Interview

Interview zur katholischen Kirche nach dem Papst-Rücktritt "Der nächste Papst muss besser kommunizieren"

Stand: 12.02.2013 14:36 Uhr

Das Pontifikat Benedikts XVI. hatte viele Schwächen. Der Papst habe zu oft an den Gläubigen vorbeigeredet, sagt Vatikan-Experte Breitmeier im Gespräch mit tagesschau.de. Der Rücktritt habe das Papstamt gestärkt. Sein Nachfolger müsse stärker auf den Dialog setzen und sich den sozialen Fragen in der Welt widmen.

tagesschau.de: Was bedeutet der Rücktritt für die Zukunft der Kirche?

Florian Breitmeier: Die Art, wie der Rücktritt gelaufen ist, zeigt noch einmal die kommunikativen Schwächen, die dieser Papst gehabt hat. Er hat eine einsame Entscheidung getroffen. Ganz wenige im Vatikan wussten Bescheid. Und er hat diesen Rücktritt auf Latein angekündigt. Das zeigt für mich, dass der Papst in vielen Bereichen an vielen Gläubigen vorbeigeredet hat. In Zukunft wird diese Kirche kommunikativer werden müssen.

Zitat

"Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten."

Viele Pannen in diesem Pontifikat sind ja entstanden, weil der Papst nicht vernünftig kommuniziert hat. Die Regensburger Rede zum Beispiel, die zum Eklat mit Islamvertretern geführt hat, hat offenbar niemand gegengelesen. Sonst wäre es vielleicht möglich gewesen, darauf hinzuweisen, dass es problematisch sein könnte, wenn man ein Zitat eines byzantinischen Kaisers verwendet, der Mohammed kritisiert.

Oder die Causa Richard Williamson: Man wusste, dass dieser Mann antisemitische Positionen vertritt, man hätte das im Internet nachlesen können. Das ist nicht passiert. Die Kirche der Zukunft muss besser kommunizieren und stärker zuhören.

tagesschau.de: Was für ein Papst könnte diese Kirche der Zukunft leiten?

Breitmeier: Der nächste Papst wird viel stärker auf den Dialog mit den Bischöfen und den Ortskirchen setzen müssen, um möglichst viele Informationen aus der ganzen Welt zusammenzutragen. Denn die vielen unterschiedlichen Entwicklungen rund um den Globus haben Benedikt offenbar amtsmüde gemacht: Konflikte in Nordafrika, wo Christentum und Islam aufeinanderprallen, die charismatischen Pfingstkirchen in Lateinamerika, die die Christen stark herausfordern, die Individualisierung in Westeuropa, das war für einen Papst zu viel.

Zur Person

Florian Breitmeier ist Hörfunk-Redakteur beim Norddeutschen Rundfunk für Themen aus den Bereichen Religion und Gesellschaft. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der katholischen Kirche.

Der kommende Papst wird verstärkt Antworten finden müssen: Wie steht es um die soziale Frage, wie steht es um die gerechte Verteilung der Güter in der Welt, welche Antworten hat die katholische Kirche auf die Komplexität des Lebens? Und da kommt es gar nicht so sehr auf eine Definition der Glaubensinhalte an, sondern es sind oft die Grauschattierungen, die das Leben liebens- und lebenswert machen. Und das muss ein Papst spüren.

"Ein Papst aus Afrika wäre möglich, aber überraschend"

tagesschau.de: Zwei Drittel der Gläubigen leben inzwischen nicht in Europa. Wäre die katholische Kirche reif für einen Papst von einem anderen Kontinent?

Breitmeier: Sie ist mit Sicherheit reif, denn die katholische Kirche ist immer Weltkirche gewesen. Sie ist ja auch die einzige Religion, die auf allen Erdteilen so präsent ist. Ich glaube aber, dass es nicht so sehr darauf ankommt, in Strukturen wie Ländern oder Kontinenten zu denken, sondern man wird eher fragen müssen: Welche Person hat das richtige Profil? Man sucht jemanden, der italienisch spricht, man sucht jemanden, der die Kurie in Rom kennt, man sucht jemanden, der nicht so alt ist.

Natürlich wird jetzt viel spekuliert. Aber mein Eindruck ist der, dass diejenigen, die sagen, wer es werden könnte, eigentlich nichts wissen, und diejenigen, die etwas wissen, nichts sagen. Die Italiener stellen sehr viele Kardinäle in diesem Konklave und da wäre es auch möglich, dass sie versuchen, einen Kandidaten aus ihren Reihen durchzusetzen. Angelo Scola etwa, der Bischof von Mailand oder Gianfranco Ravasi, der im päpstlichen Kulturrat ist.

Aber ich denke schon, dass die Kirche auch reif dafür ist, möglicherweise einen Papst aus Lateinamerika zu wählen. Das könnte ein starkes Signal sein. Ein Papst aus Afrika natürlich noch viel mehr, weil das ein Kontinent ist, wo noch stärker die ungleiche Verteilung von Ressourcen und Gütern deutlich wird. Das wäre ein deutlicher Fingerzeig, dass man wandelbar ist, wäre vermutlich aber eine Riesenüberraschung.

"Der Vatikan setzt auf Kontinuität"

tagesschau.de: Die meisten Kardinäle, die am Konklave teilnehmen werden, wurden ja von Benedikt XVI. ernannt. Wie wahrscheinlich ist es also, dass ein möglicher Nachfolger von Benedikts Kurs abweicht?

