Nancy Faeser | dpa

Faeser zu Integrationsproblemen "Klar die Grenzen aufzeigen"

Stand: 04.01.2023 21:15 Uhr

Mit Blick auf Silvester hat Innenministerin Faeser von "einem großen Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund" gesprochen. Sie betonte aber, dass gerade auch Menschen mit Migrationsgeschichte unter den Folgen der Gewalt litten.

Nach den Angriffen auf Rettungskräfte und Polizisten in der Silvesternacht hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine entschiedene Bestrafung der Täter gefordert und mit Blick auf die Integration Probleme eingeräumt: "Wir haben in deutschen Großstädten ein großes Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund, die unseren Staat verachten, Gewalttaten begehen und mit Bildungs- und Integrationsprogrammen kaum erreicht werden."

Die SPD-Politikerin mahnte im Interview mit der Funke-Mediengruppe ein hartes Vorgehen des Rechtsstaats an. "Wir müssen gewaltbereiten Integrationsverweigerern in unseren Städten klar die Grenzen aufzeigen: mit harter Hand und klarer Sprache - aber ohne rassistische Ressentiments zu schüren."  Die Polizei müsse "sehr konsequent in Brennpunkte hineingehen", so Faeser weiter. "Junge Gewalttäter müssen schnelle und deutliche strafrechtliche Konsequenzen spüren."

Bilanz zur Silvesternacht angekündigt

Faesers Ministerium kündigte zudem eine detaillierte Bilanz zu den Vorgängen der Silvesternacht und zur Nationalität der Tatverdächtigen an. Ein Sprecher sagte, dass derzeit "Zahlen und Erkenntnisse" aus den Bundesländern zusammengetragen würden, um einen bundesweiten Überblick über die Geschehnisse zu bekommen. Er gehe davon aus, dass dies "innerhalb der nächsten Tage" möglich sei. Das Lagebild soll Informationen zu Taten und Tatorten enthalten und "natürlich auch eine Differenzierung nach dem Hintergrund und den Nationalitäten der Tatverdächtigen" vornehmen.

Faeser verwies darauf, dass gerade auch Menschen mit Migrationsgeschichte unter den Folgen der Gewaltbereitschaft zu leiden hätten. Der Staat dürfe es nicht zulassen, dass junge Gewalttäter ihre Viertel terrorisieren. "Unter ihnen leidet die ganze Nachbarschaft, darunter insbesondere viele Menschen mit Migrationsgeschichte - auch unter ihnen gibt es null Verständnis für Gewalt und Randale", sagte die Ministerin. "Wir haben die Pflicht, sie zu schützen."

"Angriff auf den Rechtsstaat"

Der Vizesprecher der Bundesregierung, Wolfgang Büchner, warnte davor, die Debatte um die Geschehnisse zu sehr auf das Thema Migration zu verengen. "Der Kern der Debatte, um die es bei diesem Geschehen in der Silvesternacht geht, ist ja nicht der sogenannte Migrationshintergrund oder die Förderung nach Böllerverboten", sagte Büchner. "Worum es da geht, ist viel wesentlicher: Es geht um einen Angriff auf den Rechtsstaat."

Büchner fügte hinzu: "Was das Thema Migrationshintergrund angeht: Es ist bei solchen Situationen immer richtig, genau hinzuschauen." Deshalb sei es gut, dass nun ein "ganz präzises Lagebild" erstellt werde.

Nach Auffassung der Antirassismus-Beauftragten der Bundesregierung sollte der Fokus auf junge Männer als Täter gerichtet werden, statt die Silvester-Angriffe zum Anlass für eine Integrationsdebatte zu nehmen. "Was wir brauchen, ist eine ehrliche Debatte über Jugendgewalt", sagte Reem Alabali-Radovan. Schließlich gehe es "hauptsächlich um junge Männer, die in einer Gruppe Gewalt als Erlebnis empfinden".

Gipfel zu Jugendgewalt angekündigt

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hatte zuvor einen Gipfel gegen Jugendgewalt angekündigt. Wann das Treffen stattfinden und wer daran teilnehmen soll, ist noch nicht bekannt. Im Interview mit tagesschau24 sagte Giffey, es gebe bestimmte Stadtgebiete, in denen es zu Vorfällen gekommen sei. Nun müsse man etwa gemeinsam mit Sozialarbeitern oder Präventionsbeauftragten vor Ort beraten, die die Jugendlichen und deren Umfeld kennen.

