Grundgesetz und Vertrag von Lissabon

Begleitgesetze zum EU-Lissabon-Vertrag Ein Vetorecht für "16 Zwerge"?

Stand: 26.08.2009 14:25 Uhr

Sie sollen den Lissabon-Vertrag mit dem Grundgesetz in Einklang bringen sowie Bundestag und Bundesländern mehr Mitsprache gewähren: die Begleitgesetze. Nachdem der Bundestag sich in erster Lesung zur EU-Integration bekannte, wurden am 8. September verabschiedet werden. Am 18. September soll der Bundesrat zustimmen.

Von Nicole Diekmann, tagesschau.de

Die Gesetzentwürfe trugen höchst komplizierten Namen und Inhalten, sollen jedoch der Vereinfachung dienen sollen: Das Integrationsverantwortungsgesetz, das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) und das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBLG). Zunächst einmal sollen sie das Grundgesetz und den EU-Reformvertrag von Lissabon miteinander vereinbar machen, damit Deutschland den Vertrag ratifizieren kann.

Linkspartei will erneut klagen

Vor der deutschen Unterschrift sei jedoch erstmal die Sicherung einer stärkeren Mitsprache von Bundestag und Bundesrat in EU-Fragen nötig, befand das Karlsruher Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Juni. Zwar hatten Bundestag und Bundesrat bereits mehrheitlich 2008 für den Lissabon-Vertrag gestimmt, doch hatten einzelne Abgeordnete vor dem BVerG dagegen geklagt. Erfolgreich, wie sich durch das Urteil zeigte. Wochenlang verhandelten die Bundestagsparteien daraufhin, bis sie sich vergangene Woche auf diese Gesetzentwürfe einigten - außer der Linkspartei. Sie lehnt den Vertrag von Lissabon grundsätzlich ab und will erneut dagegen klagen.

Die Bundesregierung aber drückt aufs Tempo: Am 2. Oktober stimmen die Iren zum zweiten Mal über den Lissabon-Vertrag ab. Diesmal soll er durchkommen, anders als beim ersten Mal. Da könnte ein "Ja" aus Berlin Signalwirkung haben, die Unterschrift die Integration also doppelt beschleunigen. Zwei Sondersitzungen hat der Bundestag deshalb anberaumt, um die Begleitgesetze möglichst schnell auf den Weg zu bringen. Bei der zweiten Sitzung am 8. September wurden sie verabschiedet werden. Die Länderkammer soll am 18. September zustimmen.

Regelung des Dreiecksverhältnisses

Der Europarechtler Peter-Christian Müller-Graff ist voll des Lobes für die Gesetzesvorhaben. So werde das Verhältnis zwischen Berlin und Brüssel klarer geregelt, aber auch das Zusammenspiel von Bundesrat, Bundesregierung und Bundestag sowie den Landtagen. Das Integrationsverantwortungsgesetz, wonach der Bundestag zustimmen muss, wenn bisher nationale Zuständigkeiten an die EU übertragen werden, setze die Karlsruher Vorgabe "voll um".

Dieses Gesetz sieht vor, dass es jedes Mal der Zustimmung des Bundestages bedarf, wenn die EU-Staaten der Gemeinschaft Rechte zubilligen, die über die im Vertrag erwähnten hinausgehen. Hier reagiert man auf eine Neuerung des Lissabon-Vertrags, der das bisher geltende Vetorecht einzelner Staaten abschafft: Werden aus bislang einstimmig zu fassenden Beschlüssen solche, für die eine einfache Mehrheit reicht, fällt automatisch das Vetorecht. Auch in diesem Fall muss die Bundesregierung vorher die Genehmigung des deutschen Parlaments einholen.

Beim Strafvollzug sollen Länder weiter bestimmen können

Bundestag und Bundesrat bekommen durch das Integrationsverantwortungsgesetz Mitspracherechte in bestimmten Belangen wie Landwirtschaft, Sozialpolitik, Energie, Forschung oder auch Kapitalverkehr. Besonders die Länder werden durch das Gesetz aufgewertet: Sie sollen ein Vetorecht in den Bereichen erhalten, für die sie laut deutscher Rechtsprechung verantwortlich sind - wie zum Beispiel dem Strafvollzug, den alle 16 Länder eigenständig regeln.

