Hintergrund

Sitzen statt demonstrieren Wem droht der "Unterbindungsgewahrsam"?

Stand: 22.10.2015 11:57 Uhr

Bis zu 14 Tage in Haft ohne Urteil – auf den ersten Blick scheint der so genannte Unterbindungsgewahrsam im deutschen Rechtssystem eigentlich gar nicht möglich. Unter bestimmten Umständen können allerdings Personen so lang festgehalten werden, ohne dass sie bereits eine Straftat begangen haben.

Keine Haft ohne Verurteilung: das ist eines der wichtigsten Prinzipien des Rechtsstaats. Dennoch können unter bestimmten Bedingungen in Deutschland mit dem Unterbindungsgewahrsam Personen auch über mehrere Tagen hinweg festgehalten werden, ohne dass sie bereits eine Straftat begangen haben.

Die Regelung zielt vor allem auf gewalttätige Demonstranten. Aber auch Hooligans müssen gegebenenfalls mit mit dem Unterbindungsgewahrsam rechnen.

Der Unterbindungsgewahrsam ist keine Strafe. Er gehört in den Bereich „Gefahrenabwehr“ und hat seine Rechtsgrundlage in den Polizeigesetzen der einzelnen Bundesländer. In Berlin heißt das etwa „Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin“. In Mecklenburg-Vorpommern ist es das „Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern.“

Regelungen nicht bundeseinheitlich

Eine einheitliche Regelung gibt es allerdings nicht. Der auffälligste Unterschied: Die maximale Dauer, für die ein Freiheitsentzug festgesetzt werden darf. Wer in Berlin in Gewahrsam genommen wird, muss spätestens um 24.00 Uhr am darauffolgenden Tag wieder freigelassen werden. Wer in Schwerin oder Heiligendamm festgesetzt wird, kann bis zu zehn Tage festgehalten werden. In Baden-Württemberg, Sachsen und Bayern können es auch bis zu zwei Wochen sein.

Gewahrsam muss von Richter geprüft werden

Allerdings muss jeder Unterbindungsgewahrsam unverzüglich von einem Richter überprüft werden. Das gilt in allen Bundesländern. Denn die Polizei darf Personen grundsätzlich nur bis zum Ende des auf eine Festnahme folgenden Tages in Haft behalten. Dann muss der Inhaftierte einem Richter vorgeführt worden sein. Ohne richterlichen Beschluss müsste er sonst wieder freigelassen werden. Konkret heißt das: Am Wochenende müssen Richter bereit stehen, um notfalls auch fristgerecht über die Freiheitsentziehung entscheiden zu können.

Wann ist er gerechtfertigt?

Die Voraussetzungen für den Unterbindungsgewahrsam sind ebenfalls in den Länderpolizeigesetzen geregelt. Nach dem Schweriner Gesetz ist er unter anderem gerechtfertigt, um eine unmittelbar bevorstehende Straftat zu verhindern. Doch woher weiß die Polizei das?

Laut dem Gesetz liegt der Verdacht nahe, wenn die Tat etwa über Transparente angekündigt wird oder Waffen und Werkzeuge mitgeführt werden, die für eine Straftat taugen. Wer zum Beispiel mit dem Bolzenschneider in Richtung Heiligendammer Zaun unterwegs ist, dürfte darunter fallen.

Nach Platzverweis kann Gewahrsam folgen

Auch denjenigen, die bereits in der Vergangenheit "bei der Begehung von Straftaten als Störer" angetroffen wurden, droht der Unterbindungsgewahrsam. Daneben kann er auch verhängt werden, um einen Platzverweis durchzusetzen – etwa wenn Demonstranten auf Aufforderung der Polizei einen Bereich nicht räumen.

Wesentlich weniger konkret, aber ebenfalls für die Verhängung des Unterbindungsgewahrsams ausreichend ist es, wenn dieser "unerlässlich ist, um eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren."

Freiheitsentzug immer wieder umstritten

Der Freiheitsentzug durch diese Gesetze war politisch wie juristisch immer wieder umstritten - etwa wie lange er bei Demonstrationen dauern darf. Denn der Gewahrsam muss "unverzüglich" aufgehoben werden – so das Schweriner Gesetz, "sobald der Grund weggefallen oder der Zweck erreicht ist."

Die Auslegung der bayerischen Behörden, die 1992 in München Demonstranten gleich für mehrere Tage in Gewahrsam nehmen wollten, verwarfen die Gerichte. Grundsätzlich ist aber auch denkbar, dass bereits als gewalttätig bekannte Demonstranten länger oder schon vor einem Ereignis in Gewahrsam genommen werden. Der Maßnahme traf mehrfach eine große Zahl von Personen, so etwa 1996 in Bremen oder 1998 in Lübeck, wo mehrere hundert Demonstranten in Gewahrsam genommen wurden.

Gelegentlich wird der Freiheitsentzung auch "Vorbeugegewahrsam" oder "Vorbeugehaft" genannt. Offiziell wird das allerdings vermieden, denn unter dem NS-Regime wurden politische Gegner in "Vorbeugehaft" genommen.

Kein Gewahrsam bei den "schweren Jungs"

Für die Unterbringung im Gewahrsam gibt es bestimmte Regeln. So dürfen die Personen, die in Gewahrsam genommen wurden, nicht mit Untersuchungs- oder Strafhäftlingen in einem Raum untergebracht werden.

Die Länderbehörden haben sich darauf im Vorfeld von Großereignissen meist vorbereitet. Für denUnterbindungsgewahrsam werden öffentliche Gebäude umfunktioniert, wenn in den Justizvollzugsanstalten der Platz nicht reicht. Auch Kasernen und Turnhallen dienten schon dafür.

Darüber, wie auch das genaue Vorgehen der Polizei, geben die Behörden kaum Auskunft. An Zellen fehlt es in Mecklenburg-Vorpommern allerdings offenbar nicht. Ministerpräsident Harald Ringstorff verwies auf leerstehende Haftanstalten und sein Innenminister Lorenz Caffier bekräftigte: "Wir haben genug Plätze."