Interview

Neue Internet-Interessensvertretung gegründet Eine Lobby für digitale Bürgerrechte

Stand: 13.04.2011 18:02 Uhr

Sie wird als das "neue Greenpeace des Internets" gehandelt - und das obwohl sie erst heute online ging. Die "Digitale Gesellschaft" will künftig netzpolitische Themen massenkompatibel machen und gegenüber der Politik vertreten. Wie genau, sagt Mitbegründer Markus Beckedahl im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Warum brauchen wir die "Digitale Gesellschaft"?

Markus Beckedahl: Aus zwei Gründen. Bisher schlossen viele Internetkampagnen für digitale Bürgerrechte eine ganze Reihe von Menschen aus. Es waren Kampagnen von Spezialisten für Spezialisten. Das soll sich nun ändern. Die "Digitale Gesellschaft" will auch die Elterngeneration und die nicht internetaffinen Kreise ansprechen - indem beispielsweise auch komplexe Themen, wie etwa die Diskussion um die Netzneutralität, anschaulicher dargestellt und kommuniziert werden.

Außerdem wollen wir eine effektivere Interessenvertretung der Internetnutzer gegenüber Politik und Wirtschaft organisieren.

tagesschau.de: Aber an Interessensvertretungen mangelt es doch eigentlich nicht im Netz. Zersplittert eine zusätzliche Organisation die Internet-Community nicht noch weiter?

Beckedahl: Das glauben wir nicht. Wir sind ja auch nicht neu. Wir bauen auf sieben Jahren Erfahrungen mit "netzpolitik.org" auf - und da haben sich natürlich auch Schwachstellen in der täglichen Arbeit gezeigt.

Zur Person

Markus Beckedahl, geboren 1976, arbeitet als Unternehmer, Blogger und Aktivist für digitale Freiheiten in Berlin. Er gilt als einer der deutschen Pioniere der politischen Internet-Kommunikation. Beckedahls 2002 gegründeter Blog netzpolitik.org ist der meistverlinkte Blog in Deutschland. Er erhielt in den vergangenen Jahren mehrere Auszeichnungen.

tagesschau.de: Was für Schwachstellen? 

Beckedahl: Wir bekommen beispielsweise tägliche neue Einladungen von Politikern, Fraktionen, Ministerien, die mit uns über Internet und Netzpolitik reden wollen. Schon aus Ressourcen-Mangel konnten wir diese Angebote gar nicht annehmen. Das ist deshalb besonders ärgerlich, weil auf eben diesen Veranstaltungen natürlich ein Haufen von Wirtschafts-Lobbyisten sitzt, die dann ihre Vorstellungen der Politik unwidersprochen vortragen können. Das wollen wir jetzt ändern.

"Ziehen uns nicht in dunkle Nebenzimmer zurück"

tagesschau.de: Die "Digitale Gesellschaft" also eine Lobby-Vertretung wie jeder andere? 

Beckedahl: Natürlich sind wir auch eine Interessensvertretung - aber wir wollen uns jetzt nicht in dunkle Nebenzimmer zurückziehen und der Politik unsere Ziele einflüstern. Wir wollen ein Angebot machen und orientieren uns dabei an der Umweltbewegung, die vor 30, 40 Jahren eine Vielzahl an unterschiedlichen Organisationsformen ausprobiert hat. Daraus sind mittlerweile große Organisationen wie der WWF oder Greenpeace entstanden, die sich jetzt effektiv für Umweltschutz engagieren. Ich glaube, das brauchen wir auch im Internet.

tagesschau.de: Also erhebt die "Digitale Gesellschaft" keinen Alleinvertretungs-Anspruch?

Beckedahl: Natürlich nicht. Es geht darum, im Internet verschiedene Angebote zu schaffen, um effektiver für Bürgerrechte im digitalen Zeitalter werben zu können. Aber auch darum, gegenüber der Politik diese Bürgerrechte einzufordern - denn die baut unsere Grundrechte ja immer weiter ab.  

"Digitale Gesellschaft" Info-Box

Der Verein mit dem Namen "Digitale Gesellschaft" versteht sich selbst als "kampagnenorientierte, netzpolitische Organisation". Offizielle gestartet ist die neue Initiative am 13. April 2011 im Rahmen der Blogger- und Internetkonferenz "re:publica" in Berlin. Die Initiative zur "Digitalen Gesellschaft" ging von etwa 20 Personen aus dem Umfeld des Blogs "netzpolitik.org" aus.

Nicht alle dürfen mitmachen - vorerst

tagesschau.de: Kann jeder Teil der "Digitalen Gesellschaft" werden?

Beckedahl: Nein. Wir wollen erst mal klein anfangen, um die Strukturen zu schaffen, die dafür notwendig sind, später einmal ganz viele Menschen mitmachen zu lassen. 

tagesschau.de: Aber steht das nicht im Widerspruch zur Struktur des Netzes und der Art und Weise wie sich Bürgerprotest bisher online organisiert hat?

Beckedahl: Auch das zeigen unsere Erfahrungen mit offenen Netzwerken in den letzten Jahren. Am Anfang wollen ganz viele mitmachen, aber im Laufe der Zeit werden die unterschiedlichen Vorstellungen der einzelnen immer deutlicher. Man streitet sich und irgendwann geht gar nichts mehr. Dann hat niemand was davon. Außerdem hindern wir ja niemanden daran andere Organisationsformen auszuprobieren. Wir versuchen es jetzt eben mal auf diesem Weg - denn wir wollen kurz- und mittelfristig Ergebnisse erzielen. Ohne groß darüber zu diskutieren, was man machen müsste.

"Netzneutralität ist das wichtigste Thema"

tagesschau.de: Welche Themen wollen Sie als erstes angehen?

Beckedahl: Das wichtigste Thema zurzeit ist sicherlich die Wahrung der Netzneutralität. Wir wollen auch künftig von einem offenen Netz profitieren, ohne jede Einschränkung. Daneben gibt es aber natürlich eine Vielzahl von anderen Themen. Etwa die Debatte um das Urheberrecht, die Vorratsdatenspeicherung oder die Forderung nach einer maschinenlesbaren Regierung durch OpenData, in der alle öffentlichen Daten und Verträge publik gemacht werden. Außerdem fordern wir, ein Prozent der Rundfunkgebühren in eine Internet-Stiftung zu stecken, um damit partizipative Medien zu fördern.

tagesschau.de: Wie finanziert sich die "Digitale Gesellschaft"?

Beckedahl: Wir sind natürlich auf Spendengelder angewiesen und entwickeln deshalb zurzeit neue Fundraising-Strategien. Hoffentlich kommt einiges zusammen.

Das Interview führte Niels Nagel, tagesschau.de