Kai Wegner und Franziska Giffey.
Analyse

Bundesländer und die Schuldenbremse Schulden machen für den Klimaschutz

Stand: 06.04.2023 08:51 Uhr

Für alle Bundesländer gelten strenge Haushaltsregeln. Vor allem Bremen, das Saarland und Berlin suchen nun neue Wege, um Investitionen in den Klimaschutz zu finanzieren - an der Schuldenbremse vorbei.

Eine Analyse von Martin Polansky, ARD Berlin

"Das Beste für Berlin" - unter diesem Motto will der voraussichtlich neue Regierende Bürgermeister von Berlin von der CDU, Kai Wegner, mit seiner angepeilten schwarz-roten Koalition auch finanziell richtig durchstarten. Berlin ist notorisch hoch verschuldet und auch größter Empfänger im Länderfinanzausgleich. Laut Koalitionsvertrag soll Berlin bald fünf bis zehn Milliarden Euro an neuen Krediten aufnehmen können - über den Umweg eines Klimaschutz-Sondervermögens.

"Das Entscheidende ist ja, dass wir Klimaziele erreichen wollen und müssen", betont Wegner. "Wir als CDU- und SPD-Koalition wollen diese Ziele schneller erreichen. Und wenn wir schneller erreichen wollen, dass Berlin klimaneutral wird, müssen wir Geld in die Hand nehmen."

Mehr Geld etwa für Investitionen in die energetische Gebäudesanierung oder den Umstieg auf die Elektromobilität. Zehn Milliarden Euro an neuen Schulden - das entspricht rund einem Viertel eines Berliner Landeshaushalts.

Berlin folgt dem Saarland

Die Hauptstadt würde mit dem Sondervermögen dem Beispiel des Saarlandes folgen. Das ebenfalls hoch verschuldete Bundesland hatte Ende des vergangenen Jahres ein weitgehend schuldenfinanziertes Sondervermögen in Höhe von bis zu drei Milliarden Euro für Transformationsmaßnahmen zum Klimaschutz eingerichtet.

SPD-Finanzminister Jakob von Weizsäcker hält wegen Klimawandel und Energiekrise eine beschleunigte Transformation für notwendig: "Die Beschleunigung sorgt dafür, dass im Zeitraum der nächsten zehn Jahre ein Großteil dieser Transformationslast zu schultern ist."

Das Problem dabei: Eigentlich dürfen die Bundesländer im Normalfall gar keine Schulden aufnehmen. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse ist für sie noch strenger als für den Bund.

Schuldenbremse wegen Corona-Pandemie ausgesetzt

Aber der Bund hat in den vergangenen Jahren gezeigt, wie man trotz Schuldenbremse umfangreiche zusätzliche Kredite aufnehmen kann: über die Notlage. So konnte der Bund die Schuldenbremse wegen der Corona-Pandemie für drei Jahre aussetzen. Auch die meisten Länder taten das.

Zudem richtete der Bund große Sondervermögen ein - Schattenhaushalte für bestimmte langfristige Investitionen. Etwa für die bessere Ausrüstung der Bundeswehr oder für Klimaschutz und Transformation.

Aus Sicht des Finanzwissenschaftlers Thiess Büttner von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg wird der Sinn der Schuldenbremse ausgehebelt. Büttner ist Chef des Beirats des Stabilitätsrates, eines offiziellen Gremiums, das die Haushaltsführung von Bund und Ländern überwachen soll.

"Die Corona-Krise war ein Dammbruch. Sie hat in der Finanzpolitik alle Schleusen geöffnet", so Büttner. "Der Bund und die Länder haben in dieser Zeit gelernt, sich außerhalb der Schuldenbremse Kreditspielräume zu eröffnen und diese Mittel dann für die weitere Verwendung in Schattenhaushalten und Rücklagen zu parken."

Besonderer Weg in Bremen

Einen besonderen Weg geht dabei Bremen, das Land mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung in Deutschland. Drei Jahre lang galt in Bremen eine Haushaltsnotlage wegen der Corona-Krise, was zusätzlich Schulden ermöglichte. Jetzt wurde erneut eine Notlage erklärt, die in einem Gutachten in erster Linie mit der Klimakrise begründet wird - verbunden mit der anhaltenden Energiekrise durch den russischen Krieg in der Ukraine.

Mit dieser Begründung hat das rot-grün-rot regierte Bremen gerade erst einen Nachtragshaushalt verabschiedet, über den bis 2027 kreditfinanziert drei Milliarden Euro bereitgestellt werden sollen, um etwa öffentliche Gebäude energetisch zu sanieren oder Fördermittel für die klimagerechte Umrüstung des Arcelor-Mittal-Stahlwerks in der Stadt zu ermöglichen.

Der Bund der Steuerzahler kritisiert, dass Bremen damit zum Dauer-Notlage-Land mutieren könnte. Finanzwissenschaftler Büttner hält die Begründung Bremens für rechtlich nicht haltbar: "Es gibt einen Unterschied zwischen notwendig und Notlage oder Notsituation." Unstrittig gäbe es einen Anpassungsbedarf in den Haushalten. Aber notwendige Investitionen müssten aus Büttners Sicht eben über die regulären Haushalte erfolgen.

Büttner: Schuldenbremse in Gefahr

Die CDU in Bremen behält sich vor, gegen den Nachtragshaushalt vor dem Staatsgerichtshof zu klagen, dem Verfassungsgericht des kleinsten Bundeslandes. Allerdings läuft in Bremen derzeit der Wahlkampf, am 14. Mai wird eine neue Bürgerschaft gewählt. Der finanzpolitische Sprecher der CDU-Fraktion in Bremen, Jens Eckhoff, spricht von einem schwierigen Abwägungsprozess, ein Rechtsgutachten werde derzeit erstellt.

Neben juristischen Fragen geht es um die politische Abwägung - inwieweit kann man punkten, wenn man gegen die Schuldenaufnahme und damit kurzfristig mehr Geld klagt. Zumal Bremens SPD-Bürgermeister Andreas Bovenschulte damit wirbt, dass er mit den Krediten das Bremer Stahlwerk bei der klimagerechten Umrüstung unterstützen und damit langfristig retten wolle: "Wenn wir den Nachtragshalt nicht einbringen würden, wenn wir das Geld nicht zur Verfügung hätten, denn würden wir Zehntausende von Arbeitsplätzen aufs Spiel setzen. Und das ist mit diesem Senat und auch mit mir nicht zu machen."

Neue Schulden machen für den Klimaschutz: Die drei Länder mit den größten Finanzproblemen in Deutschland halten das offenbar für notwendig. Finanzwissenschaftler Büttner sieht dagegen die Schuldenbremse in Gefahr: "Wenn die Gesellschaft und die Politik diese Schuldenbremse für obsolet hält, werden Wege gefunden, um die Schuldenbremse zu umgehen."

Martin Polansky, Martin Polansky, ARD Berlin, 06.04.2023 09:07 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 30. September 2022 um 15:00 Uhr.