Interview

Fragen zum mysteriösen Mord an Alexander Litwinenko ''Man muss keine Dreckspur durch Europa hinterlassen''

Stand: 11.12.2006 15:37 Uhr

"Polonium kann man in einer gut verschlossenen Flasche sauber transportieren, ohne Spuren zu hinterlassen", sagt Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, im tagesschau.de-Interview. Aus der Tatsache, dass Polonium über halb Europa verteilt wurde, schließt er, dass gezielt falsche Spuren gelegt wurden.

tagesschau.de: Was halten Sie vom Fall Litwinenko? Welche Fragen stellen sich Ihnen?

Sebastian Pflugbeil: Komisch daran wirkt für mich vor allem, welch breite Spuren um den ermordeten Alexander Litwinenko gezogen worden sind. Die laufen ja durch halb Europa. Dabei gibt es wesentlich unauffälligere Methoden, jemanden umzubringen. Man muss dazu wissen, dass Polonium zwar ein sehr gefährlicher Alpha-Strahler ist. Aber: Diese Strahlung wird bereits durch ein Blatt Papier abgeschirmt. Wenn man Polonium also in einer gut verschlossenen Flasche hat, kann man es sauber transportieren und muss nicht eine solche Dreckspur hinterlassen.

tagesschau.de: Was schließen Sie aus dieser Analyse?

Pflugbeil: Entweder handelt es sich bei den Tätern um Dilettanten oder - und das würde ich auch für möglich halten - die Spur ist absichtlich gelegt worden, um den Verdacht in eine bestimmte Richtung zu lenken.

tagesschau.de: In welche Richtung?

Pflugbeil: Die Spur zeigt ausdrücklich auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin und den KGB. Es sieht aus, wie ein Revanche-Anschlag von KGB-Leuten auf einen abtrünnigen Kollegen. Solche Mordanschläge auf ausgebrochene Geheimdienstleute gibt es in allen Geheimdiensten der Welt. Das ist nicht weiter verwunderlich. Was hier aber auffällt, ist die Art und Weise: Geheimdienstleute sind normalerweise darin geschult, Leute umzubringen, ohne Spuren zu hinterlassen. Und hier ist geradezu eine Autobahn nach Moskau ausgewalzt worden.

"Man wollte das Spektakel"

tagesschau.de: Man wollte also bewusst Aufsehen erregen.

Pflugbeil: Ja. Man wollte das Spektakel. Polonium ist ein exotisches Metall - ein Isotop, was über viele Jahre für die Atomwaffenproduktion interessant war. Es ist immens teuer und nicht ganz leicht zu beschaffen. Wenn jemand damit umgebracht wird und dann noch so eine weiträumige Verschmutzung stattfindet, ist klar, dass die Weltpresse Kopf steht.

tagesschau.de: Handelt es sich also um eine Aktion gegen Putin?

Pflugbeil: Im Moment wirkt es zumindest so, ja. Den KGB würde ich als Täter natürlich nicht ausschließen. Jeder andere Geheimdienst könnte es aber auch gewesen sein. Es könnte auch über die Kontaktpersonen Litwinenkos in London gelaufen sein, die vornehmlich aus der Wirtschaft kommen. Das ist alles Spekulation.

tagesschau.de: Ist Polonium in Geheimdienstkreisen eine übliche Substanz, um politische Gegner aus dem Weg zu schaffen?

Pflugbeil: Nein. Mir ist kein einziger weiterer Fall bekannt.

Polonium könnte aus Atomfabrik im Ural stammen

tagesschau.de: Woher könnte das Polonium stammen?

Pflugbeil: Es gibt Hinweise, dass in einer dieser Atomfabriken im Ural - in Arsamas-16 - vor einiger Zeit eine gewisse Menge an Polonium geklaut worden ist. Ob es sich um das Polonium handelt, mit dem Litwinenko umgebracht wurde, kann ich natürlich nicht sagen. Es wäre aber vorstellbar.

tagesschau.de: Es gab vor einigen Jahren den Verdacht, dass die Stasi in der DDR Regimegegner radioaktiv verstrahlen ließ. Haben Sie darüber Erkenntnisse?

Pflugbeil: Ich war in die Untersuchung dieses Verdachts involviert. Die Stasi hat mit radioaktiven Substanzen im wesentlichen Markierungen vorgenommen, Markierungen von Dokumenten, Personen und Fahrzeugen, um die Bewegungen von Menschen oder Akten mit Hilfe von Geigerzählern verfolgen zu können. Aber für den Einsatz von Strahlung als Mordinstrument haben wir keinen Anhaltspunkt gefunden. Es gibt aber entsprechende Berichte aus Rumänien. Dort gab es ein solches Programm, dort wurden gezielt Oppositionelle durch Strahlung umgebracht, die Methode stammte aus Russland.

Zur Person

Sebastian Pflugbeil ist seit 1999 Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz. Der promovierte Physiker und Bürgerrechtler gehörte 1989 zu den Mitbegründern des Neuen Forums. Pflugbeil setzt sich seit Jahren für die Opfer der Reaktorkatastrophe von Tschernoby ein. Seit 1993 ist er Vorsitzender des Vereins "Kinder von Tschernobyl".

Das Gespräch führte Sabine Klein, tagesschau.de