Interview

Interview ''Wir lassen uns nicht in die Ecke knüppeln''

Stand: 31.08.2007 04:07 Uhr

Die Vizevorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Ursula Engelen-Kefer, verteidigt im Gespräch mit tagesschau.de die Lohnforderungen der Gewerkschaften vor der anstehenden Tarifrunde. Gleichzeitig bekräftigte Engelen-Kefer die Weigerung der Gewerkschaften, im Bündnis für Arbeit auch über Tarifpolitik zu sprechen. Tagesschau.de sprach mit der Gewerkschaftsfunktionärin über die Arbeitsmarktpolitik, das Bündnis für Arbeit und die anstehenden Reformen bei der Bundesanstalt für Arbeit.

tagesschau.de: Frau Engelen-Kefer, im Februar ist die Zahl der Arbeitslosen weiter gestiegen. Mehr als 4,32 Millionen Menschen sind ohne Beschäftigung - ein Plus von 210.000 gegenüber dem vergleichbaren Vorjahresmonat und 30.000 mehr als noch im Januar. Was muss arbeitspolitisch geschehen, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern?

Ursula Engelen-Kefer: In erster Linie brauchen wir neue Arbeitsplätze. Natürlich kann auch die Arbeitsmarktpolitik durch Vermittlung, Qualifizierung und Eingliederungshilfen etwas tun. Aber man kann Arbeitslose nicht in Arbeit bringen, wenn es keine Arbeitsplätze gibt. Wir Gewerkschaften setzen uns dafür ein, dass Arbeitsteilung stärker betrieben wird, etwa durch Schaffung von mehr qualifizierter Teilzeitarbeit oder Alterszeit. Auch eine Teilzeitlösung für Eltern wäre vorstellbar. Das bringt zwar nicht die Masse an zusätzlicher Beschäftigung, aber dafür gibt es sowieso kein Patentrezept.

tagesschau.de: Ausgerechnet im Wahljahr soll nun die Arbeitslosenstatistik reformiert werden. Schürt das nicht das Misstrauen der Bevölkerung?

Engelen-Kefer: Der Zeitpunkt so kurz vor der Wahl ist sicherlich bedenklich. Ich halte ihn deshalb auch nicht für richtig. Wenn man Statistik gesetzlich verändern will, sollte das tunlichst immer zu Beginn einer Legislaturperiode geschehen. Mehr Transparenz kann hilfreich sein, wenn beispielsweise deutlich wird, um welche Personengruppen es bei den Arbeitslosen geht. Ich bezweifle allerdings, ob man dadurch viele Erkenntnisse gewinnen kann.

Empörung bei Arbeitnehmern

tagesschau.de: Wie hoch sind Ihre Erwartungen in das Bündnis für Arbeit? Sind von dort doch noch Impulse zu erwarten, nachdem die Atmosphäre zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber nach dem letzten Treffen doch recht frostig war?

Engelen-Kefer: Ich kann nur hoffen, dass wir hier weiterkommen. Für das späte Frühjahr ist eine weitere Bündnisrunde angesetzt. Die Notwendigkeit dafür ist vorhanden, doch es muss auf allen Seiten auch die Bereitschaft dazu bestehen, sonst hat das keinen Sinn.

tagesschau.de: Die Arbeitgeber wollen im Bündnis unbedingt über Tarifpolitik sprechen. Warum nicht die Gewerkschaften?

Engelen-Kefer: Die Tarifpolitik ist sicherlich der Knackpunkt. Doch nach den Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre werden Sie für derlei Forderungen der Arbeitgeber wenig Resonanz bei Arbeitnehmern und Gewerkschaften finden. Wir wollen gewiss nicht provozieren. Der Grund ist eine breite Unzufriedenheit und Empörung der Arbeitnehmer darüber, wie hervorragend die Gewinne der Wirtschaft in 2000 und auch in Teilen von 2001 waren, während sie selber feststellen mussten, dass sie wegen der Preissteigerungen noch nicht mal ihr Realeinkommen sichern konnten. Ich frage eher umgekehrt: Warum nimmt man nicht die vielen anderen Themen, die auf der Hand liegen: die Zukunft der Bundesanstalt für Arbeit oder die Arbeitsmarktpolitik. Man darf auch nicht vergessen: Tarifpolitik ist Sache der Tarifparteien, und die im Bündnis für Arbeit vertretenen Parteien sind nicht identisch mit den Tarifparteien.

Immer mehr Überstunden - "Das machen wir nicht mehr mit"

tagesschau.de: Im Frühjahr 2000 hatte man sich doch auch auf einen Grundkonsens in der Tarifpolitik verständigt.

Engelen-Kefer: Die Gewerkschaften haben sich damals bereit erklärt, die Beschäftigungssicherung in den Vordergrund zu stellen. Vereinbart war mit den Arbeitgeberverbänden, dass dafür mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Das ist in weiten Teilen nicht geschehen. Und was die Gewerkschaften besonders ärgert: Die Zahl der Überstunden ist trotz gegenteiliger Vereinbarungen weiter angestiegen. Das machen wir nicht mehr mit.

tagesschau.de: Sind die Forderungen der Gewerkschaften vor der Tarifrunde angesichts der ständig nach unten korrigierten Wachstumsprognosen nicht etwas hoch gegriffen?

