Interview

Rechtsextremismus und Globalisierung NPD fürchtet Angriff auf die "Volkssubstanz"

Stand: 28.05.2007 14:25 Uhr

Mathias Brodkorb ist als SPD-Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern im politischen Alltag mit der NPD konfrontiert. Zusätzlich engagiert er sich mit seinem Internet-Projekt "Endstation Rechts" gegen die Rechtsextremisten. Brodkorb beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema, veröffentlichte unter anderem ein Buch mit dem Titel "Metamorphosen von rechts: Eine Einführung in Strategie und Ideologie des modernen Rechtsextremismus".

tagesschau.de: Benutzt die NPD den G8-Gipfel ausschließlich, um Aufmerksamkeit zu erhaschen, oder ist das Thema Globalisierung ein wichtiger Bestandteil in der Ideologie der Rechtsextremisten?

Mathias Brodkorb: Das Kernthema der NPD in der Alltagskommunikation ist der Wohlstandschauvinismus: „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche!“, „Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg!“ Diese Parolen werden mittlerweile abgeleitet aus Globalisierungsanalysen: Deutschland drohe durch die Globalisierung der totale ökonomische Kollaps, so die Annahme. Daher müsse Deutschland aus diesem Prozess herausgenommen werden, fordert die NPD. Auf soziale Themen setzt die NPD allerdings bereits seit Jahren; der G8-Gipfel ist ein Anlass, diese im Sinne der Rechtsextremisten zu thematisieren.

tagesschau.de: Wie nimmt die NPD denn die Globalisierung wahr?

Brodkorb: Das Kuriose ist: Die NPD interpretiert sich selbst als anti-neoliberal, als Anwalt des Kleinen Mannes. Sie übernimmt aber die Globalisierungs-Analyse eins zu eins von neoliberalen oder neoklassischen Ökonomen. Diese beinhaltet, dass es eine Art naturhaftes Schicksal gebe, in dem Deutschland als Hochlohnland zum Verlierer des Globalisierungsprozesses gehöre. Diese Analyse wird von der NPD ohne Kritik geteilt, Unterschiede ergeben sich in den Konsequenzen: Die NPD will die Schotten dicht machen und Deutschland aus der Globalisierung ausklinken. Dabei ignoriert sie natürlich, dass Deutschland zu den Gewinnern der Globalisierung gehört: Deutschland ist Exportweltmeister. Auch mit Polen erwirtschaftet Deutschland einen Exportüberschuss – obwohl die NPD ihre Parteizeitung dort drucken lässt.

tagesschau.de: Wen sieht die NPD als verantwortlich an für die Globalisierung und ihre Folgen?

Brodkorb: Die politische Klasse, internationale Akteure und die ausländischen Arbeitskräfte, die nach Deutschland kommen, um den Deutschen ihre Arbeit "wegzunehmen". Der letzte Punkt ist das bestimmende Motiv in der Alltagskommunikation der NPD.

tagesschau.de: Was ist mit den USA, neben Israel dem Lieblingsfeind der Rechtsextremisten?

Brodkorb: Die USA sind für die NPD der wichtigste Akteur der
Globalisierung und stehen damit im Hauptfokus der Kritik: Was früher die Juden für die Nationalsozialisten waren, das sind die Vereinigten Staaten für die NPD. Und da wird Israel in der Kritik immer noch angegliedert.

Rassismus: Kulturell statt biologisch begründet

tagesschau.de: Gerade im Bezug auf die USA fällt gerne der Begriff der Kulturlosen. Auch die NPD begründet die Ablehnung der Globalisierung vor allem auch kulturell. Wie geht das?

Brodkorb: Bei der NPD haben wir es mit einer Organisation zu tun, die noch rassistisch ist, die also völkisch-nationalistische Einheiten konstruiert und abgrenzt. Dieses tut sie in den Programmdokumenten aber nicht mehr mit Merkmalen der biologischen Rasse. Anstelle dessen ist die Theorie der kulturellen Differenz getreten. Das wird dann Ethnopluralismus genannt. Die NPD setzt im Gegensatz zum nationalsozialistischen Imperialismus auf die "Vielfalt der Völker". Sie will die kulturell-rassische Homogenität der Völker durch Ausweisungen von Ausländern aus einem bestimmten Kulturkreis erreichen.

Für die NPD erscheint die Globalisierung als ein Phänomen, das in allen Lebensbereichen die "kulturellen Identitäten" in Frage stellt. Die NPD glaubt, durch die Globalisierung entstehe ein „ethnokultureller Menschenbrei“, wie sie es formuliert. Und dies bedeutet aus Sicht der Rechtsextremisten einen Angriff auf die „Volkssubstanz“. Das ist für die NPD die größte Bedrohung überhaupt. Die wohlstandschauvinistischen Parolen spielen im Alltag die Hauptrolle. Sie sind das strategische Instrument, um in der Bevölkerung Reflexe gegen die Globalisierung zu erzeugen. Aber eigentlich geht es der NPD darum, mit dem Aufhalten der Globalisierung die "kulturelle Identität der Deutschen" zu retten.

Konzept von Identität fehlt der Linken oft

tagesschau.de: Inwieweit bestehen hier Schnittmengen zu sich als links definierenden Gruppen?

Brodkorb: Das Modell des Nationalsozialismus war: Deutschland macht die Welt „platt“ und alle sollen unter die kulturelle Hegemonie der „arischen Rasse“ gestellt werden. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es den Reflex, dass das Gegenteil davon links sein müsse. Also war die Vielfalt der Völker links. Und nun dringt die NPD sozusagen in die Linke ein. Im Alltag sind die Grenzen dann kaum noch zu erkennen. Überspitzt gesagt: Ein 16-Jähriger mit Rasta-Locken und Che-Guevara-Shirt könnte auch einen Spruch auf den Lippen haben, wie „die Globalisierung ist eine schlimme Sache, weil die Vielfalt der Völker in Frage gestellt wird“. Denn das Konzept von Identität in Bezug auf Globalisierung ist auf Seiten der Linken gar nicht klar.

"G8-Gipfel kostet viel Geld!"

tagesschau.de: Wie äußert sich die NPD-Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern zum G8-Gipfel?

Brodkorb: Da wird die Auseinandersetzung reduziert auf das populistische Motto: „Der G8-Gipfel kostet viel Geld - und die NPD will dieses Geld für etwas anderes ausgeben!" Also beispielsweise für ein Geburtsbegrüßungsgeld für deutsche Kinder. Im politischen Alltag kann oder will die NPD in Schwerin dieses Thema nicht auf die ideologische Ebene heben, auf der dies sonst in der NPD diskutiert wird. Es scheint, als habe die Fraktion in Schwerin nicht das ideologische Format wie die Schwesterfraktion in Dresden.