
Geschichte des KZ Stutthof "Die Kinder gingen zuerst in die Öfen"
Von Kriegsbeginn bis zur Befreiung durch die Rote Armee starben im Konzentrationslager Stutthof Zehntausende Menschen. Die, die es überlebt haben, berichten von grausamen Taten.
Stutthof war unter den in den besetzten Gebieten errichteten Konzentrations- und Vernichtungslagern am längsten in Betrieb. Es wurde erst am 9. Mai 1945, dem Tag des Kriegsendes, von Truppen der Roten Armee befreit. Und es wurde praktisch mit Kriegsbeginn eröffnet, am 2. September 1939, einen Tag nach Beginn des deutschen Überfalls auf Polen.
"Wir wurden zu einem Platz getrieben, wo mehrere Zelte standen. Dort wurden wir 'begrüßt': Zu Boden fallen, aufstehen, Kniebeugen - wer nicht folgen konnte, wurde verprügelt", erinnert sich Antoni Beling, ein Eisenbahner aus Danzig, im polnischen Radio.
Menschen lebten in Zelten zusammengepfercht
Schon vor Kriegsbeginn hatten die Nationalsozialisten Listen erstellt, welche Polen als erste zu verhaften seien. Menschen aus Danzig und der Region waren dann auch die ersten Häftlinge von Stutthof. "Unter uns gab es auch Alte, auch sie mussten beim Exerzieren mitmachen. Sie wurden richtig gequält, aber Prügel bekamen wir alle", erzählt Beling.
Nach einigen Stunden seien ihnen Plätze in kleinen Zelten der Hitlerjugend zugewiesen worden. "Dort wurden wir zu 18, 20 Mann eingepfercht." Rückblickend sollten sich diese Gängelungen als Vorspiel für viel größere Grausamkeiten erweisen.

Heute befindet sich auf dem Gelände eine staatliche polnische Gedenkstätte.
Nur die Hälfte der Häftlinge überlebte
Die genaue Zahl der Toten lässt sich nicht mehr ermitteln, aber es gilt als gesichert, dass mehr als jeder zweite Stutthof-Häftling das Lager nicht überlebte. Rund 120.000 Menschen saßen dort im Laufe der Zeit ein.
Stutthof wurde 1944 Teil der sogenannten Endlösung, der systematischen Vernichtung der europäischen Juden mit Millionen Toten in Treblinka, Auschwitz und anderswo. Vergasungen fanden hier aber nur vorübergehend statt. In Stutthof wurden die Menschen exekutiert, starben an Krankheiten oder brachen schlicht an Überarbeitung in SS-eigenen Betrieben oder als Zwangsarbeiter bei anderen Firmen tot zusammen.
Überlebende schildern grausame Taten
Petronela Brywczynska erlebte die Befreiung des Lagers als Neunjährige. "Die Angst um das Überleben war unser täglicher Begleiter. Jedes Treffen mit dem SS-Mann weckte Furcht, das Herz blieb stehen", erzählt sie. Es habe schrecklicher Hunger geherrscht, die Menschen seien massenhaft daran gestorben - oder an Typhus.
Die Öfen schafften es nicht, die toten Körper zu verbrennen. Jeden Tag sammelte man vor den Baracken Leichen ein. Die Deutschen mussten die Menschen nicht mehr vergasen. Es gab genug Tote zum Verbrennen.
"Die Kinder gingen zuerst in die Öfen"
Die Deutschen hätten beschlossen, die Leichen auf einem Haufen zu verbrennen, erinnert sich Brywczynska. "Es war Mai und schon warm. Man sah Schwaden aufsteigenden Rauchs und spürte den Geruch brennender Körper."
Brywczynska war sechs Wochen im KZ Stutthof. "Wäre es später befreit worden, ich hätte es nicht geschafft. Die Kinder gingen zuerst in die Öfen."
Gedenkfeier wegen Corona virtuell
Brywczynska berichtet virtuell von ihren Erfahrungen am 9. Mai - denn die Gedenkfeier der Lagerbefreiung fand wegen der Corona-Pandemie weitgehend nur im Internet statt.
Vielleicht war diese Veranstaltung eine Blaupause für das, was kommt: Wenn nämlich an die Schrecken der Nazi-Zeit erinnert werden muss, ohne dass die letzten Zeitzeugen noch leibhaftig zu uns sprechen können.