Interview

Interview zu Maßnahmen gegen Vogelgrippe "Es wird Engpässe beim Impfstoff geben"

Stand: 16.02.2006 09:49 Uhr

Mit der Stallpflicht für Geflügel will die Bundesregierung verhindern, dass die Vogelgrippe sich in Deutschland verbreitet. Greift sie dennoch auf größere Tierbestände über, dürfte es zur massenhaften Tötung von Tieren kommen. Doch reichen diese Maßnahmen aus? Und wie schnell kann ein Impfstoff gegen das Virus entwickelt werden? Tagesschau.de sprach darüber mit dem Marburger Virologen Prof. Hans-Dieter Klenk.

tagesschau.de: Reicht die Stallpflicht für Geflügel als Reaktion auf die Vogelgrippe aus?

Hans-Dieter Klenk: Ich hoffe es. Es ist eine sinnvolle Maßnahme. Ob dieses Netz aber dicht genug ist, um zu verhindern, dass das Virus von Wildvögeln auf Hühner übertragen wird, bleibt abzuwarten.

tagesschau.de: Welche zusätzlichen Maßnahmen könnten denn ergriffen werden?

Klenk: Eine weitere vorbeugende Maßnahme wäre, Tiere zu impfen. Man kann aber nicht ausschließen, dass diese dann gesunden Tiere das Virus noch in geringer Menge mit sich herumtragen und insofern eine Infektionsquelle für nicht-geimpfte Tiere darstellen. Aus diesem Grund haben die EU und die nationalen Behörden die Impfung gebannt. Statt dessen setzen sie auf die so genannte Keulung, also die Vernichtung von Tierbeständen. Diese Maßnahme hat das erreger-freie Tier zum Ziel. Wenn aber dann das Virus wieder von irgendwo her auftaucht, sind die Bestände dem Erreger schutzlos ausgesetzt. Und dann müssen wieder Tiere getötet werden - mit allen unschönen Begleiterscheinungen.

tagesschau.de: Ist es ein Fehler, auf die Impfung zu verzichten?

Klenk: Man müsste diese Haltung überdenken. In China und Südostasien hat man das Problem durch die Keulung nicht in den Griff bekommen. Dort wird deshalb auch geimpft.

tagesschau.de: Wie kann sich der einzelne Bürger schützen, welche Regeln sollte er beachten?

Klenk: Der Bürger sollte den Kontakt mit infizierten Wildvögeln meiden. Weitere Vorsichtsmaßnahmen sind derzeit nicht nötig.

tagesschau.de: Wie schnell kann ein Impfstoff entwickelt werden?

Klenk: Für Tiere gibt bereits einen Impfstoff. Für Menschen werden Impfstoffe entwickelt. Aber bislang haben wir es ja noch nicht mit einem menschlichen Virus zu tun. Deshalb ist es sicher nicht angebracht, Menschen gegen H5N1 zu impfen. Das ist erst sinnvoll, wenn sich das Virus von Mensch zu Mensch überträgt. Man rechnet dann mit mindestens drei Monaten, bis ein Stoff entwickelt und in großer Menge zur Verfügung steht.

tagesschau.de: Wenn in Deutschland jeder Mensch zweimal geimpft wird, wären rund 160 Millionen Dosen erforderlich. Kann diese Menge in so kurzer Zeit produziert werden?

Klenk: Das ist ein großes Problem. Die meisten Impfstoffproduzenten sind in Europa angesiedelt, und das sind insgesamt nur acht. Es wird also große Engpässe geben und schwierig sein, den größten Teil der Weltbevölkerung in kurzer Zeit zu impfen.

tagesschau.de: Wer entscheidet dann, wer geimpft wird und wer nicht?

Klenk: Bei anderen Impfungen mit so genannten antiviralen Substanzen gibt es Pläne, nach denen die Gruppen zuerst behandelt werden, die für die Versorgung von Kranken und die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens notwendig sind – zum Beispiel Krankenhaus- und Pflegepersonal, Ärzte, Feuerwehrleute oder Polizisten.

tagesschau.de: Halten Sie es angesichts dessen für wahrscheinlich, dass es zu einer Pandemie kommt?

Klenk: Das ist keine Übertreibung. Wir wissen, dass die menschlichen Grippeviren von Vogelgrippeviren abstammen. Je verbreiteter ein Influenza-Virus bei Vögeln ist und je häufiger die Übertragungsmöglichkeiten vom Tier auf den Menschen sind, um so größer ist die Chance, dass aus einem Tiervirus ein menschliches wird. Das ist wie beim Lotto. Je höher der Einsatz, desto größer die Trefferquote.

tagesschau.de: Könnte es sein, dass das Virus nach Entwicklung eines Impfstoffs noch einmal mutiert?

Klenk: Das Virus verändert sich immer. Und wenn das geschieht, kann es sein, dass der Impfstoff, den wir jetzt entwickeln, in ein paar Monaten oder Jahren obsolet ist. Möglicherweise entwickeln wir also einen nicht-aktuellen Impfstoff. Deswegen muss man genau überlegen, in welchen Mengen man diesen Impfstoff produziert. Man muss überlegen, ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, so viel zu produzieren, dass man einen Großteil der Bevölkerung impfen kann.

Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de