Robert Habeck
Interview

Habeck zum Grünen-Programm "Wir müssen radikal und staatstragend sein"

Stand: 13.04.2018 16:03 Uhr

Weg von der reinen Öko-Partei hin zum "Vollsortiment": So stellt sich Parteichef Habeck die neuen Grünen vor. Im tagesschau.de-Interview erklärt er, wie das klappen soll und was das für das neue Grundsatzprogramm heißen könnte.

tagesschau.de: Die anderen Köpfe der Grünen-Spitze werden derzeit deutlich weniger wahrgenommen als Sie. Wie fühlt man sich als neuer grüner Shooting-Star?

Robert Habeck: Das entspricht überhaupt nicht meiner Wahrnehmung. Gerade was Annalena Baerbock und mich betrifft arbeiten wir Hand und Hand. Wir konzentrieren uns auf die Arbeit und über alles andere mache ich mir keine Gedanken.

"Wir spielen wirklich als Team"

tagesschau.de: Trotzdem ist durch die personelle Erneuerung ja ein frischer Wind und eine Aufbruchstimmung in die Partei gekommen. Ist damit schon das Wichtigste geschafft, um die Grünen wieder nach vorne zu bringen?

Habeck: Was wohl wirklich etwas anders ist und toll funktioniert, ist, dass Annalena und ich wirklich zusammen als Team spielen - ohne Flügeldebatten, dafür mit Vertrauen. Wir wollen es gemeinsam mit den Landesvorsitzenden und der Bundestagsfraktion schaffen, dass die Partei als Einheit wahrgenommen wird.

Die neuen Bundesvorsitzenden Robert Habeckund Annalena Baerbock

Erstmals zwei Realos als Bundesvorsitzende: Annalena Baerbock und Robert Habeck spielen seit Januar 2018 im Team.

tagesschau.de: Derzeit ist vielen Wählern nicht so ganz klar, wofür die Grünen stehen, auch was die politischen Konstellationen betrifft. Was bekommt man, wenn man grün wählt: Jamaika oder doch Rot-Rot-Grün?

Habeck: Als Wähler weiß man tatsächlich im Moment nicht, welche Konstellation man bekommt, wenn man wählt. Das gilt aber für alle Parteien. Die SPD hat eine Große Koalition ausgeschlossen und ist dann doch da gelandet. Und die Lehre daraus ist, dass man sich die politische Landschaft nicht mehr in festen Blöcken Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün denken kann - Blöcke, die jeweils 40 Prozent ausmachen und um die unentschlossenen Wähler streiten, in der Hoffnung, es reicht dann für die absolute Mehrheit. Diese politische Welt des Kalten Krieges ist vorerst vorbei.

Für uns bedeutet das umso stärker, ein klares eigenes Profil zu haben und gleichzeitig eine Bereitschaft zu signalisieren, dass man größere gesellschaftliche Verantwortung auf sich nimmt, als nur im eigenen Milieu zustimmungsfähig zu sein. Bei Jamaika hat man gesehen, wir sind bereit zu verhandeln. Aber das bedeutet nicht, sich im Kopf schon auf Bündnisse einzustellen und geschmeidig zu machen, sondern genau im Gegenteil: eigenständig und radikal ein eigenes Programm zu vertreten und dann zu schauen, wie man zueinander kommt.

Bioethik, bewaffnete Konflikte, Hartz IV

tagesschau.de: Warum braucht es jetzt ein neues Grundsatzprogramm? Welche Themen wollen Sie neu denken?

Habeck: Das erste Grundsatzprogramm stammt aus der Zeit der Parteigründung 1980, das zweite aus dem Jahr 2002, wo angesichts der rot-grünen Regierung die Grundsätze aus Gründungstagen einem Realitätscheck unterzogen wurden. Heute haben wir eine neue Epoche, gerade was die globale und technische Entwicklung betrifft. Da steht es einfach an, den Kompass neu zu eichen.

Beim Themenbereich Bioethik, Digitalisierung, Nanotechnologie hinken alle Parteien hinter der technischen Entwicklung her. Das sind lebensverändernde Techniken. Wo wir Grenzen setzen und wie die reguliert werden, ist politisch weitgehend undiskutiert. Zweitens haben wir in der Außen- und Sicherheitspolitik - beispielsweise in Syrien - die Situation, dass NATO-Partner sich bewaffnet gegenüberstehen. Darüber hinaus gibt es einen Konflikt zwischen atomaren Großmächten, der so real zu werden droht wie einst die Kuba-Krise. Was bedeutet es für Europa, wenn der amerikanische Schutzschirm wegfällt?

