Interview

Interview mit Politologe Peter Lösche "Beck hätte ins Kabinett gehen sollen"

Stand: 14.11.2007 14:58 Uhr

Der Rücktritt von Franz Müntefering hat die Machtverhältnisse in der Großen Koalition verändert. Ein Reform-Befürworter und Stratege tritt ab. Was bedeutet das für Koalition und SPD? Dass Beck in Mainz bleibt, ist ein Fehler, sagt der Politologe und SPD-Kenner Peter Lösche im ARD-Interview.

Der Rücktritt von Franz Müntefering hat die Machtverhältnisse in der Großen Koalition verändert. Ein Reform-Befürworter und Stratege tritt ab. Was bedeutet das für Koalition und SPD? Der Politologe und SPD-Kenner Peter Lösche im ARD-Interview.

ARD-Hauptstadtstudio: Ist es richtig, dass Kurt Beck in Mainz bleibt?

Lösche: Das halte ich für höchst problematisch. Der Vorsitzende einer Partei, auch wenn sie die zweite Partei in einer Koalition ist, gehört ins Kabinett. Beck hätte in das Kabinett gehen und Vizekanzler werden sollen - und damit Kanzlerkandidat. Es wird von der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin geredet. Nur, die existiert real nicht. Es regiert der Koalitionsausschuss und damit auch der Parteivorsitzende. Durch die Vizekanzlerschaft und dadurch, dass er Minister geworden wäre, hätte Beck seine Position stärken können.

ARD-Hauptstadtstudio: Hat der Hamburger Parteitag Ende Oktober Münteferings Rückzug eingeleitet? Kam es dort zu einem Riss zwischen ihm und der SPD?

Lösche: Nein. Müntefering ist frenetisch bejubelt und gefeiert worden, weil er sozialdemokratisches Urgestein besser darstellt und tatsächlich ist als jeder andere Sozialdemokrat. Es gab, wenn man so will, einen Sieg der Herzen auf dem Hamburger Parteitag. Auf der anderen Seite waren die inhaltlichen Differenzen unverkennbar. Es gibt eine tiefe Spaltung in der SPD zwischen denen, die den Sozialstaat reformieren und transfomieren wollen, und denen, die den alten Sozialstaat im Prinzip bewahren wollen.

ARD-Hauptstadtstudio: Müntefering hat ein eigenes Machtzentrum rings um Vizekanzlerschaft und Arbeitsministerium aufgebaut. War das eine Konkurrenz zur SPD-Spitze?

Lösche: Es gab ganz offenkundig ein Spannungsverhältnis zwischen der Partei und ihren Aktivisten mit Beck an der Spitze auf der einen Seite und den Mitgliedern der SPD im Kabinett auf der anderen. Das war nicht nur Müntefering. Die Mehrheit der anderen Kabinettsmitglieder hat ihn unterstützt - und die Mehrheit der SPD-Fraktion. Die Spaltung lief zwischen Partei sowie Fraktion und Regierung.

ARD-Hauptstadtstudio: Für welchen Wandel in der deutschen Politik und in der SPD steht Franz Müntefering?

Lösche: Er steht für den Wandel des alten sozialdemokratischen Milieus hin zur Informationsgesellschaft, zur Dienstleistungsgesellschaft, zu einer Gesellschaft, die dann die "Agenda 2010" politisch brauchte. Eigentlich steht er für Kontinuität und dafür, dass zwei Wählersegmente, nämlich die neue Mitte und die traditionelle sozialdemokratische Arbeiterschaft, Platz in der SPD haben. Wenn die SPD Wahlen gewinnen will, muss sie diese beiden Segmente, diese beiden Teile der Gesellschaft, ansprechen.

ARD-Hauptstadtstudio: Ändern sich durch den Rücktritt von Müntefering die Machtverhältnisse in der SPD?

Lösche: Nicht fundamental. Die Spaltung der Partei, die Differenzen, die Notwendigkeit, in der Großen Koalition mitzuwirken, bleiben bestehen.

ARD-Hauptstadtstudio: Verschiebt sich die SPD-Politik nach links?

Lösche: Nein, Kontinuität ist angesagt. Das, was auf dem Parteitag in Hamburg passierte, war ein Rück-Erinnern an die gute alte sozialdemokratische Tradition, an den demokratischen Sozialismus. Aber es war kein deutlicher Ruck nach links. Das, was als links erschien, waren Symbole. Die Kontinuität wird auch hier im Vordergrund stehen. Zentrismus ist angesagt.

ARD-Hauptstadtstudio: Was bedeutet die Neubesetzung von Münteferings Ämtern durch Olaf Scholz und Frank-Walter Steinmeier für die Große Koalition? Wird das Klima rauer?

Lösche: Diese personelle Veränderung wird keine großen Folgen haben, obwohl Müntefering sehr gut mit seinen christdemokratischen Kollegen kooperiert hat, insbesondere mit der Kanzlerin. Aber das trifft auch auf Steinmeier zu. Und erst recht auf auf Scholz, der als parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion mit Norbert Röttgen, dem Kollegen der CDU-Fraktion, glänzend kooperiert.

Die Fragen stellten Thomas Kreutzmann und Elvira Pflüger.