Die Stadt Köln schickt 120 Paletten mit Hilfsgütern in die Ukraine. Kartons mit der Aufschrift "Spendenaktion" auf den Farben der ukrainischen Flagge blau und gelb (Archivbild: 31.03.2022)

Zivile Unterstützung Wie Deutschland der Ukraine hilft

Stand: 11.08.2022 07:20 Uhr

Die Ukraine beklagt immer wieder fehlende Unterstützung bei Waffenlieferungen. Wie sieht es bei der zivilen Hilfe aus? Welches Ministerium hat bisher wie viel gegeben - und reicht das?

Von Michael Stempfle, ARD Berlin

Für die Ukraine geht es derzeit ums nackte Überleben. Um den russischen Angriffskrieg abzuwehren, braucht sie längst nicht nur Waffen. Parallel zum Kriegsgeschehen an der Front muss sie Verletzte verarzten, Millionen Binnenflüchtlinge versorgen, zerstörte Infrastruktur wiederherstellen und die eigene Wirtschaft aufrechterhalten. Dafür ist sie auf zivile Hilfe angewiesen - also auf medizinische Güter und Geld.

Bereits im April sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einer Online-Konferenz von Weltbank und IWF, dass die Ukraine durch den Krieg Verluste in Höhe von 550 Milliarden Dollar erlitten habe und monatlich bis zu sieben Milliarden Dollar an Unterstützung benötige, um die durch den Krieg verursachten wirtschaftlichen Verluste auszugleichen. "Einige Wirtschaftsbereiche wie die Landwirtschaft, die Stahlproduktion oder die Ölraffinerie befinden sich in einer sehr kritischen Lage", sagt Iryna Solonenko, Expertin beim Thinktank Zentrum liberale Moderne.

"Zögerliche" Hilfe

Doch bisher hält sich die Unterstützung in Grenzen. Die Ukraine bekomme von ihren westlichen Verbündeten zwar zivile Hilfe, allerdings weniger als sie benötige und auch weniger als ihr zugesagt worden sei, so Christoph Trebesch vom Kiel Institut für Weltwirtschaft. Einerseits habe Deutschland mit der Aufnahme von fast 800.000 Flüchtlingen und mit vielen privaten Spenden einen wertvollen Beitrag geleistet, dennoch sei die nicht-militärische Hilfe aus Berlin häufig "zögerlich".

Jedes Ministerium operiert zudem mit eigenen Zahlen. "Es entsteht der Eindruck, dass jeder für sich arbeitet, es fehlt eine zentrale Koordinierungsstelle", kritisiert Trebesch. Innerhalb der Bundesregierung beteiligen sich vor allem die Ministerien für Finanzen, Wirtschaft, Landwirtschaft, Umwelt, Inneres, Gesundheit und für wirtschaftliche Zusammenarbeit an der Unterstützung.

Das Bundesinnenministerium schätzt den Wert der bislang angebotenen Hilfsleistungen auf rund 120 Millionen Euro. Dabei handle es sich überwiegend um medizinisches Material, Medikamente und auch um Maßnahmen, um chemische, biologische, radiologische oder nukleare Gefahren abzuwehren, heißt es aus dem Ministerium.

Millionen für humanitäre Hilfe

Das Auswärtige Amt hat seit Beginn des russischen Angriffskrieges nach eigenen Angaben 430 Millionen Euro für humanitäre Hilfe und zehn Millionen Euro für internationale Katastrophenhilfe zur Verfügung gestellt. Mit diesem Geld würden internationale und Nichtregierungsorganisationen unterstützt. Das Auswärtige Amt habe darüber hinaus Pläne, um der Ukraine zu helfen: Für Stabilisierungsmaßnahmen - unter anderem durch schnelle Unterstützung mit Funkgeräten, Radar, Generatoren - seien für dieses Jahr 55 Millionen Euro "vorgesehen".

