Bundeskanzler Olaf Scholz spricht bei der konstituierenden Kabinettsitzung mit Mitgliedern seiner Regierung.

Kaum Ostdeutsche vertreten Die westdeutsche Bundesregierung

Stand: 26.01.2022 17:30 Uhr

Zwei ostdeutsche Ministerinnen gibt es im 17-köpfigen Kabinett Scholz. Und auch innerhalb der Ministerien dominieren Menschen mit westdeutscher Herkunft. Die Linkspartei spricht von einem "Tiefpunkt".

Von Kerstin Palzer, ARD Berlin

Knapp 20 Prozent der Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft sind ostdeutsch. Geboren in der DDR oder in den sogenannten neuen Bundesländern. Doch die Repräsentanz der Ostdeutschen in den Bundesministerien fällt deutlich geringer aus. Denn würde man den ostdeutschen Anteil an der gesamten Bevölkerung auf die Staatssekretärsposten in den Ministerien der neuen Ampel-Regierung umrechnen, müssten sechs oder sieben dieser Positionen mit jemandem besetzt werden, der aus Ostdeutschland kommt. Tatsächlich ist es aber nur einer von 33.

Nur im Bundesgesundheitsministerium gibt es eine ostdeutsche Staatssekretärin. Antje Draheim stammt aus Rostock. Alle anderen Staatssekretärinnen und Staatssekretäre haben eine westdeutsche Herkunft. Bei der Ebene darunter sind Menschen mit ostdeutscher Herkunft ähnlich selten. Von den 111 Abteilungsleiterposten in den Bundesministerien sind lediglich vier mit Ostdeutschen besetzt.

Dem neuen Ost-Beauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD) fällt es schwer, diese mangelnde Repräsentanz zu erklären. Schneider mahnt an, dass es "für die Stabilität unseres politischen Systems wichtig ist, dass sich die Menschen aus dem ganzen Land in der Regierung wiederfinden und auch verstanden fühlen". Dazu gehöre auch eine angemessene Repräsentation.

Was ist "angemessen"?

Ob er die jetzige Vertretung der Ostdeutschen in den Ministerien für "angemessen" hält, dazu sagt Schneider nichts. Er will aber im Laufe des Jahres ein Konzept vorlegen, das die Repräsentation Ostdeutscher verbessern soll. Nicht nur in Politik und Verwaltung, sondern auch in den Medien, Hochschulen, Gerichten, bei der Bundeswehr und in der Wirtschaft.

Ich möchte auf dieses Problem stärker aufmerksam machen. Eliten rekrutieren ihre Nachfolge meist aus ihren Netzwerken. Deshalb scheint mir die Nachwuchsförderung ein wichtiger Beitrag zur Lösung des Problems zu sein.

"Ein Schlag ins Gesicht"

Das ist anderen - 32 Jahre nach der deutschen Einheit - nicht genug. Sören Pellmann, Ostbeauftragter der Linksfraktion im Bundestag hat die jetzt vorliegenden Zahlen bei der Bundesregierung erfragt und findet:

Die Vertretung der Ostdeutschen in den Ministerien scheint unter der Ampel auf einem Tiefpunkt angekommen zu sein. Für die Bürger in Ostdeutschland ist das ein Schlag ins Gesicht.

Ist das verfassungsgemäß?

Pellmann kritisiert die mangelnde Repräsentanz von Ostdeutschen in der Führungsebene der Bundesministerien stark und stellt sogar die Verfassungskonformität dieser Personalpolitik infrage. "Denn Artikel 36 des Grundgesetzes schreibt vor, dass Stellen bei obersten Bundesbehörden an Personal aus allen Bundesländern in angemessenem Verhältnis vergeben werden sollen. Das ist bei den Bundesministerien erkennbar nicht der Fall. Ich fordere die Ampel in dieser Frage zur Lektüre und Umsetzung des Grundgesetzes auf", so der Linken-Politiker aus Leipzig.

Das Bundesinnenministerium sieht in der Besetzung mit sehr vielen Menschen aus Westdeutschland und sehr wenigen Menschen aus Ostdeutschland in der Führungsebene der Ministerien hingegen keinen Verstoß gegen die Verfassung, da das "angemessene Verhältnis" nicht bedeute, "dass sich die Landeszugehörigkeit der Beamtinnen und Beamten streng proportional zur Verteilung der Landesbevölkerungsanteile an der Gesamtbevölkerung verhalten muss". Dann listet das Innenministerium für jedes Ministerium gesondert den Prozentsatz von Menschen auf, die in der Staatssekretärs- oder Abteilungsleiter-Ebene arbeiten und in den neuen Bundesländern geboren sind. In den meisten Spalten steht ein Anteil von 0,0 Prozent.

Nur im Sozialministerium, im Gesundheitsministerium, im Landwirtschaftsministerium und im Bundesministerium für Bildung und Forschung gibt es überhaupt Ostdeutsche in einer Führungsposition.

Negative Entwicklung

Die Uni Kassel forscht unter dem Titel "Neue Eliten - etabliertes Personal" an dem Thema. Viel hat sich seit der Wiedervereinigung nicht getan, sagt die Verwaltungswissenschaftlerin Sylvia Veit. Wenn man die Ministerposten in der Ampel-Koalition mitbetrachtet, fällt die Entwicklung sogar noch schlechter aus.

In der politischen Elite, also an den Kabinettstischen, ist der Anteil Ostdeutscher traditionell etwas höher, aktuell ist er mit rund neun Prozent aber niedriger als in den meisten Vorgängerregierungen nach 1990.

In der Ampel-Regierung gibt es mit Clara Geywitz und Steffi Lemke zwei ostdeutsche Ministerinnen und mit Reem Alabali-Radovan, Carsten Schneider und Michael Kellner drei weitere in Ostdeutschland aufgewachsene Personen unter den Parlamentarischen Staatssekretären/Staatsministern.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell Radio am 12. Dezember 2021 um 06:00 Uhr.