Interview

Interview mit Jörg Schönenborn zum Deutschlandtrend "Es fehlt die verlockende Alternative"

Stand: 04.05.2007 08:55 Uhr

Nach dem Koalitionskrach der letzten Wochen finden immer mehr Bürger, dass sich die Regierung zu sehr mit sich selbst beschäftigt, statt mit den Problemen des Landes. Gleichzeitig herrscht Ratlosigkeit, wer es besser machen könnte, erklärt der ARD-Experte Schönenborn im tagesschau.de-Interview.

Nach dem Koalitionskrach der letzten Wochen finden immer mehr Bürger, dass sich die Regierung zu sehr mit sich selbst beschäftigt, statt mit den Problemen des Landes. Gleichzeitig herrscht Ratlosigkeit, wer es besser machen könnte, so der ARD-Experte Schönenborn im tagesschau.de-Interview. Auch die gute Wirtschaftslage werde nicht nur positiv bewertet, so das Ergebnis des aktuellen ARD-Deutschlandtrends. Es profitierten nicht alle Menschen wirklich davon.

tagesschau.de: Fast Dreiviertel der Deutschen glauben, dass die Große Koalition die Probleme in Deutschland nicht richtig angeht und sich zuviel mit sich selbst beschäftigt. Gleichzeitig möchte nur ein Drittel einen Regierungswechsel. Wie hängt das zusammen?

Jörg Schönenborn: Offenbar fehlt im Moment die wirklich verlockende Alternative. Es gibt keine Parteienkonstellation, bei der auch nur ein Drittel der Befragten sagt: "So etwas stelle ich mir als Regierung vor." Zum einen ist da die Erfahrung mit einer rot-grünen Regierung, die viele negativ abgespeichert haben, vor allem Wähler aus dem linken Spektrum. Zum anderen erleben die Menschen viel Krach in der Großen Koalition um Sachthemen. Dafür haben sie einfach kein Verständnis. Für manche ist dann die Konsequenz, sich gedanklich von der Politik zu distanzieren.

tagesschau.de: Das Vertrauen in die Wirtschaft ist im Vergleich zum letzten Monat deutlich gestiegen. Fast 60 Prozent der Bürger beurteilen die gegenwärtige wirtschaftliche Lage als sehr gut oder gut. Hat sich in Deutschland Optimismus durchgesetzt?

Schönenborn: Wir haben den stärksten Wirtschaftsaufschwung seit der Deutschen Einheit. Objektiv haben wir fast eine Million weniger Arbeitslose als im Vorjahr. Das Wachstum steigt, Lohnerhöhungen sind in Aussicht. So gesehen ist es kein Wunder, dass eine Mehrheit sagt, der Wirtschaft gehe es wieder gut. Viel interessanter finde ich, dass immer noch 40 Prozent in der gegenwärtigen Situation sagen, die wirtschaftliche Lage sei ihrer Einschätzung nach nicht so gut. Das zeigt, was wir in dieser Gesellschaft seit einigen Jahren erleben: Es gibt viele, denen es besser geht. Aber das heißt nicht, dass die, die unten in der Pyramide sind, auch davon profitieren.

tagesschau.de: Eine große Mehrheit der Bürger fühlt sich in Deutschland relativ sicher vor Terroranschlägen. Gleichzeitig ist fast die Hälfte dafür, dass die Sicherheitsgesetze im Land verschärft werden müssen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Schönenborn: Nein, das Sicherheitsgefühl ist zur Zeit tatsächlich recht gut und solide. Wir haben immerhin eine Mehrheit von 54 Prozent, die sagt, dass die gegenwärtigen Gesetze ausreichen. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass es in Deutschland eigentlich eine hohe Bereitschaft gibt, schärfere Gesetze zu fördern. Bundesinnenminister Schäuble hat gegenüber dem Vormonat mehr als zehn Punkte Popularität verloren. Und er ist ja derjenige, der eine Verschärfung gefordert hat. Auf einen Nenner gebracht: Eine Mehrheit will keine schärferen Gesetze und damit Einschränkungen der persönlichen Freiheit.

tagesschau.de: Es fällt auf, dass einzelne Politiker in der Gunst der Befragten stark schwanken, sich in der Sonntagsfrage ("Wen würden Sie wählen, wenn nächsten Sonntag Wahlen wären?") aber so gut wie nichts tut. Woran liegt das?

Schönenborn: Ja, seit dem Winter hat es in der Sonntagsfrage praktisch keine Veränderung mehr gegeben. Für mich ist das Ausdruck einer gewissen "Egal-Haltung" gegenüber der Koalition. Man findet sie nicht gut, eine andere will man aber auch nicht. Das gleiche gilt für die Parteien. Die Menschen wollen sich nicht wirklich damit auseindersetzen, welche Partei uns jetzt nach vorne bringen könnte. Mit den einzelnen Politikern ist das anders, da ist die Aufmerksamkeit größer. Wenn Frau von der Leyen Krippenplätze verspricht, ist das Herz der Menschen offen. Wenn sie dann aber kein Geld dafür ausgeben will, knickt das gleich wieder ein. Interessant ist, dass sich auch profilierte Politiker zunehmend von den Parteien lösen. Frau Merkel hat beispielsweise wunderbare Werte, aber die Union profitiert kaum davon. Herr Beck hat miserable Werte, aber der SPD als Partei scheint es kaum zu schaden.

Die Fragen stellte Claudia Ulferts, tagesschau.de