Interview

Interview zum Lindner-Rücktritt "Die Boygroup ist gescheitert"

Stand: 14.12.2011 17:47 Uhr

Abschied eines Hoffnungsträgers: Der überraschende Lindner-Rücktritt stürzt die FDP noch weiter in die Krise. tagesschau.de sprach mit dem Parteienforscher Hans Vorländer über die Hintergründe, die düstere Zukunft der Partei, die noch düsterere Zukunft ihres Chefs Rösler - und über die wachsende Macht der Kanzlerin.

tagesschau.de: Hat Lindners Rücktritt Sie überrascht?

Vorländer: Ja, das bin ich. Er ist lange im Geschäft, mit der Politik groß geworden und hart im Nehmen.

tagesschau.de: War er ein guter Generalsekretär?

Vorländer: Er war zumindest ein für viele vielversprechender Generalsekretär, der vielen Hoffnung gab. Man hat ihm zugetraut, die Partei programmatisch nach vorne zu bringen und irgendwann Parteivorsitzender zu werden. Sein Management des Mitgliederentscheids ist allerdings nicht gut gelaufen: Seine Einlassungen gegenüber Frank Schäffler zeigen nur die hochgradige Nervosität der Parteiführung. Das hat er nicht souverän gemanagt.

Zur Person

Hans Vorländer ist Professor für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Einer seiner Schwerpunkte ist die Parteienforschung. Er beschäftigt sich seit Jahren regelmäßig mit der FDP.

Warum trat Lindner zurück?

tagesschau.de: Reicht das als Grund für den Rücktritt? Oder steckt mehr dahinter?

Vorländer: Ich nehme letzteres an. Die Umfragen werden es aber angesichts von Lindners Kämpfernatur eher nicht sein. Wenn man ganz wild spekulieren wollte, könnte man auch sagen, dass er sich von der Parteispitze distanzieren will, um sich nachher wieder als Chef anzubieten. Aber man könnte ihm dann auch Fahnenflucht in der jetzigen Situation vorhalten.

Nicht auszuschließen ist, dass es in der Parteiführung jüngst Reibungen oder gar ein Zerwürfnis mit Rösler gab. Dabei sind Lindner, Gesundheitsminister Daniel Bahr und Parteichef Philipp Rösler eigentlich befreundet. Und sie wollten für die FDP dasselbe: hin zu anderen Themen wie Bürgerrechten und einem einfühlsameren, umfassenderen Liberalismus. Damit rückten sie deutlich vom damaligen Parteichef Guido Westerwelle und von der Betonung der Steuer- und Finanzpolitik ab. Die Herausforderungen an die Politik waren in den vergangenen Monaten allerdings andere - Stichwort Euro- und Finanzkrise.

tagesschau: Das Trio stand für einen FDP-Neuanfang nach der Ära Westerwelle. Ist der jetzt gescheitert?

Vorländer: Ganz eindeutig. Dieses liberale "Dreamteam", die "Boygroup" ist gescheitert. Zwar waren die Erwartungen auch zu hoch. Aber Rösler hat sich nicht als kraftvoller Parteichef erwiesen, der der FDP neue Perspektiven gibt. Lindner war als Parteimanager beim Mitgliederentscheid nicht sehr überzeugend. Und Bahr bleibt in der Gesundheitspolitik noch einiges schuldig. Der erwartete Blitzstart hat in einem ziemlichen Chaos geendet.

tagesschau.de: Lindner hat gesagt, er wolle nun eine "neue Dynamik" ermöglichen. Was meint er?

Vorländer: Darunter kann ich mir gar nichts vorstellen. Der dynamischste Teil der Parteiführung war nämlich Lindner selbst.

"Rösler steht kurz vor dem K.o."

tagesschau.de: Was bedeutet Lindners Rücktritt für Parteichef Rösler? Die SPD spricht von einem Bauernopfer, das FDP-Urgestein Gerhart Baum fordert seinen Rücktritt...

Vorländer: Rösler hat zwei wirklich schwere Niederlagen kassiert. Er steht kurz von dem K.o. Wenn er das Steuer jetzt nicht herumreißt und sich als die Führungsfigur zeigt, wird er sich nicht lange halten. So wie er in den vergangenen Monaten agiert hat, glaube ich kaum, dass er diese Krise übersteht. Denn die muss er sich auch selbst zurechnen lassen: Er ist der Partei vieles schuldig geblieben.

Und er scheint sich in einem innerparteilichen Machtkampf mit Fraktionschef Brüderle verfangen zu haben: Es ist unsouverän, diesen auf dem Dreikönigstreffen nicht sprechen zu lassen - auch wenn es eigentlich nicht üblich ist. In jedem Fall gilt Brüderle in der Öffentlichkeit und der Partei im Moment als der starke Mann.

tagesschau.de: Auch Rösler ist wegen seines Umgangs mit der Mitgliederbefragung hart kritisiert worden...

Vorländer: Es ist schlechter Stil, während des Prozesses Einfluss nehmen zu wollen. Er kann nicht vor dem Ende erklären, dass der Entscheid am Quorum scheitert. Gerade in einer Partei, die immer rechtsstaatliche Grundsätze hochhält. Insofern hat er sowohl in einer Stil- als auch in einer Grundsatzfrage ein schlechtes Bild abgegeben. Das belegt seine Nervosität. Er hat jede Form von Souveränität verloren.

Die FDP in ihrer bislang größten Krise?

tagesschau.de: Abgesehen von Personalfragen - was bedeutet Lindners Rücktritt für die FDP insgesamt?

Vorländer: Die FDP ist mindestens in einer der größten Krisen ihrer Existenz.  Angesichts der schlechten Umfrageergebnisse und der Aussichtslosigkeit könnte es sogar die größte sein.

tagesschau.de: Hat sie bei der Bundestagswahl 2013 eine Chance?

Vorländer: Niemand weiß, wie sich die FDP innerparteilich wieder festigt und aufstellt. Es ist auch nicht abzusehen, welche Themen kommen. Auch Parteien, die lange abgeschrieben wurden, kommen in bestimmten Situationen wieder hoch. Beispielsweise als Mehrheitsbeschafferin in Lagerwahlkämpfen. Insofern darf man keine Partei vorschnell abschreiben. Gerade bei der FDP war das ja schon oft so - und immer galt am Ende: Totgesagte leben länger.

tagesschau.de: Und wie wirkt sich der Rücktritt auf Schwarz-Gelb aus?

Vorländer: Die Handlungsfähigkeit ist sehr gefährdet. Andererseits gilt aber auch, dass die FDP – solange sie in der Koalition bleibt – der Führung Angela Merkels völlig ausgeliefert ist. Deren Position wird immer stärker – wie auch schon in den vergangenen Monaten. Und die FDP ist für die Handlungsfähigkeit der Regierung momentan nicht entscheidend.

Das Interview führte Fabian Grabowsky, tagesschau.de