Hintergrund Kinderarmut in Deutschland

Stand: 16.06.2008 17:51 Uhr

Was bedeutet Kinderarmut in Deutschland? Welche Folgen hat sie? Wann ist ein Kind überhaupt arm? Wie groß ist das Problem, geht es zurück oder nimmt es zu? Und wer ist besonders gefährdet? Sind Kinder ein Armutsrisiko? Fragen und Antworten zum Thema.

Was bedeutet Kinderarmut in Deutschland? Wann ist ein Kind überhaupt arm? Wie groß ist das Problem, geht es zurück oder nimmt es zu? Und wer ist besonders gefährdet? Fragen und Antworten zum Thema.

Wie viele Kinder in Deutschland sind arm?

Dazu gibt es unterschiedliche Zahlen – was unter anderem daran liegt, dass es unterschiedliche Definitionen von Armut gibt. Sie beziehen sich nicht auf das einer Person oder Familie zur Verfügung stehende Geld, sondern auch auf andere Dimensionen wie Bildungschancen, Gesundheitsversorgung oder die Möglichkeit, am kulturellen Leben teilzunehmen. Außerdem wird in Statistiken und Presseberichten teilweise zwischen armen, armutsgefährdeten oder von Sozialleistungen abhängigen Kindern unterschieden, manchmal aber auch nicht.

Die materielle Situation wird in der Regel durch die Armutsrisikoquote beschrieben. Sie gibt, vereinfacht gesagt, den Anteil der Menschen an, die pro Kopf weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommen der Bevölkerung zur Verfügung haben: Derzeit sind dies 870 Euro netto (manche Forscher setzen den Grenzwert auch bei 50 Prozent).

An der 60-Prozent-Grenze orientiert sich auch eine Studie, die das Bundesfamilienministerium herausgegeben hat. Laut dem "Dossier Kinderarmut" genannten Bericht sind 2,4 Millionen Kinder, also jedes sechste Kind, armutsgefährdet. Diese Zahl nennt auch UNICEF in seinem "Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland“ (2007). Nach Berechnung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes lebten 2007 mehr als 1,7 Millionen Kinder auf dem Niveau der Sozialhilfe. Weitere 200.000 Kinder hätten theoretisch Anspruch auf Hartz IV, nehmen aber keine Leistungen in Anspruch. Rund sechs Millionen Kinder lebten 2007 nach Schätzungen des Kinderhilfswerkes in Haushalten mit einem Jahreseinkommen von bis zu 15.300 Euro. Die Wohltätigkeitsorganisation "Die Tafel" gibt an, dass unter 800.000 Bedürftigen, die von ihr 2007 regelmäßig kostenlos Essen und Lebensmitteltüten erhielten, ein Viertel Kinder waren.

Steigt die Kinderarmut?

Ja - das ist der überwiegende Tenor der Studien zum Thema.  "Das Armutsrisiko (60-Prozent-Schwelle) von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist seit Ende der 1990er Jahre der Tendenz nach angestiegen und lag im Jahr 2006 um 4,6 Prozentpunkte über dem Niveau von 1996", heißt es im "Dossier Kinderarmut" des Bundesministeriums für Familie. Das Kinderhilfswerk gibt an, dass sich seit Einführung von Hartz IV Anfang 2005 bis 2007 die Zahl der Kinder, die von Sozialhilfe leben, auf gut 2,5 Millionen verdoppelt habe - mit weiter steigender Tendenz.

Sind Kinder ein Armutsrisiko?

Obwohl es für Eltern Leistungen vom Staat gibt: Kinder kosten Geld. "Kinder brauchen jedes Jahr eine neue Jacke und Schreibmaterial für die Schule" erinnerte etwa der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, im Interview mit tagesschau.de. Alleinerziehende und Familien mit mehr Kindern sind durch geringeres Einkommen und höhere Ausgaben deshalb stärker von Armut gefährdet als der Rest der Bevölkerung. Wer sich um Kinder kümmern muss, kann bei der Arbeitssuche weniger flexibel sein als Kinderlose und ist deshalb häufig benachteiligt. Auch wer jung Kinder bekommt, verdient meist weniger als ältere Eltern.

Welche Folgen hat Kinderarmut?

Kinder aus armen oder armutsgefährdeten Familien leiden häufiger als ihre Altersgenossen auch unteren anderen Problemen: Wissenschaftler und Sozialverbände beobachten, dass sie häufig schlecht und ungesund ernährt sind. "Chronische Krankheiten, Übergewicht und Verhaltensauffälligkeiten haben bei benachteiligten Kindern stark zugenommen“, schreibt UNICEF. Wenn arme Kinder nicht an Klassenfahrten teilnehmen können, kein Taschengeld bekommen und nur gebrauchte Kleidung bekommen, fühlen sie sich sozial ausgegrenzt. 

"Teilweise tragen die Kinder kaputte Schuhe, schlechte Kleidung oder Kleidung, die nicht den Wetterverhältnissen angemessen ist", sagt die Berliner Sozialarbeiterin Mirjam Müller. "Die größte Armut" sei aber die emotionale: "Viele Kinder fühlen sich alleine gelassen und haben keine Bezugsperson." Studien zeigen außerdem, dass Kinder aus ärmeren Familien schlechte Bildungschancen haben – und damit geringere Chancen, als Erwachsene selbst der Armut zu entkommen.

Was kann man gegen Kinderarmut tun?

Mehr Kindergeld, Hartz-IV-Sätze für Kinder erhöhen, Sachleistungen statt Steuerfreibeträge, bessere Kinderbetreuung, um die Jobchancen von Eltern zu erhöhen - Vorschläge gibt es viele. Ein Patentrezept hat noch niemand gefunden, geschweige denn durchgesetzt. Die Wissenschaftler des Bundesfamilienministeriums setzen als Leitziele: Die Situation von Kindern in einkommensschwachen Familien muss verbessert werden, das Armutsrisiko für Familien durch Vorbeugung und aktive Förderung reduziert werden.