Breitmeier: Natürlich sind die meisten Kardinäle, die nun den neuen Papst wählen, durch die Schule des Glaubens Joseph Ratzingers gegangen. Sie sind also auch konservativ geprägt, da darf man nicht erwarten, dass nun das Pendel ganz weit zurückschlägt und ein großer Reformer kommt. Das passiert meiner Meinung nach nicht, weil man im Vatikan bei der Neubesetzung eines Papstes immer darauf setzt, dass eine gewisse Kontinuität bleibt. Diese Kirche ist aber trotzdem für Überraschungen gut. Das hat sie mit der Wahl Karol Wojtylas 1978 bewiesen.

tagesschau.de: Könnte sich auch bei der katholischen Position zum Priestertum für Frauen oder zur Empfängnisverhütung etwas ändern?

Breitmeier: Das wird so schnell nicht passieren. Die entscheidende Frage ist eher, ob die Kirche Antworten auf die Fragen der Menschen hat, die diese heute bewegen. Und ich denke, dass viele Gläubige nicht so sehr bewegt, ob Frauen Priester werden können oder was jetzt innerhalb der katholischen Kirche für Reformthemen anstehen. Sondern sie wollen wissen: Wie kann ich meinen Glauben heute aktiv gestalten, ohne dass ich kritisiert werde? Wenn man als Beispiel den Umgang mit dem mutmaßlichen Vergewaltigungsopfer in Köln nimmt: Das sind Fragen, wo viele Gläubige Zweifel haben, wie sie ihren Glauben unter den komplexen Bedingungen des 21. Jahrhunderts leben können. Und diese Frage wird im Mittelpunkt des neuen Pontifikats stehen. Aber da werden keine Dämme brechen.

"Das Papstverständnis hat sich geändert"

tagesschau.de: Bislang galt, dass ein Papst nicht zurücktritt, auch dann nicht, wenn er gesundheitliche Probleme hatte. Johannes Paul II. ist dafür das beste Beispiel. Welche Auswirkungen hat dieser Rücktritt denn auf das Selbstverständnis der katholischen Kirche?

Breitmeier: Er hat das Papstamt gestärkt, indem er gesagt hat, das Amt sei wichtiger als die Person, indem er sagt, sein Verständnis, das er als Papst der Nachwelt überlässt, ist, dass wir jemanden an der Spitze der katholischen Kirche brauchen, der psychisch und physisch in der Lage ist, diese Kirche im Zeitalter der Globalisierung zu führen. Dass er zurücktreten wird, stärkt natürlich ebenfalls das Amt, weil es eine gewisse Freiheit bedeutet, auch für andere zu sagen: Wenn ich keine Kraft mehr habe, trete ich zurück.

Was ich aber an der Rücktrittserklärung besonders interessant finde, ist, dass ein Papst tatsächlich sagt: 'Ich bitte um Verzeihung für alle meine Fehler.' Das ist ja ein Papstverständnis, das wir seit Jahrhunderten überhaupt nicht kannten. Wir kennen die Unfehlbarkeit des Papstes, die zwar nicht in allen Bereichen gilt, aber in dogmatischen Fragen.

Dieses Eingeständnis wird das Papstamt ein Stück weit verändern. In der katholischen Kirche war es bislang so, dass Amt und Person im Papstamt verschmelzen. Und jetzt trennt Benedikt XVI. das wieder auf. Das ist fast schon ein protestantisches Amtsverständnis. Ein Papst kann jetzt sagen, ich gebe das Amt ab. Man kann theologisch noch gar nicht recht erfassen, was dahinter steckt, aber er hat wahrscheinlich in seinem Pontifikat seinen stärksten Moment in diesem Abgang und in diesem Moment gezeigt, wo er gesagt hat: "Ich bin schwach."

tagesschau.de: Welchen Einfluss wird Benedikt XVI. nach seinem Rücktritt noch auf die katholische Kirche haben?

Breitmeier: Diesen Fall eines lebenden Ex-Papstes, also quasi eines Pontifex Emeritus, hat es natürlich noch nie gegeben. Er wird als guter Theologe weiterhin ernst genommen werden, er wird weiter schreiben können. Aber ich denke nicht, dass er Texte zu großen lehramtlichen Positionen verfasst, also dass er als eine Art Gegenpapst auftritt, der aus dem Karmel-Kloster im Vatikan möglicherweise noch Kritik an der Amtsführung seines Nachfolgers äußert, wenn ihm diese nicht gefällt. Das wird nicht so sein, wie wir es aus der Politik kennen, wo dann Alt-Kanzler Helmut Schmidt auch noch ein paar Tipps gibt in der Europolitik. Das wird dieser Papst nicht machen, dafür kann er einfach unterscheiden zwischen Amt und Person, und dafür ist dieser Mann wirklich zu fromm und zu bescheiden.

tagesschau.de: Wie wird er sich zukünftig nennen? Bleibt er Benedikt XVI.?

Breitmeier: Ich glaube nicht, dass er diesen Titel weiter tragen wird. Das wäre genau das, was er vermeiden will, nämlich den Eindruck zu erwecken, dass da jetzt zwei Päpste rumlaufen. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass er sich wieder Joseph Ratzinger nennt. So hieß er auch immer als Autor seiner Bücher.

Die Fragen stellte Jan Ehlert, tagesschau.de