
RKI-Chef in der Pandemie Und immer warnt Wieler
Mal Popstar, mal Prügelknabe: RKI-Chef Wieler polarisiert. Sein strenger Pandemie-Kurs gefällt nicht jedem. Doch Wieler ist immer noch da. Dabei hat der Professor die Rolle im Rampenlicht nie gesucht.
Neulich als Lothar Wieler, der Chef des Robert Koch-Instituts (RKI) nach einer Pressekonferenz das Haus verlässt, spricht ihn ein junger Mann an: Ob er denn ein Autogramm haben könne. Wieler ist verdutzt, der neben ihm stehende Virologe Christian Drosten lächelt belustigt.
Popstar-Status ist für den graumelierten 61-jährigen Wissenschaftler auch nach mehr als 40 Auftritten in der Bundespressekonferenz dann doch etwas Neues. Ein gutes Dutzend Fotos mit seinem eigenen Konterfei muss er unterschreiben, Wieler groß, Wieler klein, mit Minister, ohne Minister - aber immer ernst. Dabei ist der Mann Rheinländer.
Wenn Wieler fehlt, fällt das auf
Vergangene Woche fehlte Wieler. Er saß nicht nicht neben Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf dem Podium der Bundespressekonferenz, um der Öffentlichkeit das neuste Pandemie-Update zu verpassen.
Seit Beginn der Pandemie vor zwei Jahren hat es 44 solcher Termine gegeben. Erst mit Jens Spahn, dann mit Lauterbach. Und natürlich immer mit dem obersten Pandemiebekämpfer. Nur ganz wenige Male hat Wieler gefehlt. Freitag vor einer Woche war so ein Tag. "Gesundheitlich verhindert" - der Bundesgesundheitsministerin sah sich genötigt, die Abwesenheit des RKI-Chefs zu erklären.
Es knirscht zwischen den beiden Professoren
Es haben sich Missstimmungen ins Verhältnis der beiden Männer geschlichen. Es knirscht, obwohl die zwei Professoren in der Pandemiebekämpfung auf derselben strengen Wellenlinie funken.
Kurz vor Weihnachten hatte der sonst so zurückhaltende Wieler eine starke Duftmarke gesetzt. Anders als im Corona-Expertenrat verabredet, plädierte er für eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen, für strenge Kontaktbeschränkungen schon während der Feiertage. Abgesprochen hatte er das nicht. Lauterbach war verärgert. Schließlich ist er der Boss.
Im Januar dann die Sache mit dem Genesenenstatus. Über Nacht schrumpfte der von sechs auf drei Monate. Vom RKI verfügt, nachzulesen auf der Internetseite des Instituts. Viele Menschen verloren von jetzt auf gleich die Möglichkeit, in Restaurants und Bars zu gehen. Ministerpräsidenten tobten und kritisierten die Machtfülle des RKI, einer dem Gesundheitsministerium untergeordneten Behörde. Lauterbach war düpiert, sprach von Kommunikationsproblemen.
Weniger gerne sprach der Minister davon, dass er die Verordnung, die übrigens auch Bundestag und Bundesrat durchgewunken hatten, genauso wollte. Damit die Wissenschaft schneller auf Entwicklungen reagieren könne. Die Grünen hatten vor der Kompetenzverlagerung gewarnt. Doch offensichtlich hatte der Wissenschaftler in Lauterbach gesiegt.
Auch auf Druck der Ministerpräsidenten wird das Rad jetzt wieder zurückgedreht. Lauterbach ist es auch ganz lieb, wieder selbst zu entscheiden. Das macht er eh am liebsten.
Mit erheblichem Jagdinstinkt nehmen vor allem "Bild"-Zeitung und "Welt" den RKI-Chef ins Visier. Wielers strenger Kurs und seine klaren Warnungen missfallen.
Die FDP sekundiert. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai legt sogar den Rauswurf nahe. Nicht wenige glauben jedoch, die Liberaldemokraten zielten zwar auf Wieler, aber treffen wollten sie Lauterbach. Es müsse endlich Schluss sein mit dessen Corona-Angst-Politik.
Ein "Ruf wie ein Donnerhall"
In der Wissenschafts-Community wird der Umgang mit dem RKI-Chef genau beobachtet. Er genieße einen "Ruf wie Donnerhall", sagt ein CDU-Spitzenmann und Kenner des Gesundheitssystems. "Ein wissenschaftliches Schwergewicht, ein feiner Kerl", sagt auch der Intensivmediziner Christian Karagiannidis, der mit ihm im Expertenrat der Regierung sitzt. Wieler wolle etwas für das Land bewirken.
Mails des RKI-Chefs erreichen die Adressaten bisweilen noch nach zwei Uhr nachts. Die Pandemie raubt Wieler den Schlaf. Manchmal wohl auch die Uneinsichtigkeit der Politik. Seit zwei Jahren ist die Corona-Krise sein Leben.
Es sei fatal, ihn zum Bauernopfer zu machen, sagt ein anderes Mitglied im Expertenrat. Und räumt doch ein, dass es für die Fachleute nicht leicht sei, aus der Wissenschaftswelt ins grelle Licht der Öffentlichkeit zu treten. Und auf dem gelegentlich glitschigen Politparkett Stand zu wahren.
Raus aus den Nischen
Die Pandemie hat viel verändert. Wissenschaftler haben ihre Nischen verlassen. Sie mussten lernen zu kommunizieren, zu erklären, was sie machen, was das Volk bewegt, ohne der Versuchung zu erliegen, Dinge selbst politisch zu bewegen. Und das RKI ist besonders gefragt und gefordert.
"Die Herausforderungen an die strategischen und kommunikativen Fähigkeiten haben sich mit der Pandemie für das RKI und das Bundesgesundheitsministerium verändert", formuliert Maria Klein-Schmeinck von den Grünen gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio.
Mängel zu personalisieren oder auf die zwischenmenschliche Ebene abzuheben, bringe überhaupt nichts. Und sie ergänzt: "Wir brauchen mehr Strategie, Koordination und eine durchdachte Kommunikation im Bereich Public Health."
Am Freitag wird Wieler übrigens wieder wie gewohnt neben Lauterbach auf dem Podium der Bundespressekonferenz Platz nehmen, ernst schauen - und über die Lage der Pandemie-Dinge informieren.