Insekten vor einer Lampe bei Nacht

Energieplan für Städte Die Schattenseiten des Lichts

Stand: 11.09.2022 08:23 Uhr

In vielen Städten gingen in den vergangenen Wochen die Lichter aus - Deutschland muss Energie sparen. Umweltschützer erkennen in der Krise auch eine Chance für Nachhaltigkeit und Artenschutz.

Wer derzeit nach Mainz fährt, kommt zwar nicht im Reich der Finsternis an, aber auch die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt ist deutlich dunkler als sonst. Die Theodor-Heuss-Brücke ist nicht mehr erleuchtet - ebenso das Kurfürstliche Schloss oder das Kaisertor. Nur wenige historische Wahrzeichen der Stadt wie der Dom werden in der Nacht noch angestrahlt.

Seit dem 9. August gilt für Mainz ein Energieplan, wonach 15 Prozent Gas eingespart werden sollen. Beleuchtung, die der Verkehrssicherheit dient, ist dagegen nicht ausgeschaltet. 

"Weniger Helligkeit in der Nacht hat weitreichende Folgen für die Tierwelt. Sehr viele Arten leiden unter einer zunehmenden Lichtverschmutzung. Es ist einfach zu hell", sagt Rainer Michalski. Er arbeitet für den Naturschutzbund (NABU) Rheinhessen. "Der Energiesparplan ist eine Chance, das ökologische Gleichgewicht in der Nacht wieder etwas besser ins Lot zu bekommen."  

"Eine Hauptursache des Artensterbens"

Tiere hätten sich über viele Millionen Jahre nur an Mond und Sternen orientiert, so Michalski. Seit gut einhundert Jahren werde die Nacht durch die Industrialisierung und die Technik aber immer heller. Das habe weitreichende Folgen für die Tierwelt. "Viele Insekten fliegen Lichtquellen an und kommen aus diesem hellen Kegel nicht mehr heraus. Sie sind regelrecht gefangen und verenden dann dort", erklärt Michalski.

Dabei seien gerade Insekten regelrechte "Dienstleister für die Natur" und damit sehr wichtig für die Pflanzen- und Tierwelt - als Nahrung oder beim Bestäuben von Blüten. "Lichtverschmutzung ist wahrscheinlich eine Hauptursache des Artensterbens."  

Kann aber das teilweise Abschalten von Licht in der Stadt wirklich einen Effekt auf die Tierwelt im Allgemeinen haben? "Auf jeden Fall", sagt Michalski. "Insekten werden auch von Lichtquellen aus großer Distanz angezogen. Das gilt etwa für verschiedene Nachtfalter, aber auch Zugvögel sind beispielsweise betroffen. Sie orientieren sich dann an erleuchteten Hochhäusern, fliegen dagegen, stürzen ab und sterben."  

Das Problem immer hellerer Städte habe in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, so Michalski. Der Grund sei die energiearme LED-Lampe. "Der Verbrauch ist sehr gering. Daher wurden mehr Lampen mit LED verwendet, was die Lichtmenge deutlich gesteigert hat. Immer mehr wird angestrahlt und ausgeleuchtet", klagt der NABU-Experte. 

Studie: Auch Deutschland immer heller

"Europa ist jahrzehntelang immer heller geworden", bestätigt Christopher Kyba. Er forscht am deutschen Geoforschungszentrum Potsdam und an der Bochumer Ruhr-Universität rund um das Thema Licht. "Seit dem zweiten Weltkrieg hat es bis auf wenige Ausnahmen bis 2017 einen konstanten Zuwachs der Lichtmenge in der Nacht gegeben." Das belegt eine internationale Studie unter der Leitung Kybas.

Er und sein Team hatten dabei die Jahre 2012 bis 2017 genau untersucht. Sowohl die Intensität der künstlichen Aufhellung als auch die Ausdehnung der beleuchteten Fläche haben danach weltweit um rund zwei Prozent pro Jahr zugenommen. Das gelte in der Tendenz auch für Deutschland, so Kyba. In einigen Bundesländern sei es sogar um drei bis vier Prozent pro Jahr heller geworden - vor allem in Bayern und Baden-Württemberg.  