Drittens sehen wir, dass auch der Kapitalismus digital wird und die klassischen Regulierungsmethoden nicht reichen, um die Macht von Digitalkonzernen wie Facebook und Google zu beschränken. Und auf der anderen Seite haben wir fast Vollbeschäftigung und dennoch Menschen, die - trotz Arbeit - in Armut leben, so dass wir auch das soziale Sicherungssystem und die Debatte um Hartz IV und das Grundeinkommen neu führen müssen.

"Wir wollen uns nicht von der Angst leiten lassen"

tagesschau.de: Beim Thema Gentechnik sind Sie in Ihrem Impulspapier für das neue Grundsatzprogramm von der früheren Anti-Haltung der Grünen abgerückt. Das ist bereits auf Widerstand in der Partei gestoßen. Haben Sie nicht Angst, grüne Stammwähler zu verprellen?

Habeck: Wir wollen uns eben nicht von Angst leiten lassen. Das langweiligste aber sicherste wäre, wir würden einfach sagen, wir haben seit Jahrzehnten ein super Programm und es gibt überhaupt nichts zu diskutieren. Aber dann sind wir nur eine weitere Partei, die nicht auf Ballhöhe der Wirklichkeit ist. Und deshalb wimmelt es in dem Impulspapier, das der Bundesvorstand geschrieben hat, vor großen Fragezeichen. Da können sich überall Debatten entzünden.

Gentechnik, wie wir sie kennen, mit massenweise Pestiziden und Oligopolen von Firmen, lehnen wir klar ab. Die Frage, die wir aufwerfen, ist eine andere: Der Klimawandel schreitet voran - und zwar im Kern durch das Verhalten und den Konsum des Westens. Ist es nicht westliche Hybris zu sagen, die Frage, wie sich Menschen in Regionen ohne Wasser oder mit versalzenen Böden durch den Meeresspiegelanstieg ernähren, lässt uns kalt? Ob die neuen Zuchtverfahren Gefahr oder Lösung sind, werden wir sehen. Und natürlich müssen wir Hunger auch besonders durch eine gerechtere Verteilung bekämpfen. Aber dass man die Fragen stellt, ist notwendig. Wir schreiben das Programm für die nächsten 20 Jahre. Unsere Politik muss jetzt 2040 vorbereiten. Und die Antworten, die wir 1980 gegeben haben sind nicht automatisch die Antworten von 2018.

Ein erleichteter Robert Habeck stellt sich nach dem Votum für die Ämtertrennung den Fragen der Journalisten.

Bis Herbst ist Robert Habeck auch noch Umweltminister in Schleswig-Holstein. Bei seiner Kandidatur für den Bundesvorsitz hatte er sich eine Übergangsfrist erbeten.

tagesschau.de: Seit das Thema Atomausstieg abgeräumt ist, sind die Grünen mit ihren Themen oft untergegangen. Das Soziale sehen die Wähler eher bei der SPD oder Linkspartei, Wirtschaftsthemen, innere Sicherheit und Flüchtlingspolitik bei der Union oder gar der AfD. Wie wollen Sie sich in Zukunft mehr Gehör verschaffen?

Habeck: Indem wir gleichzeitig radikal und staatstragend sind. Wenn wir die Frage von Artenvielfalt und einer anderen Landwirtschaft lösen wollen, dann brauchen wir Regeln, die den Tieren mehr Platz geben und den Fleischkonsum insgesamt bremsen. Wir brauchen nicht bessere Menschen sondern eine andere Politik. Und auf der anderen Seite dürfen wir aber nicht aus dem Blick verlieren, dass die Bauern von diesem System leben. Einfach nur etwas wegnehmen, reicht nicht. Sondern man muss kompromissfähig sein und die Betroffenen zu Partnern machen.

"Wir sind keine Öko-App, die man sich zusätzlich drauflädt"

tagesschau.de: Was wird der neue grüne Markenkern?

Habeck: Vollsortiment statt Nischenauslage. Wir sind nicht mehr eine Öko-App, die man sich einfach auf die Software draufladen kann. Sondern der Anspruch ist, ein eigenes Programm aufzulegen, das in sich stimmig ist, optimistisch, zukunftsversessen und leidenschaftlich: Wenn wir die ökologische Frage beantworten, müssen wir die soziale Dimension mitdenken. Wenn wir über sozialen Zusammenhalt reden, müssen wir die Auswirkungen unseres Lebensstils auf die Menschen außerhalb Europas mitdenken.

Und in dem Sinne soll ein öko-soziales Programm entstehen, das im linksliberalen Spektrum die Lücke schließt, die die SPD in der Großen Koalition und die Linkspartei wegen ihrer nationalen Orientierung lässt.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten am 13. April 2018 das ARD-Mittagsmagazin um 13:00 Uhr und tagesschau24 um 16:00 Uhr.