Zum Thema Integration betonte Giffey die Bedeutung des sozialen Umfelds. "Wir haben hier Menschen, die in sozialen Problemlagen leben." Fast alle seien "Berliner Kinder", die hier geboren und aufgewachsen seien, betonte sie. "Wir reden ja nicht über die Einwanderungsmarke, sondern über das, was in den sozialen Brennpunkten schief gelaufen ist." Sie forderte eine Stärkung der Jugendlichen in entsprechenden Vierteln der Stadt.

Umgang mit Brennpunkten

Auch der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel (SPD), sagte im Interview mit den tagesthemen, man müsse die Frage beantworten, "wie wir künftig mit den sozialen Brennpunkten umgehen". Menschen, die den sozialen Frieden im Quartier stören, müssten auch konsequent bestraft werden, so Hikel weiter. Das Gesetz gebe die Möglichkeit, Täter "fünf Jahre in den Knast zu bringen".

Zur Diskussion über die Herkunft der Täter sagt der Bezirksbürgermeister, man müsse hier transparent sein. Es seien oft "Menschen mit Migrationsgeschichte". Aber es führe in die Irre, daraus zu schlussfolgern, dass Menschen mit Migrationsgeschichte grundsätzlich ein Problem hätten. Diejenigen, die "die pure Gewalt herausgelassen haben und den sozialen Frieden gestört haben", hätten damit gerade auch ihre Nachbarn gestört. "Betroffen davon sind vor allem Menschen selbst aus der Migrationsgesellschaft", betonte Hikel.

18 Staatsbürgerschaften erfasst

In der Silvesternacht waren Einsatz- und Rettungskräfte in Berlin und anderen Städten massiv angegriffen worden. Zum Teil musste die Polizei ausrücken, um Feuerwehrleute beim Löschen von Bränden gegen Angriffe zu schützen. Allein in Berlin gab es 33 verletzte Einsatzkräfte.

145 Menschen wurden vorläufig festgenommen, jedoch nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen alle wieder entlassen. Der Polizei zufolge wurden 18 Staatsbürgerschaften erfasst. Demnach hatten 45 der Verdächtigen die deutsche Nationalität. Danach folgten 27 mit afghanischem und 21 mit syrischem Pass.

Wie die Polizei inzwischen zudem mitteilte, sind etwa zwei Drittel der Festgenommenen unter 25 Jahre alt, 27 davon seien noch minderjährig. 139 der 145 Verdächtigen seien männlich.

Gewaltforscher warnt vor Vorverurteilung

Der Bielefelder Gewaltforscher Andreas Zick warnte vor einer Vorverurteilung von Menschen mit Migrationshintergrund. "Dass Silvester so gewalthaltig war, reiht sich ein in einen Anstieg an Gewalt in der gesamten Gesellschaft." Es gebe viele Gruppen, die solche Gewaltdynamik erzeugten, so der Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Zudem beleidigten solche Aussagen Millionen von Menschen, die sich als Einwanderer verständen. Schließlich blende eine solche Schuldzuweisung aus, "wie viele Menschen mit Migrationsgeschichte selbst in den Rettungs- und Polizeidienststellen arbeiten und ebenfalls Opfer sind".

Bei Verdächtigen mit Migrationshintergrund müsse nun geklärt werden, inwieweit die Migration einen entscheidenden erklärenden Einfluss auf die Gewalt habe, so Zick. Hinter dem Faktor "Migrationshintergrund" steckten Faktoren, die ergründet werden müssten - wie ein anderes Rechts- und auch Ordnungsverständnis oder Männlichkeitsbilder, die mit weiteren entscheidenden Faktoren wie Gruppendynamiken oder Alkohol erklärend seien.

Mit Blick auf die Ausschreitungen vor allem in Großstädten wie Berlin fügte Zick hinzu: "Selbst wenn junge Männer aus migrantischen Milieus beteiligt sind: Es sind gewaltorientierte Gruppen, die ein Feindbild von Polizei teilen, und viele andere, die die Gelegenheit nutzen oder sich anheizen lassen." Überdies seien die Täter mehrheitlich junge Männer, die "irgendwelchen traditionellen Rollenklischees folgen", von Drogen aufgeputschte Menschen sowie solche, "die Spaß an Gewalt haben und andere darin bestätigen, dass Gewalt Spaß macht".

Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 04. Januar 2023 um 14:00 Uhr.