Die beiden anderen Gesetze regeln die Zusammenarbeit im Inneren, nämlich die zwischen Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat - das "Betriebsverhältnis", wie Jurist Müller-Graff es nennt. Die Bundesregierung muss dem Parlament Rechenschaft ablegen und die Meinung von Bundestag und Länderkammer berücksichtigen. Allerdings darf sie sich auch darüber hinwegsetzen, muss das aber begründen.

"16 Zwerge" sind keine Gefahr

"Klug und ausbalanciert" findet Müller-Graff diese Vorhaben. Der Gesetzgeber lasse der Regierung in diesem Dreiecksverhältnis viel Spielraum. Die Gefahr, dass "16 Zwerge" mit ihren vielfältigen und unterschiedlichen Befindlichkeiten zur Bremse in Brüssel werden könnten, wie manch einer befürchtet, sieht der Europarechtler nicht. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass die Länder sehr diszipliniert agierten - im Gegensatz zum Beispiel zu den Bundesministerien. Die Abstimmung zwischen den verschiedenen Ressorts innerhalb der Bundesregierung mache wegen der unterschiedlichen Parteizugehörigkeit in der Regel größere Schwierigkeiten, als die zwischen den verschiedenen Bundesländern, sagt Müller-Graff.

Das Gesetzesbündel könne sogar dafür sorgen, dass die Identifikation der Bürger mit der immer noch sehr fernen EU wachse. Denn durch den stärkeren Einfluss von Bundestag und Bundesrat müssten populistische Abgrenzungsversuche à la "Wir haben ja nichts gewusst..." nach unpopulären Entscheidungen in Brüssel künftig fehlschlagen, sagt Müller-Graff.

CSU und SPD streiten noch

Die geplanten Begleitgesetze zum Vertrag von Lissabon könnten die EU deshalb sogar voranbringen, so zumindest die Einschätzung Müller-Graffs. Noch allerdings ist das Vorhaben nicht in trockenen Tüchern, trotz der Einigung zwischen Union und SPD und der zugesicherten Zustimmung von FDP und Grünen. Widerstand kommt - wie so oft - aus der CSU.

Peter Gauweiler

Der CSU-Politiker Peter Gauweiler hatte vor dem Verfassungsgericht geklagt - bei den Christsozialen ist die Skepsis gegenüber dem EU-Reformvertrag weiterhin groß.

Dazu gehört der aus ihren Reihen stammende Peter Gauweiler. Er ist zugleich einer der Hauptinitiatoren der Klage, die zum Karlsruher Urteil führte. Nach dem Richterspruch im Juni legten die Christsozialen einen Forderungskatalog mit 14 Punkten für die Unterzeichnung des Lissabon-Vertrages vor. Der wird nun nicht erfüllt. Um aber dennoch ihr Gesicht zu wahren (wir stecken ja im Wahlkampf), beharrt die CSU nun auf einem Tauschhandel. Der lautet: Zustimmung zum Gesetzpaket gegen Entschließungsantrag des Bundestages.

Entschließung wäre rechtlich unverbindlich

In ihm wollen die Bayern zwei ihrer Forderungen festgehalten haben: Erstens soll der nächste Bundestag das Recht auf eine eigene Kompetenzkontrollklage erwägen. Zweitens soll der Lissabon-Vertrag nur in der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts gelten. Nach längerem Streit hat sich die CDU nun auf diese Forderungen ihrer Schwesterpartei eingelassen. Die SPD aber lehnt die Forderung weiter kategorisch ab.

Rein juristisch betrachtet aber könnten die Sozialdemokraten durchaus zustimmen, ohne sich damit zu verpflichten. Eine Entschließung ist kein Gesetz: Sie hat keine rechtliche Verbindlichkeit.