen Erfolg und soziale Verantwortung. Nur gemeinsam können wir unser europäische Gesellschaftsideal auch in Zukunft bewahren. Nur gemeinsam können wir auch auf internationaler Ebene wirtschaftliche und soziale Standards durchsetzen."

"Europa muss Vorreiter sein"

"Europa muss Vorreiter auch bei erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und beim Schutz unseres Klimas sein. Anfang März haben wir auf dem Europäischen Rat dazu einen Aktionsplan beschlossen. Wir wollen die globale Bedrohung des Klimawandels abwenden. Aber dazu brauchen wir weltweit Verbündete. Wie die Globalisierung Europa ohnehin zwingt, sich in Zukunft noch stärker als bisher mit äußeren Einflüssen auseinander zu setzen. Deshalb ist eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa unerlässlich. Aber natürlich nicht abgeschottet, sondern zusammen mit Partnern über Europa hinaus. Ich bin überzeugt: Die enge, freundschaftliche Verbindung mit den Vereinigten Staaten von Amerika und eine starke NATO - sie sind und bleiben auch in Zukunft in unserem fundamentalen europäischen Interesse. Dies ist kein Gegensatz zu einer Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit. Es ist vielmehr die andere Seite der gleichen Medaille. Ebenso sehr brauchen wir eine umfassende strategische Partnerschaft mit Russland. Die strategische Partnerschaft mit Russland und das transatlantische Bündnis - sie sind keine Gegensätze, sondern notwendige Ergänzung. Es ist doch gerade Europa, das ein modernes Verständnis von Integration entwickelt hat: Institutionelle Einbindung statt Lagerdenken, Achsenbildung und Alleingängen. Europa darf sich niemals selbst spalten oder spalten lassen, in keiner Frage."

"Effizient, demokratisch und nachvollziehbar"

"Aber, meine Damen und Herren, auch an einem Festtag wie heute sollten wir uns nichts vormachen: das europäische Lebensmodell stärken, globale Verantwortung wahrnehmen - das verlangt Handlungsfähigkeit, und zwar mehr als Europa sie heute hat. Denn wir wissen: Die Europäische Union lebt auch in Zukunft von ihrer Offenheit und dem Willen ihrer Mitglieder, zugleich gemeinsam die innere Entwicklung der Europäischen Union zu festigen."

"Die innere Ordnung muss der neuen Größe mit 27 Mitgliedstaaten angepasst werden. Was muss dazu geschehen? Meine Antwort ist eindeutig: Die Europäische Union braucht mehr und sie braucht klarere Zuständigkeiten als heute: für die Energiepolitik, in der Außenpolitik, in der Innen- und Rechtspolitik. Sie muss klarer abgrenzen, wofür die Mitgliedstaaten zuständig sind und wofür die Gemeinschaft. Sie muss sich auf das Wesentliche konzentrieren und wo immer möglich die nationalen Eigenheiten der Mitgliedstaaten bewahren. Sie muss sicherstellen, dass ihre Institutionen auch mit 27 und mehr Mitgliedstaaten effizient, demokratisch und nachvollziehbar funktionieren. Es steht viel auf dem Spiel."

"Was wir entscheiden, wird lange nachwirken"

"Wahr ist: Wer gehofft hat, dass wir 50 Jahre nach den Römischen Verträgen einen Verfassungsvertrag haben, der wird enttäuscht sein. Aber wahr ist auch: Wer gehofft hat, dass sich Europa der Notwendigkeit bewusst ist, seine innere Verfasstheit zu stärken, dem wird unsere "Berliner Erklärung" den Weg weisen. Denn wir wissen, dass wir die politische Gestalt Europas immer wieder zeitgemäß erneuern müssen. Deshalb ist es wichtig und notwendig, dass wir heute, hier in Berlin, 50 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge in dem Ziel geeint sind, die Europäische Union bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen. Ich setze mich dafür ein, dass dafür am Ende der deutschen Ratspräsidentschaft ein Fahrplan verabschiedet werden kann, und ich setze dabei auf Ihre Unterstützung. Ich bin überzeugt: Es ist nicht nur im Interesse Europas, sondern auch der einzelnen Mitgliedstaaten und uns Bürgern Europas, dass dies gelingt. Ein Scheitern wäre ein historisches Versäumnis. Was wir entscheiden, wird lange nachwirken, im Guten wie im Schlechten. Aber, meine Damen und Herren, eigentlich brauchen wir gar nicht vom Scheitern zu reden. Europa hat schon so oft große Hürden genommen. Gerade die Verhandlungen der Verträge, deren 50. Geburtstag wir heute feiern, waren ein Paradebeispiel dafür."

"Europa muss die Weichen richtig stellen"

"Und so wünsche ich mir, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas in 50 Jahren sagen werden: Damals, in Berlin, da hat das vereinte Europa die Weichen richtig gestellt. Damals, in Berlin, da hat die Europäische Union den richtigen Weg in eine gute Zukunft eingeschlagen. Sie hat anschließend ihre Grundlagen erneuert, um nach innen, auf diesem alten Kontinent, wie nach außen, in dieser einen großen-kleinen Welt, einen Beitrag zu leisten. Zum Guten. Für die Menschen. Das ist unser Auftrag für die Zukunft.»