Interview

Interview mit al Masris Anwalt Gnjidic "Die Menschenrechte wurden eklatant verletzt"

Stand: 14.12.2005 19:44 Uhr

Die Frage, wie tief deutsche Behörden in den Fall al Masri verstrickt sind, ist weiter nicht geklärt. tagesschau.de sprach mit Manfred Gnjidic, dem Anwalt Khaled al Masris. Für ihn ist der Fall ein Zeichen dafür, wie mit den höchsten Werten eines Staates umgegangen wird. Al Masri ist deutscher Staatsbürger libanesischer Abstammung. Der Neu-Ulmer wurde nach eigenen Angaben am Silvestertag 2003 von mazedonischen Sicherheitskräften entführt und von der CIA fünf Monate lang in Kabul festgehalten und gefoltert. Heikle Details gab al Masri nach seiner Rückkehr zu Protokoll. Er sei unter anderem von einem Mann verhört worden, dessen Muttersprache Deutsch gewesen sei.

tagesschau.de: Herr Gnjidic, Ihr Mandant hat ausgesagt, dass ihm während der Verhöre detaillierte Beobachtungen aus seinem Alltag geschildert wurden. Weist das nicht auf eine Verstrickung des Bundesnachrichtendienstes (BND) hin?

Manfred Gnjidic: Der Lebenslauf und der Alltag von Herrn al Masri war den Entführern en detail bekannt, ebenso seine Beziehungen. Er wurde dahingehend sowohl in Mazedonien als auch in Afghanistan befragt. Es ist auf jeden Fall sehr schwer nachzuvollziehen, dass hier eine Personenverwechslung aufgrund des Namens stattgefunden haben soll. Das war ja zunächst behauptet worden.

Die CIA wusste genau über al Masri Bescheid

tagesschau.de: Hat der BND also einen unschuldigen Staatsbürger ausgeliefert, oder operiert die CIA in Deutschland?

Gnjidic: Irgend jemand hat al Masri über einen längeren Zeitraum ausgekundschaftet. Wer, das wissen wir nicht, oder besser: noch nicht. Fakt ist aber, dass die CIA genau über meinen Mandanten Bescheid wusste.

tagesschau.de: Bei den Verhören war vermutlich ein Deutscher anwesend, der, so gibt Ihr Mandant an, "mit deutschen Behörden Rücksprache" hielt. Was beweist das?

Mann mit norddeutschem Aktent nicht maskiert

Gnjidic: Al Masri identifiziert diese Person ohne Zweifel als Deutschen. Wir wissen natürlich nicht, auf wessen Gehaltsliste diese Person steht. Es könnte sich ja auch um einen ausgewanderten Deutschen handeln. Seine Aussprache - er hatte einen norddeutschen Akzent - und zufällige Bemerkungen haben eindeutige Indizien auf seine Herkunft gegeben. Außerdem war nur er nicht maskiert. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass all dies von der CIA nachgestellt hätte werden können. Nun versuchen wir, diese Person, die unter dem Decknamen "Sam" auftrat, zu identifizieren.

Symbol, wie mit den höchsten Werten umgegangen wird

tagesschau.de: Bislang hieß es, Deutschland stehe kritisch zur US-Außenpolitik, sowohl in bezug auf den Krieg im Irak als auch hinsichtlich der aggressiven Anti-Terror-Politik. Lässt der Fall al Masri nicht ein vollständig neues Bild entstehen?

Gnjidic: Der Fall al Masri ist eben auch ein Symbol dafür, wie bei uns mit den höchsten Werten des Staates umgegangen wird. Diese Werte stehen gleich in den ersten Absätzen des Grundgesetzes. Dort steht nicht: "Die Arbeit der Geheimdienste ist unantastbar." Das Grundgesetz schützt ohne Zweifel die Menschenrechte. Und die wurden im vorliegenden Fall eklatant verletzt.

tagesschau.de: Über die Amerikanische Bürgerrechtsunion (ACLU) haben Sie nun auch in den USA Klagen gegen Verantwortliche eingereicht. Welches Ausmaß habe die CIA-Entführungen inzwischen erreicht?

Gnjidic: Tatsächlich verfügt die ACLU über entsprechende Auflistungen. Es gibt etwa einen Fall in Kanada, einen in Schweden, einen weiteren in Italien. Aber das sind nur die prominenten Fälle. Man rechnet mit bis zu 150 Fällen illegaler Verschleppungen Unschuldiger.

tagesschau.de: Nun hält sich die Bundesregierung ebenso wie andere Staatsführungen bislang gegenüber den USA zurück. Wie erklären Sie sich diese vermeintliche Akzeptanz auf internationaler Ebene?

Gnjidic: Dieser Zurückhaltung sind wir bei unseren Ermittlungen auch immer wieder begegnet. Auch deswegen arbeiten wir inzwischen stark über die Medien, um so eine Öffentlichkeit herzustellen und Druck auszuüben.

Wer hat die Kontrolle? Das Volk oder der Geheimdienst?

tagesschau.de: Was steckt aber hinter dem Schweigen?

Gnjidic: Das ist bislang völlig unklar. Ich sage Ihnen aber, dass es einem richtiggehend Angst einjagt, wenn man dieser geschlossenen Front gegenübersteht. Auch in Gesprächen mit Kollegen bekomme ich immer wieder bestätigt, dass hier eine Grenze überschritten wurde. Und deswegen wird die Bundesregierung Rede und Antwort stehen müssen. Wir alle müssen uns Gedanken machen, wer hier eigentlich die Kontrolle hat: das Volk, die Regierung, der Geheimdienst? Und wenn, welcher?

Das Interview führte Harald Neuber