Interview

Johannes Rau im Gespräch "Ich war ein politischer Präsident"

Stand: 27.08.2007 04:32 Uhr

Der scheidende Bundespräsident Johannes Rau galt als Spätstarter in seinem Amt. Erst nach beträchtlichen Anfangsschwierigkeiten fasste er Tritt und legte das Etikett vom "Bruder Johannes" ab. Mittlerweile gilt er vielen als politischer Präsident. Im Interview mit den ARD-Korrespondenten Werner Sonne und Thomas Baumann sprach Rau über Defizite, Chancen, Korruptionsvorwürfe und Glaubwürdigkeit.

Werner Sonne: Ihre Amtszeit vor fünf Jahren begann mit Startschwierigkeiten. Warum hat es so lange gedauert, bis Sie als Bundespräsident erkennbar wahrgenommen worden sind?

Johannes Rau: In manchem habe ich zu zögerlich reagiert, zu sehr gedacht, ich darf jetzt nicht mich und das Amt da einbringen und habe dann anderen überlassen, sich mit diesen Fragen auseinander zu setzen. Da war nichts Ehrenrühriges (LBS-Flugaffäre - Anm. der Red.), da war nichts, was ich mir hätte vorwerfen lassen müssen. Aber ich habe es als unglücklich empfunden. Und deshalb hat es wohl ein paar Monate zu lang gedauert, bis ich mich wirklich ganz auf die Aufgaben konzentrieren konnte.

Sonne: "Der Bedächtige im Bellevue“, "Der unerhörte Präsident“ oder "Johannes Rau fehlen die Worte“ - so lauteten Überschriften aus Leitartikeln zu dieser Zeit. Hatten die alle Unrecht? Haben Sie sich gekränkt gefühlt?

Rau: Ich kann mich gut erinnern an solche Artikel. Natürlich belastet das einen. Aber die Belastung ist dann abgefallen, weil die Zustimmung immer stärker wurde und weil ich hernach nicht mehr unerhört war und weil mir nicht die Worte fehlten, sondern weil ich den Eindruck hatte, ich kann politische Orientierung geben, ich kann politisch etwas bewirken, mehr als in der Verfassung diesem Amt zugeschrieben wird.

Thomas Baumann: Was hat Sie in diesen fünf Jahren am stärksten emotional berührt?

Rau: Natürlich hat es mich berührt, als der Parlamentspräsident in der Knesset sagte: Wir hören gleich einen Mann, der spricht die Sprache Hitlers, Himmlers und Goebbels, aber es ist auch die Sprache von Heinrich Heine und Moses Mendelsohn. So was bleibt nicht in den Kleidern hängen.

Und natürlich hat mich schlaflos gemacht, dass ich in Erfurt vor dem Dom sprechen musste, als 16 Menschen erschossen worden waren.

Baumann: Sie sind ein ausgewiesener Israelfreund. Trotzdem, ausgerechnet in einer Tischrede zu Ehren des israelischen Staatspräsidenten Mosche Katzav wurden Sie sehr deutlich. Niemand dürfe Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person sein. Glauben Sie, dass Sie gegen Ende Ihrer Amtszeit Dinge deutlicher, offener, freier ansprechen können?

Rau: Sie haben aber den Satz davor nicht zitiert. Der Terror gegenüber den Menschen in Israel muss aufhören. Das ist der Kernsatz. Und wenn man den gesagt hat, und wenn der glaubwürdig ist, dann kann man die anderen Sätze auch sagen. Natürlich gab es anschließend Gespräche, in denen manche sagten: Musste das sein in dieser Tischrede? Und andere sagten: Ja, das musste sein. Da waren zwei Freunde, die mir gleich nah oder fern sind, der eine sagte: Ich war richtig stolz auf Sie. Und der andere sagte: Das hätten Sie sich heute Abend sparen können. Das gehört dazu, dass man das sagt, was jetzt gesagt werden muss.

Baumann: Sie haben mal gesagt, der Bundespräsident hat nur die Kraft des Wortes. Bedauern Sie das?

Rau: Heute kriegen Sie rund 43 Stunden Talkshows pro Woche. Und es sind immer die gleichen Plaudereien. Das bedrückt mich, weil das wichtige Wort, die Kraft des Wortes, natürlich nur dann wirklich ankommt, wenn es nicht im Sendesalat untergeht. Das ist ja wie beim Radio, wo man den Sender nicht findet - man hört nichts, nur Geräusche.

Baumann: Sie gelten als exzellenter Redner - präzise, wortgenau, treffsicher. Haben Sie vor bestimmten Reden überhaupt noch so was wie Lampenfieber oder Nervosität?

Rau: Oh ja. Vor allen Dingen bei den Reden, die in einem langen Prozess entstanden sind. Die man mit Mitarbeitern erarbeitet hat, bei denen jeder einzelne Satz geprüft worden ist auf seine, auf die Möglichkeit der Missverständnisse, abgegrenzt worden ist gegen andere Deutungen. Und wenn Sie das dann vortragen, dann wissen Sie nicht, ob die Überlegungen, die zu dem Satz geführt haben, wirklich im Satz sind. Und dann lebt man da vorne am Rednerpult doch zwischen Transpiration und Inspiration.

"Das Amt des Präsidenten ist überparteilich" - Teil II des Interviews mit Johannes Rau