Die Zunahme der nächtlichen Beleuchtung in weiten Teilen Deutschlands erklärt auch Christopher Kyba vor allem mit der LED-Lampe. "Die langfristige Entwicklung ging über die Kerze, dann die Gaslaterne, Glühbirne und jetzt das LED. Licht wurde immer effizienter, immer heller und immer günstiger."

"Muss dann noch das Werbebanner leuchten?"

Jetzt aber fingen immer mehr Menschen an, immer mehr Licht in der Nacht zu hinterfragen. "In deutschen Städten ist ab 23 Uhr nichts mehr los. Muss dann noch das Werbebanner leuchten?  Zudem sollten Restaurants oder Tankstellen nur noch erleuchtet sein, wenn sie noch geöffnet haben", so Kyba. Im internationalen Vergleich stehe Deutschland aber relativ gut da. Spanien etwa sei deutlich heller als die Bundesrepublik. Auch in den USA gebe es viel mehr künstliche Helligkeit in der Nacht. Dennoch gebe es auch hierzulande noch viel Einsparpotential.   

Deshalb hat der Forscher mit seinem Team eine App namens Nachtlicht-Bühne entwickelt, mit der Freiwillige die Lichtquellen in ihrer Umgebung erfassen. Die Daten wertet Kyba für seine Forschung aus. "Wir wissen zwar mittels Satellitenbilder, wo es besonders hell ist. Aber wir wissen nicht, was das für Lichtquellen sind. Die Informationen aus der App können uns bei der Lichtverschmutzung weiterhelfen."    

Erste Nachtschutzbeauftragte Deutschlands

In Fulda und in der Rhön ist Sabine Frank am frühen Abend unterwegs. Sie ist seit 2014 Nachtschutzbeauftragte des Landkreises und damit die erste und bislang auch einzige bundesweit. Sie trifft sich mit Freiwilligen aus Fulda und will Lichtquellen in Fulda mittels der App des Geoforschungszentrums erfassen. "Alles leuchtet inzwischen. Früher war es nur die Straßenbeleuchtung. Jetzt geht es immer ins Private:  Vom Klingelschild über den Schuh bis zum Garten. Das ist eine Entfremdung von natürlichen Gegebenheiten der Umwelt."  

Sabine Frank berät Bürger, Betriebe und Gemeinden, wie Lichtverschmutzung vermieden werden kann. Inzwischen häufen sich auch die bundesweiten Anfragen bei ihr. Demnächst hat sie einen Termin beim Deutschen Fußball-Bund. Es gehe um Flutlicht, erzählt sie. "Als ich vor acht Jahren anfing, dachten viele zunächst, es ginge um Luftverschmutzung. Heute kennen fast alle das Thema."

Aus ihrer Sicht hat sich inzwischen auch gesetzlich einiges getan.  Das neue Bundesnaturschutzgesetz nennt erstmals den Begriff "Lichtverschmutzung" und sieht einen Zusammenhang mit dem Rückgang der Artenvielfalt. Auch Landesnaturschutzgesetze wurden entsprechend geändert - in Bayern und Baden-Württemberg.  

Einfache Maßnahmen gegen Lichtverschmutzung

In Mainz hat auch Rainer Michalski gemerkt, dass das Thema inzwischen in einer breiten Öffentlichkeit angekommen ist - spätestens mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine und der Notwendigkeit, Energie zu sparen.

Der NABU-Experte hat einen einfachen Tipp gegen Lichtverschmutzung und für mehr Tierschutz: "Eine naturfreundliche Beleuchtung ist nötig. Künstliches Licht in der Nacht sollte einen geringen Blauanteil haben. Genau das lockt viele Insekten an. Besser sind warmweiße Lampen. Entscheidend ist aber die Frage, wo brauchen wir Licht wirklich und wo nicht?" 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. August 2022 um 13:45 Uhr.