Das Bundesentwicklungsministerium betont, dass es die Ukraine bereits seit vielen Jahren in unterschiedlichen Bereichen unterstütze. So seien aus dem Entwicklungsetat zwischen 2014 und 2021 rund 890 Millionen Euro für die Ukraine bereitgestellt worden. Das aktuelle entwicklungspolitische "Sofortprogramm", mit dessen Umsetzung sofort nach Kriegsausbruch "begonnen" wurde, habe aktuell ein Volumen von insgesamt 185 Millionen Euro. Eine Ausweitung der Unterstützung mit neuen Mitteln in Höhe von 406 Millionen Euro "noch in diesem Jahr" sei "in Vorbereitung".

Mit den zusätzlichen Mitteln sollen die Auswirkungen des Krieges für die Bevölkerung abgemildert werden. Dabei will das Entwicklungsministerium den Fokus offenbar auf Familien legen, die innerhalb des Landes geflüchtet sind.

Zusätzliche Mittel

Bereits im Mai hatten sich die G7-Finanzminister und -Notenbankchefs während eines Treffens im Mai in Petersberg darauf geeinigt, der Ukraine umfangreiche finanzielle Hilfen zur Verfügung zu stellen. Im Ministerium von Christian Lindner zeigt man sich stolz, dass Berlin seinen Beitrag in Höhe von einer Milliarde Euro schnell ausgezahlt hat, nur einen Monat nach der Zusicherung.

Dennoch war Berlin in die Kritik geraten. Der Grund: Diskussionen auf europäischer Ebene. Auch die EU hat beim Treffen im Mai rund acht Milliarden Euro versprochen, aber bis heute nicht fest zugesagt oder ausbezahlt.

Hilfszusagen der EU

Zum Vergleich: Russland hat von den EU-Staaten für Energie-Lieferungen seit Ende Februar rund 80 Milliarden Euro erhalten. Die Hilfszusagen der EU und aller EU-Länder zusammen an die Ukraine belaufen sich auf unter 30 Milliarden Euro, so Schätzungen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft. "Besonders die europäischen Unterstützungsleistungen an die Ukraine sind vielfach unkoordiniert und für die ukrainische Regierung deshalb schwer planbar", so Roderich Kiesewetter, Sprecher für Krisenprävention in der Unionsfraktion.

Das Finanzministerium in Berlin verweist darauf, dass es die Ukraine bereits ab Februar mit 300 Millionen Euro unterstützt habe. Damit liege Deutschland "an der Spitze in Europa" und stehe "weltweit an zweiter Stelle hinter den USA", heißt es aus dem Ministerium.

"Hinter seinen Möglichkeiten"

So ein Vergleich mit Hilfsleistungen anderer Geberländer sei nicht trivial, erklärt Trebesch, der einen "Ukraine Support Tracker" entwickelt hat. Es müsse zwischen Krediten und Direktzahlungen, zwischen Versprechungen und tatsächlichen Überweisungen unterschieden werden. "Mit großem Abstand zahlen die USA am meisten Geld", so Trebesch. Kanada stelle ähnlich viel Geld zur Verfügung wie Deutschland, allerdings bei einem deutlich geringeren Bruttoinlandsprodukt.

Da ständig neue Hilfen gezahlt oder geliefert werden, muss Trebesch den "Support Tracker" ständig überarbeiten und aktualisieren. Zum ersten Juli dieses Jahres stand Deutschland bei der zivilen Hilfe für die Ukraine im internationalen Vergleich tatsächlich auf Platz zwei. Wenn die Hilfsleistungen in Beziehungen zum Bruttoinlandsprodukt gesetzt werden, landet Berlin Mitte des Jahres allerdings nur noch auf Platz 14. 

"Damit bleibt Deutschland leider auch bei der zivilen, nicht-militärischen Hilfe für die Ukraine weit hinter seinen Möglichkeiten und zum Teil sehr weit hinter vielen anderen europäischen Ländern gemessen am BIP", so CDU-Politiker Kiesewetter.

Philipp Eckstein, Philipp Eckstein, ARD Berlin, 10.08.2022 09:25 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 11. August 2022 um 06:48 Uhr.