Flüchtlinge gehen über das Gelände der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZABH) des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt.

Migrationspolitik Kabinett will Bleiberecht anpassen

Stand: 06.07.2022 07:47 Uhr

Menschen ohne Aufenthaltstitel sollen zukünftig leichter die Chance auf ein Bleiberecht erhalten. Das sieht ein Gesetzentwurf des Kabinetts vor. Hilfsorganisationen geht der Entwurf nicht weit genug.

Gut integrierte Ausländer, die in Deutschland lediglich geduldet sind, sollen leichter ein Bleiberecht bekommen können. Das sieht ein Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium vor, der heute vom Kabinett verabschiedet werden soll. Es geht dabei um Menschen, die seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben. Sie sollen für ein Jahr ein "Chancen-Aufenthaltsrecht" bekommen, um die nötigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen.

Die Betroffenen müssen in diesem Zeitraum dem Gesetzentwurf zufolge insbesondere nachweisen, dass sie selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können und dass sie die deutsche Sprache ausreichend beherrschen. Auch Nachweise zur Identität müssen vorgelegt werden. "Straftäter bleiben vom Chancen-Aufenthaltsrecht grundsätzlich ausgeschlossen", heißt es im Gesetzentwurf, der der Nachrichtenagentur AFP vorliegt.

Die neue Regelung könnte mehr als 100.000 Menschen betreffen: Laut dem Entwurf lebten Ende vergangenen Jahres 136.605 Geduldete seit mehr als fünf Jahren in Deutschland. "Diesen Menschen, die über die lange Aufenthaltszeit ihr Lebensumfeld in Deutschland gefunden haben, soll eine aufenthaltsrechtliche Perspektive eröffnet und eine Chance eingeräumt werden, die notwendigen Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt zu erlangen", heißt es in dem Entwurf.

Familiennachzug für Fachkräfte soll einfacher werden

Weitere Regelungen des Gesetzentwurfs beziehen sich auf die Fachkräftezuwanderung. Bestimmte befristete Regelungen in diesem Bereich sollen künftig unbegrenzt gelten. Der Familiennachzug von Fachkräften aus Drittstaaten - das sind alle Länder außer den Staaten der EU, des Europäischen Wirtschaftsraums und der Schweiz - soll zudem erleichtert werden.

Ein weiterer Passus des Entwurfs sieht einen vereinfachten Zugang für Asylbewerber zu Integrations- und Berufssprachkursen vor. Flüchtlingen mit abgeschlossener ärztlicher Ausbildung, deren Berufsqualifikation in Deutschland noch nicht anerkannt ist, soll es erleichtert werden, andere Schutzsuchende etwa in Asylbewerberheimen medizinisch zu betreuen.

Ein weiterer Teil des Gesetzentwurfs befasst sich mit der Abschiebung. "Die vorgeschlagenen Änderungen sehen im Hinblick auf die konsequente Beendigung des rechtmäßigen Aufenthalts von Straftätern und Gefährdern eine Effektivierung der Regelung über deren Ausweisung vor", heißt es in dem Papier. "Zur besseren Durchsetzung bestehender Ausreisepflichten sind praktikablere Regelungen zur Abschiebungshaft von Straftätern vorgesehen."

Hilfsorganisationen geht Entwurf nicht weit genug

Mehrere Hilfsorganisationen kritisierten das geplante Gesetz als unzureichend. Der Gesetzentwurf greife nur einen kleinen Teil der im Koalitionsvertrag angekündigten Verbesserungen auf, kritisierten zwölf Organisationen vorab. "Das Ziel ist gut und richtig: Menschen eine Chance zu geben, die bislang keinen sicheren Status haben", sagte "terre des hommes"-Vorstand Joshua Hofert. "Der von der Ampel-Regierung angekündigte Paradigmenwechsel in der Flucht- und Migrationspolitik ist noch nicht in Sicht."

Die Regelungen müssten so gestaltet sein, dass nicht von vornherein ganze Personengruppen herausfallen, darunter viele Minderjährige. Hofert forderte großzügige Bleiberechtsregelungen: "Die Praxis der langjährigen Duldungen und unsicheren Aufenthalte muss ein Ende haben." Auch beinhalte der Entwurf nicht die im Koalitionsvertrag angekündigten Regelungen zum Familien- und Geschwisternachzug.

Die Hilfsorganisationen kritisierten ebenso, dass Arbeits- und Ausbildungsverbote für geflüchtete Menschen dem Entwurf zufolge nicht abgeschafft werden sollen. Die Kinderhilfsorganisation "terre des hommes", der Flüchtlingsrat Berlin, Pro Asyl und weitere neun Organisationen kündigten für den Vormittag eine Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt an, wo das Bundeskabinett den Gesetzentwurf beschließen will.

Julia Meier, ARD-Berlin, 06.07.2022 07:15 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete rbb24 am 06. Juli 2022 um 09:32 Uhr.