Interview

Bundeskanzlerin Merkel im Interview "Der Parteitag war zufrieden"

Stand: 02.12.2008 21:23 Uhr

Von ihrem kategorischen Nein zu Steuersenkungen ist die Kanzlerin abgerückt. Doch konkrete Maßnahmen, um die Finanzkrise abzufedern, will Merkel noch nicht nennen. "Das Wichtigste wird sein, Arbeitsplätze zu erhalten", sagte sie dem ARD-Hauptstadtstudio. Merkel beantwortete auch Fragen von tagesschau.de-Usern.

Von ihrem kategorischen Nein zu Steuersenkungen ist die Kanzlerin abgerückt. Doch konkrete Maßnahmen, um die Finanzkrise abzufedern, will Merkel noch nicht nennen. "Das Wichtigste wird sein, Arbeitsplätze zu erhalten", sagte sie dem Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, Ulrich Deppendorf. Merkel beantwortete auch Fragen von tagesschau.de-Usern.

Ulrich Deppendorf: Frau Bundeskanzlerin, einige Fragen, die ich Ihnen heute stellen werde, kommen aus dem Internet, wir haben da eine Aktion gemacht. Dazu kommen wir am Ende des Gesprächs, jetzt aber zunächst mal die Frage: Als was haben Sie gestern hier eigentlich geredet: Parteivorsitzende oder als Bundeskanzlerin?

Angela Merkel: Natürlich als Parteivorsitzende, die natürlich auch ihr Bundeskanzlersein immer mit sich trägt, das ist ja eine Einheit. Aber ich habe etwas für die Partei sehr Programmatisches gesagt, weil ich der tiefen Überzeugung bin, dass die soziale Marktwirtschaft, die uns erfolgreich gemacht hat als CDU, unter den Bedingungen der Globalisierung auch neue Aufgaben bekommen hat, und darüber habe ich gesprochen. Und ich glaube, ein Parteitag ist auch ein solcher Anlass, um der Partei zu sagen, wie wir uns in die Zukunft orientieren.

Deppendorf: Wenn man hier so rumgeschaut hat und auch so das Echo gehört hat: Sie haben den Parteitag mit der Rede nicht begeistert, das hat Friedrich Merz getan mit seiner Ankündigung oder seinem Vorschlag zur Steuersenkung. Hat er das richtige Rezept?

Merkel: Also erstens möchte ich sagen, dass der Parteitag, wie man dann am Wahlergebnis gesehen hat, doch auch zufrieden war. Aber richtig ist: Angriffe auf andere Parteien sind immer besonders beliebt, zum Beispiel auf Parteitagen. Und manches ist dann natürlich, sage ich mal, programmatischer Natur. Das muss aber sein nach meiner festen Überzeugung, ansonsten werden wir die Zukunft nicht gestalten können. Friedrich Merz hat sich in einer Frage geäußert, die natürlich diesen Parteitag auch beschäftigt hat. Einigkeit auch mit Friedrich Merz darüber: Wir brauchen eine große Veränderung des Steuersystems nach der Bundestagswahl. Die Frage ist jetzt: Muss ein erster Schritt schon vorher gegangen werden, ja oder nein, und ich sage: Wir müssen Anfang Januar schauen, was machen wir angesichts der Wirtschaftskrise, welche Maßnahmen sind da die besten, das kann ich heute noch nicht sagen – da lag ein Unterschied, aber ich glaube, dass wir mehr Netto vom Brutto wollen, das ist allgemein klar geworden.

Deppendorf: Sie haben ja gestern gesagt, "wir prüfen alle Optionen". Das haben Sie wiederholt: alle Optionen.

Merkel: Richtig.

Deppendorf: Heißt das, und wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, nicht doch auch, dass Sie doch vielleicht überlegen, Anfang Januar irgendetwas mit Steuern doch zu machen – vielleicht Senkung oder Anhebung des Grundfreibetrages?

Merkel: Also ich sage ja, dass wir uns Anfang Januar treffen und dann auch die Situation analysieren zu können, schauen zu können, was haben wir bis jetzt gemacht. Das werden wir ja sehen, das sind noch vier Wochen und ich erlebe im Augenblick jeden Tag Branchen, die zu uns kommen mit Nachrichten, die uns nicht erfreuen. Ich erlebe jeden Tag wieder Banken, die in einer anderen Situation sind, als sie das vorher waren. Ich kann im Augenblick leider nicht sagen, dass die Tage gleichförmig vergehen und ich finde, wir müssen situationsgerecht antworten und das Wichtigste wird sein, Arbeitsplätze zu erhalten, wichtig wird sein, dafür Sorge zu tragen, dass die Firmen, die investieren können, überhaupt investieren können. Und auf der Basis werden wir uns anschauen, was ist richtig, was ist nicht richtig. Steuern sind ja für viele Menschen eine sehr, sehr wichtige Sache. Ich will aber daran erinnern, dass die meisten Rentner keine Steuern zahlen, dass wir immerhin 40 Prozent auch der Menschen in Deutschland haben, die keine Steuern zahlen und die natürlich in einer Wirtschaftskrise auch in ähnlicher Weise betroffen sein können. Aber ich mache heute keine Angaben zu dem, was wir im Januar bereden werden.

Deppendorf: Sehen Sie nicht die Gefahr, wenn Sie zu lange warten – ich komme nochmal auf das Thema Steuern zurück –, dass Sie dann dem Vorwurf ausgesetzt sind, Sie kommen zu spät und haben dann nur aus wahlkampftaktischen Gründen die Steuersenkungen durchgezogen und die Leute sagen dann, "na das ist auch nicht so besonders vertrauensvoll."