Engelen-Kefer: Gleichzeitig hören wir doch allenthalben, dass wir in diesem Jahr - besonders in der zweiten Jahreshälfte - erneut mit einem wirtschaftlichen Aufschwung rechnen können. Die Arbeitnehmer sind verärgert, dass sie bei den letzten Tarifabschlüssen nicht das bekommen haben, was ihnen eigentlich zugestanden hätte. Angesichts der Preis- und Produktivitätssteigerungen von jeweils zwei Prozent halte ich auch aus ökonomischen Gründen die Kritik für weit überzogen. Es ist kein Teufelswerk, was die Gewerkschaften fordern. Ich halte es sowohl wirtschaftlich als auch sozial für gerechtfertigt.

tagesschau.de: Ist in Wahlkampfzeiten das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften besonders schlecht?

Engelen-Kefer: Das muss nicht so sein. Wir wollten ja auch, dass das Bündnis für Arbeit zu einem Erfolg führt. Wir haben kein Interesse daran, einen großen Konflikt zu erzeugen. Aber wir lassen uns auch nicht ständig in die Ecke knüppeln. Man muss sich also auf heftige Konflikte einrichten, wenn die Arbeitgeberseite dies provoziert. Es liegt nun in deren Hand, ob es zu einem vernünftigen Angebot kommt, dass dann auch verhandelbar ist.

Bisher nichts Gutes von Stoiber

tagesschau.de: Was halten Sie von der arbeitsmarktpolitischen Kompetenz von Kanzlerkandidat Stoiber? 

Engelen-Kefer: Bisher verkündet Stoiber nicht allzu viel Gutes für uns Arbeitnehmer und Gewerkschaften. Was ich von ihm gehört habe, stimmt mich nicht gerade froh. Das generelle Zauberwort "Deregulierung" ist da noch das Harmloseste. Das wird umso schlimmer, wenn man sich im einzelnen anhört, was das bedeuten soll: Aushöhlung der Tarifautonomie oder Rücknahme des Betriebsverfassungsgesetzes. Das würde natürlich zu echten Konflikten führen.

tagesschau.de: Bundesarbeitsminister Riester hat mit seinem Zweistufenplan erhebliche Strukturreformen bei der Bundesanstalt für Arbeit (BA) angekündigt. Was ist von diesen Reformen zu erwarten? 

Engelen-Kefer: Es ist eine vernünftige Weichenstellung, die der Arbeitsminister vorgenommen hat. Als Mitglied des Vorstands weiß ich, dass die Leitungsstruktur, so wie sie bisher bestand, sehr stark auf den Präsidenten zentriert war. Das kann nicht die Lösung für die Zukunft sein, wenn man die vielfältigen Probleme sieht, die auf die BA zukommen werden. Es ist deshalb richtig, wenn man die Geschäftsführung auf mehrere Köpfe verteilt.

Richtig ist auch, dass die Selbstverwaltung gestärkt wird. Das ganze Theater um die Vermittlungsstatistik hat gezeigt, dass eine wirksame Aufsicht fehlt. Der bisherige Vorstand und Verwaltungsrat ist kein Aufsichtsgremium. Bisher ist der Dienstherr des Präsidenten der Arbeitsminister. Zur Reform sollte auch gehören, dass die Verantwortung des Vorstandes gegenüber dem Verwaltungsrat mehr Verbindlichkeit erhält.

''Nun hat uns die Zeit überholt''

tagesschau.de: Der Reformbedarf kommt ja nicht von heute auf morgen. Warum muss es erst zu Vermittlungspannen kommen, bevor gehandelt wird?

Engelen-Kefer: Am Anfang der kommenden Legislaturbehörde sollte die große Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes kommen. Nun hat uns die Zeit überholt und die öffentliche Debatte in Handlungszwang gebracht. Doch gravierende Veränderungen sollten keinesfalls im Hauruckverfahren vorgenommen werden. Deshalb bin ich sehr froh, dass die Bundesregierung deutlich macht, dass die Mittel und längerfristigen Strukturveränderungen bei der BA jetzt nicht mit heißer Nadel gestrickt werden, sondern dass eine sorgfältige Vorbereitung erfolgt. 

tagesschau.de: War Jagoda das Bauernopfer? Was erwarten Sie von Florian Gerster, seinem Nachfolger?

Engelen-Kefer: Wir haben Herrn Jagoda und seine Arbeit sehr geschätzt und keinen Einfluss darauf gehabt, was passiert ist. Auch Herrn Gerster schätze ich persönlich. Ich hoffe vor allem, dass der neue Verwaltungsrat kein zahnloser Tiger wird, sondern wirkliche Kompetenzen und Durchsetzungsmöglichkeiten hat.

Das Gespräch führte Uli Bentele, tagesschau.de