Merkel: Die CDU hat nicht nur Pluspunkte gesammelt im letzten Wahlkampf, als wir gesagt haben, wir werden die Mehrwertsteuer erhöhen. Uns kann man eigentlich nicht sagen, dass wir nicht das vor der Wahl gesagt hätten, was wir gemacht hätten – andere waren da anders, die SPD zum Beispiel. Und insofern habe ich diese Sorge nicht.

Deppendorf: Horst Seehofer war heute nicht hier, er hat aber doch nochmal deutlich gesagt, dass er von den Steuerplänen im Moment nichts hält von Ihrer Partei. Hat er Sie brüskiert? Fühlen Sie sich brüskiert?

Merkel: Nein. Wir haben ja einen ganz großen gemeinsamen Punkt: Dass wir für die Bundestagswahl ein umfassendes Steuerkonzept ausarbeiten wollen und jetzt geht es um die Frage, wann kommt der erste Schritt, aber überhaupt nicht, wir hätten Horst Seehofer sehr sehr gerne hier auf dem Parteitag gehabt, aber es ist auch erkennbar, was er in Bayern zu tun hat und deshalb werden wir wohl zusammenarbeiten. Er hat mir auch sehr warmherzig gratuliert.

Deppendorf: Sie haben – das haben Sie vorhin schon gesagt – ein sehr gutes Wahlergebnis erzielt, das ist ein Erfolg. Aber auch Ihre Stellvertreter sind gut weggekommen, Roland Koch. Heißt das jetzt, dass Sie im Wahlkampf auf etwas mehr gemeinsames, ein gemeinsames Team haben wollen, als es vielleicht bislang der Fall gewesen ist? Das war ja manchmal der Vorwurf gegen Sie.

Merkel: Ja, also ich habe ja gestern sehr deutlich gesagt, dass niemand in solchen Zeiten die Dinge alleine schaffen kann. Ich bin bereit, Führungsaufgaben zu übernehmen, aber ich brauche natürlich Unterstützung dafür, deshalb habe ich mich auch über das sehr ausgeglichene Wahlergebnis der Stellvertreter gefreut, wie auch des gesamten Präsidiums. Die CDU hat hier zum Ausdruck gebracht: Sie möchte, dass wir gemeinsam stark sind.

Deppendorf: Sie haben sich heute, die Partei, zur DDR-Vergangenheit, zu ihrer Vergangenheit in der DDR bekannt. Trotzdem hat man manchmal den Eindruck gehabt, dass Sie diese Debatte etwas nervt. Warum?

Merkel: Nein, ich glaube, dass wir heute das sehr gut auch diskutiert haben und dass es auch richtig war, dass es im Vorfeld darüber Diskussionen gab. Ich glaube nur, dass wir in Ost und West einfach sehr gut uns über das jeweilige Leben informieren sollten und auf dieser Grundlage dann auch miteinander sprechen – aber ich habe das für einen sehr wichtigen Schritt gehalten; wenn wir in dieses Jubiläumsjahr gehen mit zwanzig Jahre Mauerfall und sechzig Jahre Bundesrepublik.

Deppendorf: An das Thema CDU/Linkspartei schließt die erste Frage aus dem Internet an. Ein User – das ist ja was Neues – ein User namens Nadim fragt: In Berlin schimpfen Sie und Ihre Parteifreunde gegen die Zusammenarbeit der SPD mit der Linkspartei in Kommunen und Ländern, Sie blenden aus, dass Sie in vielen ostdeutschen Städten bereits mit der Linkspartei zusammenarbeiten. Wie erklären Sie diese Doppelmoral?

Merkel: Wir sind, wenn es auf lokaler Ebene zu Kooperationen in ganz verschiedenen Formen kommt, darüber nicht glücklich und haben das auch immer wieder gesagt. Eine Volkspartei ist eine große Kraft – unsere Linie ist das nicht und deshalb sagen wir: Auf den Landesebenen, auf der Bundesebene nicht und wenn immer möglich, auch auf der kommunalen Ebene nicht.

Deppendorf: Die zweite Frage dreht sich um den Klimaschutz, sie ist von einer Userin oder einem User namens Claude: Angesichts der konjunkturellen Lage, zweifeln manche an der Umsetzung der Klimaschutzziele. Wäre nicht gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, die Umweltbranche als Wachstumsmotor zu unterstützen?

Merkel: Ja, dem User kann ich nur zustimmen. Das wäre genau und ist genau der richtige Zeitpunkt.

Deppendorf: Wäre das auch der Konjunkturmotor für das Land, fragt er noch.

Merkel: Ja! Es ist ja Teil unseres ersten Maßnahmenpakets, dass wir zum Beispiel Gebäudesanierung machen, um die Energieeffizienz zu verbessern. Wir haben sehr, sehr viele Firmen aus der Umwelttechnologie, die auch Exportmarktführer sind inzwischen. In China sind Windkraftanlagen aus Deutschland zum Beispiel sehr angenommen. Und insofern hat er vollkommen recht: Es wäre ganz falsch, jetzt die Innovation, die wir hier im Klimaschutz auch erzeugen, nicht voranzutreiben.

Deppendorf: Frau Bundeskanzlerin, herzlichen Dank!

Merkel: Bitteschön.